I, Erzählende Schriften 29, Doktor Gräsler, Badearzt, Seite 23

Doktor Graesler
Badearzt
box 4/7
29. benzer Gassten, Badearzt
Nr. 100.
Berliner Tageblatt.
Sonnabend, den 24. Februar 1917.
Serenen denen er 1 Benicher
Sran

1
ohne seinen Antrag das Disziplinarverfahren eingeleitet wordenmittelkarten der Stadt Berlin gekennzeichneten Geschäften gegen Der Berliner
Empfangsbescheinigung abzuliefern, und zwar heute, morgen und
im Rathause seine
sein. Rechtsanwalt Alexander beantragt schließlich noch, vor
Kaufmann Alfred
übermorgen. Nachträgliche Annahme findet nicht statt. Ferner
Schluß der Beweisaufnahme ihm Gelegenheit zu geben, mit dem
unter dem Zwange
Angeklagten Rücksprache zu nehmen. Andernfalls würde eine
wird in der nächsten Woche wieder 350 Gramm Fleisch
als auch der Behei
wesentliche Beschränkung der Verteidigung vorliegen. Der Gerichts¬
verteilt. — Der Magistrat von Schöneberg verteilt auf Ab¬
vollständiger Kohre
hof lehnte beide Anträge ab. Eine vernunftmäßige Ueber¬
schnitt 75 der Lebensmittelkarte ½ Pfund Kunsthonig zu 27 Pfennigen
rat mit einem drin
legung zwinge, wie der Vorsitzende verkündete, iu der Erkenntnis,
oder ¾4 Pfund Speisesyrup zu 27 Pfennigen, und auf besonderen
Brennmaterialien
daß ein Dritter nicht in der Lage sei, das Motiv zum Selbstmord
Bezugsschein für Schwerarbeiter ebenfalls ¾ Pfund Speisesyrup.
fast verbraucht sind
eines anderen klarzulegen. Der zweite Antrag wurde abgelehnt,
bisher nicht eingen
weil der Verteidiger während der vier Monate reichlich Gelegen¬
50=Pfennig=Hamster. In der letzten Zeit verschwinden die
notwendig werden
heit gehabt habe, sich mit dem Angeklagten zu beraten; dem Gerichts¬
50 = Pfennigstücke immer mehr aus dem Verkehr. Eine sinnlose
wurde angeregt, in
hof habe sich schließlich die Ueberzeugung aufgedrängt, daß die
Sammeltätigkeit hat sich dieser Münze zugewendet. Welchen Um¬
Verein zu entfalten
immer aufs neue gestellten Anträge lediglich zur Verschleppung
fang sie angenommen hat, geht aus folgender Zuschrift hervor:
Berlin allein jähr
dienen sollen. Die Beweisaufnahme wurde hierauf
„Gestern abend fuhr ich vom Spittelmarkt nach dem Potsdamer
beisteuere, die gesch
geschlossen.
sam, mit angesp
sitzen. Er berührte den letzten Gang nicht mehr und eilte nach
Herz immer starr
Hause, wo ein Patient ihn erwartete, der vor der Abreise Ver¬
ihm blaß, ja, ger
haltungsmaßregeln für den Winter wünschte. Der Doktor
Doktor Gräsler, Badearzt
Stellen kam, in de
erteilte sie zerstreut, ungeduldig, nahm sein Honorar mit
Erzählung
keit, seiner Pedan
schlechtem Gewissen in Empfang und verspürte einen dumpfen
Nachdruck verboten.]
bon
wiederhole sie mi
Groll nicht nur gegen sich, sondern auch gegen Sabine, die so
(12. Fortsetzung.]
ihm bis zum Uebel
weit gegangen war, ihm in ihrem Brief Gleichgültigkeit gegen¬
Arthur Schnitzler.
hatte. Wie konn
über seinen Kranken vorzuwerfen. Dann trat er auf seinen
Die Wanduhr schlug halb zwei; die gewohnte Speisestunde
einen Pedanten zu
Balkon, zündete die kaltgewordene Zigarre von neuem an und
war um ein Beträchtliches überschritten, was er als unange¬
teres bereit gewe
blickte in das armselige Gärtchen hinab wo trotz des trüben
nehm empfand und, seiner Pedankerie mit grimmigem Eigen¬
wirklichen Fehltri
Wetters auf einer weißen Bank, das Nähkörbchen zur Seite,
sinn bewußt, machte Gräsler sich auf den Weg zum Gasthof.
von nicht das ge
seine Hauswirtin wie alltäglich zu dieser Stunde mit ihrer
er deswegen, gera
Strickarbeit saß. Die ältliche Frau hatte noch vor drei oder
Am Stammtisch fand er den Baumeister und einen Herrn
sie ihn. Ja, das
vier Jahren ganz unverkennhare Absichten auf ihn gehabt;
von der Stadtverwaltung, die in ihrer Ecke beim Kaffee saßen
hier schien ihm d
ium mindesten hatte Friedrike es immer wieder behauptet, die
und rauchten. Der Stadtrat nickte dem Doktor verständnis¬
neu beleuchtet. D
den Bruder stets von heiratslustigen Jungfrauen und Witwen
innig zu und empfing ihn mit den Worten: „Nun. man kann
noch nie iemand
umlauert glaubte. Weiß Gott, es war nicht so weither damit
ja gratulieren, wie ich höre.“ — „Wieso,“ fragte Dr. Gräsle¬
Mann! Nicht sein
erschrocken. — „Sie haben das Frank'sche Sanatorium ge¬
gewesen. Er war ja zum Junggesellen geboren, war ein Son¬
derling, Egoist und Philister gewesen sein Leben lang. Das! es seine Kollegen
kauft?“ Beruhigt atmete Gräsler auf. Gekauft?“ wieder¬
Verschlossenheit
hatte eben auch Sabine sehr wohl empfunden, wie aus ihrem
holte er. „Davon ist noch keine Rede, das hängt noch von
terie, sein Ernst fü
Briefe mit zwingender Deütlichkeit hervorging, wenn sie sich
allerlei ab. Die Baracke ist ja in einem fürchterlichen Zu¬
ohne Ueberschwan
stand. Man muß sie ja geradezu vom Grund aus neu auf= auch aus mancherlei Gründen, unter denen die sogenannte
keit vorherbestimm
— er Rudierte die Speisekarte
bauen. Und unser Freund da“
Liebe wohl der geringste gewesen war, ihm an den Hals zu
und nicht anders
und deutete flüchtig auf den Baumeisier hin — „macht Preise.“
werfen behauptete. Ja, wenn sie es wirklich getan hätte, dann
Sabine, darum k
sähe sich die Sache anders an. Aber das, was er da in der
Der Baumeister widersprach lebhaft, er wollte wahrhaftig
nehmen, das sie
Rocktasche knittern fühlte, das war wohl alles eher als ein
an der Sache nichts verdienen was die sogenannten Schäden
glaubte und das
Liebesbrief.
anbelange, die wären durchaus leicht zu beheben, und wenn
wesen wäre. Ha
die Aufträge schleunigst erteilt wörden, so stände die Anstalt
Der Wagen, der allabendlich zur Fahrt nach dem Forsthaus
ihr zu schreiben:
bestellt war, wurde gemeldet. Dem Dr. Gräsler klopfte das
bis spätestens fünfzehnten Mai blitzblank, ja wie neu da.
mich ergriffen. A
Herz. Er konnte sich's ja in diesem Augenblick nicht verhehlen,
Dr. Gräsler zuckte die Achseln, ermangelte nicht darauf
Mann.“ Ach, was
daß er nur eines zu tun hatte: zu Sabine eilen, zärtlich dankend
hinzuweisen, daß der Baumeister gestern den ersten Mai als
begann aufs neue
die lieben Hände ergreifen, die sich den seinen so innig und
äußersten Termin genannt hätte; übrigens wisse man ja wie
Ihren Brief, Ihr
rückhaltslos entgegenboten, das holde Wesen zur Frau ver¬
es sich mit solchen Bauarbeiten verhalte, Termin sowohl als
bewegt. Wie soll
langen, auf die Gefahr hin selbst, daß es nur wenige Jahre
Kosten würden immer überschritten er seinerseits fühle sich
Möglichkeit eines
oder gar Monate des Glücks wären, die sich ihm eröffneten.
nicht mehr frisch genug, um sich auf dergleichen Dinge einzu¬
wagt hätte und
Aber statt die Treppe hinunterzueilen, blieb er wie auf den
lassen, auch der Besitzer verlange einen lächerlichen Preis und
Zusammenhange
Fleck gebannt stehen. Es war ihm, als hätte er vorher etwas
wer weiß,“ fügte er, freilich in scherzender Absicht, hinzu, „ob
greifen, ich meine
endgültig klarzustellen und vermochte sich nicht zu besinnen,
Sie, mein lieber Herr Baumeister, nicht mit ihm unter einer
ein paar Tage Ze
was es sein könnte. Plötzlich fiel es ihm ein: den Brief Sa¬
Decke spielen.“ Der Angesprochene fuhr auf, der Stadtrat
wußtsein meines
binens mußte er noch einmal lesen. Er nahm ihn aus der
doch ein
versuchte zu besänftigen, Dr. Gräsler lenkte ein: —
bine, fragen aus
Brusttasche hervor und begab sich in sein stilles Ordinations¬
gutes Einvernehmen wollte sich nicht mehr herstellen, und bald
und wahrhaftig
ließen beide Herren, Baumeister und Stadtrat, nach kühlem! zimmer, um in völliger Ungestörtheit Sabinens Worte noch
Abschied den Doktor allein und mit sich unzufrieden am Tische einmal auf sich wirken zu lassen. Und er las. Er las lang= trauen wollen.