I, Erzählende Schriften 30, Casanovas Heimfahrt, Seite 25

30. Casanovas Heimfahrt
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wehr sind auch Barnach.
Der Plan gelingt bloß bis zur Hälfte. Denn Casa¬
nova, der in Marcolinas Armen ein Glück findet, wie in
seinem ganzen Leben nicht, wird vom Schlaf übermannt
und erwacht nach einem seltsam schönen, wirren Traum
erst im Morgendämmer. Marcolina steht im Zimmer, mit
allen Zeichen wahnsinnigen Ekels, Abscheus und Schmerzes
im Gesicht und dies ist für Casanova die furchtbarste Ent¬
täuschung, Strafe und Demütigung, die ihm werden kann.
Wortlos schleicht er davon. An der Gartenpforte erwartet
ihn Lorenzi. Nackt fechten sie im kühlen Licht des Morgens,
Casanova sticht Lorenzi nieder und fährt nach Mantua.
Und dann reist er unaufhaltsam nach Venedig, um dort das
elende, niederträchtige Amt eines Staatsspions anzutreten,
das man ihm in den letzten Tagen angeboten hat. —
Man empfindet nicht das geringste Mitleid mit Mar¬
colina. Um sich trivial auszudrücken: es ist ihr ganz recht
geschehen und Casanova ist trotz seines Alters immerhin
beinahe noch ein würdigerer Bewerber als Lorenzi. —
Das Schönste des Buches ist sein wahrhaft edler Stil.
Ruhig und klar, kühl und sachlich und von einer gehaltenen,
vollreifen Kraft und Kunst. Es sind Szenen von einer
wunderbaren Schönheit darin enthalten. Da besucht Casa¬
nova mit seinen Gastgebern ein Frauenkloster, dessen Non¬
nen zu ewigem Schweigen verbunden sind. „Plötzlich, als
sie eben den Saal verlassen wollten, erklang es aus der
Gegend des Gitters her von einer Frauenstimme — „Casa¬
nova“
— nichts als der Name, doch mit einem Ausdruck,
wie ihn Casanova noch niemals gehört zu haben vermeinte.
*) Siehe Nr. 1, 2, 3, 4 des Blattes vom 3., 7., 10. und
14. Jänner 1919.
Ob eine Einstmalsgeliebte — ob eine Niemalsgeschaute
eben ein heiliges Gelübde gebrochen, um ein letztes — oder
ein erstes Mal seinen Namen in die Luft zu hauchen; —
ob darin die Seligkeit eines unerwarteten Wiedersehens,
der Schmerz um unwiderbringlich Verlorenes oder die
Klage gezittert, daß ein heißer Wunsch aus fernen Tagen
sich so spät und nutzlos erfüllte — Casanova vermochte es
nicht zu deuten; nur dies eine wußte er, daß sein Name,
so oft Zärtlichkeit ihn geflüstert, Leidenschaft ihn gestam¬
melt, Glück ihn gejubelt hatte, heute zum erstenmal mit
dem .vollen Klang der Liebe an sein Herz gedrungen war.
Doch eben darum schien jede weitere Neugier ihm unlauter
und sinnlos; — und hinter einem Geheimnis, das er
nimmer enträtseln sollte, schloß sich die Tür...
Das unendlich Herbe, Bittere und Demütigende des
Altwerdens ist allerdings mit einer reifen Meisterschaft ge¬
schildert, die ihresgleichen sucht; und doch legt man das
Buch, dessen schöner Titel von den Schauern tiefer Seelen¬
geheimnisse umwittert ist, mit einer leisen Enttäuschung
aus der Hand. Denn man empfindet immer deutlicher,
daß ggerade Casanova nicht der geeignete Held ist, um die
Tragik des Alterns wirklich erschütternd darzustellen, be¬
sonders dann nicht, wenn man das, wie Schnitzler durch
die Schilderung eines ganz schmutzigen Abenteuers zu tun
versucht, in dessen Mittelpunkt noch dazu eine psychologisch
unverständlich gebliebene: Gestalt steht. Bei aller Schön¬
heit des Buches also doch eine Enttäuschung...
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