Doktor Graesler
Badearzt
29. bensemssusssehsaasaize box 4/7
Nr. 107.
Mittwoch, den 28. Februar 1917.
Berliner Tageblatt.
m
M rimenn
S
übernomiene Behandtung der Aiegsteirwene
Jtikagr
kehrs um baldige Einführung der Gebührenfreiheit im
familien gegen ein Pauschalhonorar hat infolge des An¬
worden,
Postscheckverkehr gebeten wird.
wachsens der Zahl der Behandelten (fast um die Hälfte) und
Brotverso
Gleichbleiben der Honorarsumme zu einer immer stärker fühl¬
Das Bootsunglück bei Grünan, das sich am 23. Juli 1916
gehen als
baren Benachteiligung der Aerzteschaft geführt. Daher hatte die infolge des Zusammenstoßes des Dampfers „Hindenburg“ mit
dem Motorboot „Anna“ ereignete und 22 Menschenleben for¬
Aerztekammer den Vertrag gekündigt und verlangt, daß für
Die
derte, wird demnächst auch das Reichsgericht beschäftigen. Die
Familie und Jahr ein Honorar von 5 Mark gezahlt würde. Die
Schuld an dem Unglück wurde bekanntlich dem Führer des Damp¬
Tagen ha
Stadt hat diese Forderung abgelehnt und beabsichtigt anscheinend
fers „Hindenburg“, dem Schiffsführer Gottlieb Kanwische:
einberufen
einen Ausweg zu wählen, den sie bereits früher angekündigt
zur Last gelegt, der von der ersten Strafkammer des Landgerichts 12
Obst vor
hatte. Statt der Pauschalsumme an die Aerzteschaft soll den Unter¬
wegen fahrlässiger Tötung und wegen fahrlässiger Bewirkung des
stützungskommissionen für die erkrankten Kriegerfamilien
Sinkens eines Schiffes zu 1 Jahr Gefängnis verurteilt
den Groß
eine Barentschädigung überwiesen werden, um damit die Kosten in
wurde. Kanwischer wurde zwar aus der Untersuchungshaft ent¬
wohl kein
Krankheitsfällen zu bestreiten. Nach allen Erfahrungen mit derarti¬
lassen, da er ein geborener Russe ist, aber in Schutzhaft genommen,
aus der er jetzt auf Antrag seines Verteidigers, Rechtsanwalts Bahn
erst einer
gen Unterstützungen muß mar aber bezweifeln, ob man, wie es in
S
8
1
sehr, mein Fräulein, das ist ja wirklich eine sehr praktische
besonders für Gauner.“
Einrichtung
Doktor Gräsler, Badearzt
„Die hätten kein Glück, erwiderte das junge Mädchen. „Wir
3
sind hier lauter ehrliche Leute.“
Erzählung
Daran zu zweifeln liegt mir selbstverständlich fern. Aber
von
[Nachdruck verboten.]
115. Fortsetzung.]
wofür werden mich nun woh' die Leute gehalten haben?“
Arthur Schnitzler.
„Für einen Fremden; was Sie doch wohl auch sind.“ Sie
b1
blickte ihm neugierig ins Gesicht.
Gegen seine sonstige Gewohnheit wählte er diesmal
„Man könnte mich wohl so nennen,“ erwiderte er, schaute in
eine weiche Form mit ziemlich breiter Krämpe, fand im
u
die Luft, und dann sich rasch wieder an seine Nachbarin
Spiegel, daß sie ihm besser zu Gesichte stand, als die
sa
wendend: „Für was für eine Art von Fremden würden Sie
steifen Kopfbedeckungen, zu denen er sich sonst verpflichtet
uns
mich wohl halten?“
glaubte, und komtte es unmöglich für Täuschung halten,
irgendwe
„Jetzt höre ich Ihnen natürlich an, daß Sie ein Deutscher
das ist d
als ihn bei Fortsetzung seines Spazierganges in be¬
„l
sind, vielleicht ganz aus der Nähe. Aber im Anfang, da habe!
ginnender Dämmerung mancher Frauen= und Mädchenblick
„Aber
ich gedacht, Sie sind von weit her aus Spanien oder
freundlich zu mustern schien. Plötzlich fiel ihm ein, daß
solchen
Portugal.“
indes ein Brief von Sabine angekommen sein könnte; er
mit Ihn
„Portugal?“ wiederholte er und griff unwillkürlich nach
eilte nach Hause; eine Anzahl von Briefen war eingelangt,
„Ein
seinem Hut. „Nein, in Portugiese bin ich freilich nicht. Ich
zumeist noch aus dem Badestädtchen nachgesandt; — von
Zeit
kenne es allerdings ein wenig.“ setzte er beiläufig hinza.
Sabinen war nichts darunter. Zuerst enttäuscht sah er doch
„Ja, das denk ich mir, Sie sind wohl viel in der Welt
ein, daß er Unwahrscheinliches, ja Unmögliches erwartet
herumgekommen.“
hatte, verließ das Haus von neuem und spazierte wieder
„Ein wenig,“ erwiderte Gräsler, und in seinen Augen
planlos in den Gassen umher. Später kam er auf den Einfall,
glänzte es mild von Erinnerungen fremder Länder und Meere.
mit der Trambohn, die eben neben ihm hielt, eine Strecke
Er merkte mit Befriedigung, daß der Blick des jungen
weit zu fahren. Er blieb auf der rückwärtigen Plattform
daß ic
Mädchens außer Neugier auch eine gewisse Bewunderung zu
stehen und erinnerte sich, nun zum ersten Male mit leiser
bürtig un
verraten begann. Ganz unerwartet sagte sie aber: „Hier muß
Wehmut daß an Stelle des vorstädtischen Viertels, das er
gestehend
ich aussteigen. Wünsche weiter gute Unterhaltung in unserer
durchfuhr, noch in seinen Jünglingsjahren nichts anderes zu
Das
Stadt.“
sehen gewesen war als freies Feld und Ackerland. Die meisten
„Nein, w
„Danke sehr mein Fräulein,“ sagte Gräsler und lüftete
Fahrgäste waren allmählich ausgestiegen, und jetzt erst fiel
sich wahr
im auf, daß sich bisher kein Schaffner gezeigt hatte. Er warf
den Hut. Das junge Mädchen war ausgestiegen und von der
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ihm Zuf.
einen Blick rings um sich und merkte, daß zwei Augen den
Straße her nickte es ihm zu; vertrauter, als es die kurze Dauer
„Also
seinen mit freundlichem Spott begegneten. Sie gehörten einem
der Bekanntschaft hätte erwarten lassen. Einer kühnen Ein¬
dringend
jungen, etwas blassen Mädchen, das einfoch, aber anmutig
gebung folgend sprang Gräsler von dem Wagen ab, der sich
Sie
hell gekleidet, wohl schon geraume Zeit u ben ihm auf der
eben wieder in Bewegung setzte, trät auf das Mädchen zu, das
sie: „Wei
Plattform stand. „Sie wundern sich wohl, daß kein Schaffner
verwundert stehen geblieben war, und sagte: „Da Sie mir eben
morgen
kommt,“ sagte sie, den Kopf nach oben werfend, und unter
gute Unterhaltung gewünscht haben, mein Fräulein, und die
„Gerr
unsere so vielversprechend anfing, wäre es vielleicht das
Hand festhielt, heiter zu Gräsler aufblickend.
Beste
„Das
„Allerdings,“ erwiderte dieser etwas steif.
schäft aus
Vielversprechend,“ unterbrach ihn das Mädchen. „Ich
Kleiman
„Es gibt hier nämlich keinen,“ erklärte das junge Mäd¬
wüßte nicht.“ Es klang wie eine ehrliche Ablehnung; und so
sieben Uh
chen. „Aber da vorn beim Wagenführer, sehen Sie wohl, da
fuhr er in etwas bescheidenerem Tone fort: „Ich wollte
ist eine Büchse, da werfen Sie Ihr Zehnpfennigstück hinein,
recht ist,
sagen — mein Fräulein, Sie verstehen so anmutig zu
und die Sache ist in Ordnung.“
plaudern, und es wäre doch eigentlich schade —“
fahren.“
„Danke sehr,“ sagte der Doktor, begab sich nach vorn, tat,
Sie zuckte leicht die Achseln. „Ich bin schon zu Hause und
wie ihm geheißen, kam zurück und wiederholte: „Ich danke man erwartet mich zum Abendessen.“
haben?“
Badearzt
29. bensemssusssehsaasaize box 4/7
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Mittwoch, den 28. Februar 1917.
Berliner Tageblatt.
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übernomiene Behandtung der Aiegsteirwene
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kehrs um baldige Einführung der Gebührenfreiheit im
familien gegen ein Pauschalhonorar hat infolge des An¬
worden,
Postscheckverkehr gebeten wird.
wachsens der Zahl der Behandelten (fast um die Hälfte) und
Brotverso
Gleichbleiben der Honorarsumme zu einer immer stärker fühl¬
Das Bootsunglück bei Grünan, das sich am 23. Juli 1916
gehen als
baren Benachteiligung der Aerzteschaft geführt. Daher hatte die infolge des Zusammenstoßes des Dampfers „Hindenburg“ mit
dem Motorboot „Anna“ ereignete und 22 Menschenleben for¬
Aerztekammer den Vertrag gekündigt und verlangt, daß für
Die
derte, wird demnächst auch das Reichsgericht beschäftigen. Die
Familie und Jahr ein Honorar von 5 Mark gezahlt würde. Die
Schuld an dem Unglück wurde bekanntlich dem Führer des Damp¬
Tagen ha
Stadt hat diese Forderung abgelehnt und beabsichtigt anscheinend
fers „Hindenburg“, dem Schiffsführer Gottlieb Kanwische:
einberufen
einen Ausweg zu wählen, den sie bereits früher angekündigt
zur Last gelegt, der von der ersten Strafkammer des Landgerichts 12
Obst vor
hatte. Statt der Pauschalsumme an die Aerzteschaft soll den Unter¬
wegen fahrlässiger Tötung und wegen fahrlässiger Bewirkung des
stützungskommissionen für die erkrankten Kriegerfamilien
Sinkens eines Schiffes zu 1 Jahr Gefängnis verurteilt
den Groß
eine Barentschädigung überwiesen werden, um damit die Kosten in
wurde. Kanwischer wurde zwar aus der Untersuchungshaft ent¬
wohl kein
Krankheitsfällen zu bestreiten. Nach allen Erfahrungen mit derarti¬
lassen, da er ein geborener Russe ist, aber in Schutzhaft genommen,
aus der er jetzt auf Antrag seines Verteidigers, Rechtsanwalts Bahn
erst einer
gen Unterstützungen muß mar aber bezweifeln, ob man, wie es in
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sehr, mein Fräulein, das ist ja wirklich eine sehr praktische
besonders für Gauner.“
Einrichtung
Doktor Gräsler, Badearzt
„Die hätten kein Glück, erwiderte das junge Mädchen. „Wir
3
sind hier lauter ehrliche Leute.“
Erzählung
Daran zu zweifeln liegt mir selbstverständlich fern. Aber
von
[Nachdruck verboten.]
115. Fortsetzung.]
wofür werden mich nun woh' die Leute gehalten haben?“
Arthur Schnitzler.
„Für einen Fremden; was Sie doch wohl auch sind.“ Sie
b1
blickte ihm neugierig ins Gesicht.
Gegen seine sonstige Gewohnheit wählte er diesmal
„Man könnte mich wohl so nennen,“ erwiderte er, schaute in
eine weiche Form mit ziemlich breiter Krämpe, fand im
u
die Luft, und dann sich rasch wieder an seine Nachbarin
Spiegel, daß sie ihm besser zu Gesichte stand, als die
sa
wendend: „Für was für eine Art von Fremden würden Sie
steifen Kopfbedeckungen, zu denen er sich sonst verpflichtet
uns
mich wohl halten?“
glaubte, und komtte es unmöglich für Täuschung halten,
irgendwe
„Jetzt höre ich Ihnen natürlich an, daß Sie ein Deutscher
das ist d
als ihn bei Fortsetzung seines Spazierganges in be¬
„l
sind, vielleicht ganz aus der Nähe. Aber im Anfang, da habe!
ginnender Dämmerung mancher Frauen= und Mädchenblick
„Aber
ich gedacht, Sie sind von weit her aus Spanien oder
freundlich zu mustern schien. Plötzlich fiel ihm ein, daß
solchen
Portugal.“
indes ein Brief von Sabine angekommen sein könnte; er
mit Ihn
„Portugal?“ wiederholte er und griff unwillkürlich nach
eilte nach Hause; eine Anzahl von Briefen war eingelangt,
„Ein
seinem Hut. „Nein, in Portugiese bin ich freilich nicht. Ich
zumeist noch aus dem Badestädtchen nachgesandt; — von
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kenne es allerdings ein wenig.“ setzte er beiläufig hinza.
Sabinen war nichts darunter. Zuerst enttäuscht sah er doch
„Ja, das denk ich mir, Sie sind wohl viel in der Welt
ein, daß er Unwahrscheinliches, ja Unmögliches erwartet
herumgekommen.“
hatte, verließ das Haus von neuem und spazierte wieder
„Ein wenig,“ erwiderte Gräsler, und in seinen Augen
planlos in den Gassen umher. Später kam er auf den Einfall,
glänzte es mild von Erinnerungen fremder Länder und Meere.
mit der Trambohn, die eben neben ihm hielt, eine Strecke
Er merkte mit Befriedigung, daß der Blick des jungen
weit zu fahren. Er blieb auf der rückwärtigen Plattform
daß ic
Mädchens außer Neugier auch eine gewisse Bewunderung zu
stehen und erinnerte sich, nun zum ersten Male mit leiser
bürtig un
verraten begann. Ganz unerwartet sagte sie aber: „Hier muß
Wehmut daß an Stelle des vorstädtischen Viertels, das er
gestehend
ich aussteigen. Wünsche weiter gute Unterhaltung in unserer
durchfuhr, noch in seinen Jünglingsjahren nichts anderes zu
Das
Stadt.“
sehen gewesen war als freies Feld und Ackerland. Die meisten
„Nein, w
„Danke sehr mein Fräulein,“ sagte Gräsler und lüftete
Fahrgäste waren allmählich ausgestiegen, und jetzt erst fiel
sich wahr
im auf, daß sich bisher kein Schaffner gezeigt hatte. Er warf
den Hut. Das junge Mädchen war ausgestiegen und von der
P 4
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einen Blick rings um sich und merkte, daß zwei Augen den
Straße her nickte es ihm zu; vertrauter, als es die kurze Dauer
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seinen mit freundlichem Spott begegneten. Sie gehörten einem
der Bekanntschaft hätte erwarten lassen. Einer kühnen Ein¬
dringend
jungen, etwas blassen Mädchen, das einfoch, aber anmutig
gebung folgend sprang Gräsler von dem Wagen ab, der sich
Sie
hell gekleidet, wohl schon geraume Zeit u ben ihm auf der
eben wieder in Bewegung setzte, trät auf das Mädchen zu, das
sie: „Wei
Plattform stand. „Sie wundern sich wohl, daß kein Schaffner
verwundert stehen geblieben war, und sagte: „Da Sie mir eben
morgen
kommt,“ sagte sie, den Kopf nach oben werfend, und unter
gute Unterhaltung gewünscht haben, mein Fräulein, und die
„Gerr
unsere so vielversprechend anfing, wäre es vielleicht das
Hand festhielt, heiter zu Gräsler aufblickend.
Beste
„Das
„Allerdings,“ erwiderte dieser etwas steif.
schäft aus
Vielversprechend,“ unterbrach ihn das Mädchen. „Ich
Kleiman
„Es gibt hier nämlich keinen,“ erklärte das junge Mäd¬
wüßte nicht.“ Es klang wie eine ehrliche Ablehnung; und so
sieben Uh
chen. „Aber da vorn beim Wagenführer, sehen Sie wohl, da
fuhr er in etwas bescheidenerem Tone fort: „Ich wollte
ist eine Büchse, da werfen Sie Ihr Zehnpfennigstück hinein,
recht ist,
sagen — mein Fräulein, Sie verstehen so anmutig zu
und die Sache ist in Ordnung.“
plaudern, und es wäre doch eigentlich schade —“
fahren.“
„Danke sehr,“ sagte der Doktor, begab sich nach vorn, tat,
Sie zuckte leicht die Achseln. „Ich bin schon zu Hause und
wie ihm geheißen, kam zurück und wiederholte: „Ich danke man erwartet mich zum Abendessen.“
haben?“