I, Erzählende Schriften 30, Casanovas Heimfahrt, Seite 51

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Rundschau.
Fischer. Und über diesem Getriebe der Duft
bezeichnet hat. Es ist besonders zu begrüßen,
dänischer Atmosphäre — Frauen, wie sie
daß Molo auch Strindberg in den Kreis
Jakobsen in so unerreichter Grazie gestaltet
seiner eindringlichen Betrachtungsweise ge¬
hat. Da ist das elegante Weltkind Ellen
rückt hat, und zwar nicht so sehr den Dichter
Kruse, des mächtigen Departementschefs ver¬
des Problems „Mann und Weib“ als den
wöhntes Töchterchen, die dämonische Agnete,
weniger bekannten historischen Erzähler
die schließlich eine brave Holzhändlersfrau
Strindberg“. Es sind Sagenstoffe der nordi¬
wird, und das heitere Kind des Volkes
schen Heimat, aber auch blitzartig erhellte
Lisbeth — alle Stände und Individualitäten
Episoden aus der Reformation und aus der
des dänischen Tageslebens sind vertreten.
französischen Revolution — immer sind es
Freilich, das letzte fehlt: jene unerhörte Hell¬
Höhepunkte der Menschheit von Ewigkeits¬
sichtigkeit, die Jakobsens „Niels Lyhne“ zum
gehalt, die Strindberg bis in die letzten
Roman einer ganzen Generation machte, die
Tiefen durchleuchtet. Diese Kraft kann man
Anmut Peter Nansens, dessen letzte Gabe
leider dem letzten Roman Aage Madelungs““
ein Novellenband“ ist, der aber auch
nicht nachrühmen. Während der Pogrom¬
des Lebens Bitterkeit zu schildern weiß. Er
roman Madelungs („Die Gezeichneten",
erzählt von einer Ehe, die sich in Haß zer¬
S. Fischer, 1917) von individuellem Leben
setzt, er erzählt von einem Glücklichen und
strotzt, it hier bei allem Aufwand sensationeller
Zufriedenen, dessen Blick aber nicht die Ge¬
Motive eine gewisse Kahlheit und Ersin¬
meinheit des Lebens zu durchdringen ver¬
dungsarmut zu konsiatieren. Die Gestalten,
mag, und der Schlußpunkt ist ein grotesker
vor allem der Held, ein zum Sozialreformer
Bridgeabend im Irrenhaus. Es ist tief be¬
emporgesteigerter ehemaliger Gaukler, mit dem
deutsam, daß dieser anmutige Gestalter mit
symbolischen Namen Peter Mensch, haben
so ernstem Wort von uns schied — mit einer
kein Blut in den Adern — die satirische
Bitterkeit, wie sie etwa des unglücklichen
Grundidee, den sozialistisch= Zukunftsstaat
Hermann Bang kostbare Romane und No¬
ad absurdum zu führen, v. lingt alles an¬
vellen durchtränkt.
dere, der utopistische Appara. mucht sich auf
Die geistig=sittliche Bedeutung der
Kosten der seelischen Qualitäten allzusehr
Schweiz hat schon während des Weltkrieges
breit: wohl das Schicksal aller Utopien, die
und jetzt, da der dewokratische Gedanke
ja eigentlich weniger erzählende Kunstwerke
siegreich zum Durchbruch gelangt, über¬
als in Romanform gekleidete Propaganda¬
all Anerkennung gefunden. Die hübschen
schriften sind. Die politische Note ist ja in
Bändchen der schweizerischen Erzähler““ ver¬
den stets erregten nordischen Ländern ein
mitteln in anmutiger Weise die Bekannt¬
wesentliches Motiv; aber es muß sich doch
schaft mit den bedeutendsten Prosadichtern
mit den menschlich bedeutsamen Elementen
der heutigen Schweiz. Da ist die erschütternde
organisch verbinden. Dies ist in dem zwei¬
Geschichte des Raubmörders Stüssy („Frau
bändigen, in Dänemark wielenden neuen
Stüssy und ihr Sohn“) von Jakob Schaffner,
Roman von Lanrids Brunn recht glücklich
da ist Max Pulvers zarte Mädchennovelle
der Fall***. Das dänische Beamten= und
„Odil“, das abgeklärte ergreifende Tagebuch
Industriellenleben tritt uns in tausend sein
einer Leidenden von Ruth Waldstetter, Co¬
beobachteten, lebensvollen Zügen entgegen,
bert Faesis klassische Soldatengeschichte vom
der große Bankherr Welten ebenso wie der
Füsilier Wipf, Rohert Walsers kapriziös
elegante Figurant Prinz Adolph, der so gerne
gestrichelter Spaziergang, um nur einige zu
mit den hübschen Gemahlinnen seiner Mini¬
nennen. Besonderes Interesse hietet die
sterialbeamten à deux soupiert. In dieses
Blütenlese westschweizerischer Erzäbler, der
etwas pariserische Kopenhagener Gesellschafts¬
Novelen von Benjamin Valloton, C. F. Pa¬
treiben weht der frische Hauch der dänischen
muz, Samuel Cornut, Gonzaque de Reynold,
Provinz, der arbeitsamen Fischerstädte. Von
Robert de Traz, Charles Gos enthält und
der Provinz aus erobert Svend Byge, aus
so im Sinne der Völkerverständigung und
dem alten Bauerngeschlecht der Byge mit
des kulturellen Ausgleics wikt. Diese
dem trotzigen Nacken, aber schon verdünnten
schönen Ziele verfolgt auch der in Zürich,
Blut, die Hauptstadt, als Vertreter der in
Wien und Leipzig beheimatete Amalthea¬
allen Amtern mit Redensarten abgespeisten
Verlag, der soeben seinen ersten Almanach
Die schönsten historischen Erzählungen von
in die Welt sendet**. In vorbildlicher Aus¬
Strindberg. Ausgewählt und eingeleitet von Waltet von
Des Lebens Last. Novellen von Peter Ransen.
Moto. Albert Langen. München 1918.
Berlin 1918. S. Fischer.
Aage Mahelung, Zirkus Mensch. Kurt Wolff,
Schweizerische Erzähler Frauenfeld und Leipzig,
Leipzig., 1918.
Verlag Huber & Co.
** Lanrids Pruun: Aus dem Geschlecht der Byge.
Amaltheei=Bücherei. Almanach auf das Jahr
Roman vom Jahrhundertwechsel. Erster und zweiter
1919. Zürich=Wien=Leipzig, Almathea=Verlag.
Band. Weimor 1918, Kiepenheuer.