I, Erzählende Schriften 29, Doktor Gräsler, Badearzt, Seite 52

Doktor Graesler
Badearzt
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29 MselSadauun
1. Beiblatt.
Druck und Verlag von Rudolf Mosse in Berlin.
Berliner Tageblatt.
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S
aus mehr als zehn Mann, von denen acht jetzt verhaftet werden
hnmt kandwirtschaft.
Mehldiebstähle und Mehlverschiebungen.
konnten, und zwar der Schankwirt Wiedner aus der Eichen¬
Der Magistratsantrag
17 Personen auf der Anklagebank.
dorfstraße 17, die Stallschweizer und Kuhmelker Franz Pietka
Otto Straßenburger, Wilhelm Nehls und Rudolf
Gegen 17 Personen richtet sich eine Anklage, die die erste Straf¬
t34 Jahren wirkende
Lörtscher, der Fuhrherr Johann Wenger aus der Adalbert¬
kammer des Landgerichts I jetzt beschäftigt. Sie richtet sich gegen
straße 29, der Händler Johann Herowitz aus der Invaliden¬
s hielt gestern seine
den Bäckermeister Julius Ernst, mehrere Mehlkutscher und eine
straße 16 und der Stallschweizer und Melker Steiger, der auf
chweis vom Stadtrat
Anzahl von Bäckermeistern, Konditoren und Kaufleuten und be¬
übernommen wurde.
dem städtischen Gute Buch beschäftigt war. An der Spitze der Ge¬
zieht sich auf Mehldiebstähle und Mehlverschiebungen
sellschaft stand Wiedner; er gab für alle Unternehmungen die er¬
il seine Tätigkeit be¬
in großem Umfange. Dem Vorsteher Julius Wolff von der
ng in der bisherigen
forderlichen Weisungen; zu ihm brachten die Einbrecher auch die
Revisionsabteilung der Brotversorgungsstelle des Berliner Magi¬
kadtverordneter Adolf Beute. Die Diebe hatten es besonders auf Fleischwaren ab¬
strats war es bei verschiedenen Revisionen von Bäckermeistern auf¬
desrat Dr. Freund
gesehen. Auf ihren nächtlichen Beutezügen plünderten sie wieder¬
gefallen, daß sie Mehl in größeren Mengen, als ihnen zugewiesen
Leitung der umfang¬
holt ganze Räucherkammern auf den Gütern aus und erbeuteten
war, verarbeiteten. Die Ermittelungen ergaben, daß die Bäcker¬
nnung auszusprechen.
Fleisch und Fleischwaren in großer Menge. Nehls, Pietka und
meister Mehl von Mehlkutschern gerauft hatten, die das ihnen zur
uten und Fabrikanten,
Steiger führten einen Einbruch in Buch aus. Die Fahrt dorthin
Beförderung anvertraute Mehl auf der Fahrt unterschlagen hatten:
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einen Brief aus Lanzarote zu erwarten habe hinsichtlich
Zeiten, doch schweigend, unter den Tannen im matten Licht¬
gewisser Bedingungen die zu stellen er bemüßigt gewesen
schein vom Hause her der Straße zu, wo der Wagen wartete.
adearzt
und würden ihm die nicht gewährt, so sei er ent¬
Plötzlich aber, fast unwillkürlich, hielt Gräsler inne und fragte:
schlossen, den kommenden Winter zu Studienzwecken an ver¬
„Sind Sie mir böse, Sabine?“ — „Böse?“ erwiderte sie tonlos.
schiedenen deutschen Universitäten zu verbringen. O, er wäre
„Warum sollt ich?“
„Mein Brief, ich weiß es ja, mein un¬
[Nachdruck verboten.)
auch in seiner Vaterstadt keineswegs müßig gewesen, nicht
glückseliger Brief.“ Und da er sie, im Dunkel, nur schmerzlich
nur, daß er das Krankenhaus fleißig besucht, er habe sogar
mit einer abwehrenden Handbewegung zusammenzucken sah.
Privatpraxis ausgeübt. Ganz zufällig natürlich. Ein Kind
versuchte er, hastig, im Gefühl sich immer unrettbarer zu ver¬
das besonders
war es gewesen, ein reizendes kleines Mädchen von sieben
stricken, eine Erklärung. Sie habe seinen Brief mißverstanden,
m muß ich morgen
Jahren, das Töchterchen einer Witwe, die in seinem Hause
völlig mißverstanden. Seine Gewissenhaftigkeit, sein Pflicht¬
Sie, meine Damen,
wohnte. Er konnte sich dem nicht entziehen. Es war ein
gefühl habe ihn zu diesem Briefe veranlaßt. Oh, wenn er
icht einmal geant¬
nicht unbedenklicher Fall gewesen... Scharlach. Aber das einfach seinem Herzen, seiner Leidenschaft gefolgt wäre! — Er
wir uns einigen
hatte sie ja geliebt, angebetet, vom ersten Augenblick an, da er
Kind war nun außer aller Gefahr. Soust hätte er kaum
abreisen können. Während er so redete versuchte er das Bild
ein und Gräsler
ihr am Krankenbett der Mutter gegenübergestanden war. Aber
das versäumte Ge¬
der Frau Sommer in seiner Erinnern hervorzurufen; aber
er hätte ja nicht den Mut gehabt, an sein Glück zu glauben.
Nach einem so lichtlosen, so einsamen, so friedlosen Dasein.
immer erschien statt ihrer die Dame mit dem Puppengesicht
ine dann, hat sich
ren. Seit ein paar
aus dem illustrierten Familienblatt, die seine Träume auf der
Er hatte nicht mehr zu hoffen, nicht zu träumen gewagt. Ein
Freund, der Bau¬
alter Mann wie er! Beinah ein alter Mann. Denn freilich.
Schiffsreise erfüllt hatte. Offenbar bestand eine gewisse Aehn¬
kommen.“
— „Mein
nicht die Zahl der Jahre mache die Jugend aus, das fühle er
lichkeit; — ja natürlich, war sie ihm nicht gleich aufgefallen?
hätte er mich wohl
wohl. Gerade in den endlosen Wochen der Trennung habe er
Sabine hatte seinen letzten Mitteilungen anscheinend mit
es einsehen gelernt. .. Aber ihr Brief, dieser wunderbare,
e den Kopf, schwer
wachsendem Anteil, doch wie er vielleicht nur aus seinem
meister eine bittere
himmlische Brief — oh, solcher Worte war er nicht wert
bangen Gewissen heraus fürchtete, mit geringem Glauben
gewesen. So überstürzten und verwirrten sich seine Worte,
zugehört, und beinahe unvermittelt begann sie von ihren
und er wußte, daß er die rechten nicht fand, nicht finden konnte,
rianeilden Giten
beiden Freundinnen zu erzählen, deren Gräsler sich wohl
weil zwischen seinen Lippen und ihrem Herzen der Weg ver¬
rasch. „Nach meiner
erinnern dürfte, und von denen die jüngere sich mit einem
schüttet war. Und als er endlich, hoffnungslos, mit dem fast
dieses Klima hier!
verspäteten Kurgast aus Berlin verlobt hätte. Zur Hochzeit
erstickten Ausruf endete: „Verzeihen Sie, Sabine, verzeihen Sie
päischenWinter noch wollte man hinreisen, und bei dieser Gelegenheit, wie die
mir“
hörte er sie wie aus der Ferne erwidern: „Ich habe
er bei der mangel¬
Mutter bemerkte, sich nach langer Zeit wieder einmal in den
Ihnen nichts zu verzeihen. Aber es wäre hübscher gewesen,
mber auf der Insel Großstadttrubel stürzen. Von neuem und ungeduldiger, be¬
wenn Sie nicht gesprochen hätten. Das hab' ich gehofft. Sonst
er sich weder ange¬
schwörend beinahe, richtete Gräslers Blick an Sabine die
hätte ich Sie gebeten nicht zu kommen.“ Ihre Stimme klang
atz schon ausgefüllt
Frage: Wie ist's nun eigentlich mit uns Beiden? Aber ihre
nun so hart, daß Gräsler mit einem Male neue Hoffnung faßte.
er ja nicht barauf Augen blieben undurchdringlich, und wenn sie auch im Laufe
War es nicht beleidigte Liebe, die sie so unversöhnlich machte?
eer sich ein halbes
des Ahends freundlicher, ja milder geworden schien, er fühlte,
Beleidigte Liebe, — aber eben doch Liebe, die noch vor¬
nn er sich nur ein
daß er das Spiel endgültig verloren hatte. Doch wehrte sich
handen war, deren sie sich nur schämte? Und er begann mit
sgänzlich aufgeben.
sein Stolz dagegen, eine solche, gleichsam stumme Verab¬
neuem Mut: „Sabine — ich will nichts von Ihnen erbitten,
war gar nicht im¬
schiedung, wie sie ihm zugedacht schien, hinzunehmen, und er
als dies eine —
daß ich im nächsten Frühjahr wiederkommen,
arbeiten, Menschen
war entschlossen, Sabine vor seinem Fortgehen um eine
Sie im nächsten Frühjahr noch einmal fragen darf.“ — Sie
, tätigen Mannes
Unterredung zu bitten. Als er sich erhob und mit erkünstelter
unterbrach ihn: „Es ist recht kühl heraußen. Leben Sie wohl,
doch noch an dieses
Leichtigkeit auf die Möglichkeit eines weihnächtlichen Wieder¬
Doktor Gräsler.“ Und er glaubte trotz der Dunkelheit ein
mt das ihn für sein
Berlin anspielte,
stand auch Sabine
sehens, in
spöttisches Lächeln auf ihrem Antlitz zu sehen, als sie hinzufügte:
ihn vielleicht noch
vom Tisch auf, und ihre Absicht war unverkennbar,
„Ich wünsche Ihnen für weiterhin alles Gute!“
„Sabine!“
Und
plötzlich, daß er bis= dem Gast das Geleite
geben.
o gingen
rossen, daß er noch sie denn Seite an Seite, wie in jenen schöneren!
(Fortsetzung folgt.)