I, Erzählende Schriften 29, Doktor Gräsler, Badearzt, Seite 62

Doktor Graesler
Badearzt
29.
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D JI.AUSL
SGTZU
Lebensekel, dessen er und der alter Jugendfreund, der Justizrat Böhlinger, verwaltet. In dem Kur¬
eines Lächelns erwehren können, städtchen nimmt Dr. Gräsler sein Philisterleben ohne viel Erinnerungen
alen Worte: Ja, so ist das an die tote Schwester auf, findet einen Stammtisch und würde
wohl niemals die Abenteuer erlebt haben, die das Schnitzlersche

eine Erzählung, so hat Buch füllen, wenn er nicht eines Tages in das Försterhaus
Buch genannt. Die Handlung gerufen würde, was ihm eigentlich recht verdrießlich ist und ihn in
ein korrekter, wohlkonservierter seinen Gewohnheiten stört. Er fährt also in das Försterhaus, er
dem Hoteldirektor auf er Bade= wird dort von einem sehr hübschen, etwa fünfundzwanzigjährigen
ach Beendigung der Badesaison Mädchen empfangen. Die Patientin ist die Frau des Hauses,
en hat Dr. Grösler ein halbes die Mutter Sabinens, so heißt die junge Dame. Der Fall ist
fungiert und geht jetzt nach ganz bedeutungslos, eine Magenindisposition, aber dieser Besuch
kleinen Kurörtchen als Kurarzt wird etwas wie das Schicksal für Dr. Gräsler. Er
wird in den Familienkreis im Forsthause hineingezogen.
verbringen.. Das ist Herrn
att bekommen hat, als Lloydarzt
Dieser Familienkreis besteht aus dem Vater, der Mutter,
hat erst kurz vor Abschluß
Sabine und einem siebzehnjährigen Bruder. Es sind durchaus
ein sehr trauriges Erlebnis nicht Försterleute, sondern das Haus, das einmal ein Forsthaus
Schwester Friederike, die war, kann eine solche Vermutung aufkommen lassen. Jetzt ist es
ihm die Wirtschaft der Ruhesitz eines ehemaligen Opernsängers, der die Stimme ver¬
Mund
ihm unerklärlichen Gründen er¬
loren hat, von seinem wahrscheinlich recht bescheidenen verflossenen
Bühnenruhme träumt und sich halb verbittert und halb epikuräisch
kisler eigentlich nicht allzu nahe.
mit guten Weinen und schweren Zigarren eine Arteriosklerose zu
hmerz ist es die Störung seiner
ichkeit, die ihn etwas erschüttert erwerben im Begriffe ist. Sabine ist ein eigenartiges Mädchen,
bstmordes tröstet er sich mit der der Vater wollte durchaus, sie möge die Bühnenkarriere ein¬
s Spuren er an dem gealterten schlagen, trotz ihrer Talente ist sie plötzlich gegen den Willen der
bahrnehmen wollen. Dr. Gräsler Ihren Krankenpflegerin geworden und jetzt sitzt sie zu Hause und
Er stammt aus ziemlich wohl- wir ahnen, daß sie ein tief unbefriedigtes Wesen ist. Sie wirkt
deutschen Mittelstadt, die wir zauberhaft auf Dr. Gräsler, in dem sich plötzlich neue
aber vom Autor weiters Aktivität und Jugend regt. Er glaubt in Sabine
haben, er ver¬
Mit kühlem Egoismus ein spätes Lebensglück gerunden
ie Freuden der Liebe gelegent= handelt wegen des Ankaufs eines vernachlässigten Sanatoriums
für seinen Beruf und seine im Ort und alles scheint im richtigen Geleise zu sein. Aber
rein geschäftliches geworden, er Dr. Gräsler leidet an geringem Selbstoertrauen, an einer Un¬
n großen Schiffsreisen gesehen, sicherheit. an einer gewissen Lebensfurcht, er entschließt sich nicht
n, denn Abenteuerlust war nie= zum entscheidenden Wort und da schreibt ihm Sabine einen ganz
sterseele, die sich hinter seinem wundervollen Brief, in dem sie ihm sagt, daß sie für ihn, wenn
als Kur= und Badearzt verbirgt. auch nicht Liebe, so doch Freundschaft empfinde, daß sie, wenn er
in das Kurstädtchen, wo er des um ihre Hand anhält, ja sagen würde, sie erzählt ihm, daß sie
nd gedenkt gelegentlich auf kurze einst für einen Bühnenkünstler schwärmte, daß sie dann mit einem
en, wo er mit seiner Schwester jungen Arzt, der früh stab, verlost war, in eigentümlich herber
hnung besitzt und wohin er auch Weise gibt sie ein Bild von sich, zeigt gleichzeitig, daß sie Grietes
bester muß, die mittlerweile sein Schwächen kennt, und erzielt in diesem einen ganz merkwürdigen Eifekl.
IAUHTSN
Neue Züricher Zeitung
der als der schüchterne Knabe, der er ist, in dem eine gewisse Kälte bestimmt, eine alte Jungser zu
werden. Aber mit diesem natürlichen Mädchen,
ganzen Liebeswerben immer im entscheidenden
Feuilleton.
das eines Morgens einfach mit dem kleinen Kof¬
Moment seine Truppen etwas zurückzieht. So
ser bei ihm steht, würde er sich vermählen, denkt
schreibt sie denn: „Ich habe nichts dagegen, falls
Doktor Gräsler, Badearzt.
er, bis ihm neben der kleinen Ladenmamsell doch
Sie mich fragen wollten, ob ich Ihre Frau werden
Erzählung von Arthur Schnitzler.
immer wieder das reine, lieblichere Wesen Sa¬
möchte.“ Freilich wird in dem Brief das Wort
binens teurer als je wird. Aber Sabines Herz
Liebe durch Freundschaft ersetzt, und die Liebes¬
E. K. Kommen Ste mitener ettn hlonden
hat sich erkältet. Sie ist gütig, aber kalt. Bleibt
briefstellerin spricht noch mehr von dem Sana¬
Frau wieder, sie darf übrigens auch brünett sein,
dem Doktor Gräsler nichts übrig, als zurück zur
torium, dem sie beide als Kollegen vorstehen wol¬
ruft man dem scheidenden Badearzt (auf den er¬
Ladenmamsell, die scharlachkrank in seinen Ar¬
len. Auf diesen, zum mindesten sechzehnseitigen
sten Seiten des Romans) nach, der auch in der
men stirbt; er weiß, daß sie den Tod ihm ver¬
Brief, sollte man glauben, würde der Doktor im
nächsten Saison mit einer netten Frau erscheint,
dankt. Weiß aber in dem furchtbaren Schmerze
nächsten Blumenladen die schönsten Rosen er¬
die er auf der zweitletzten Seite und erst noch in
noch nicht, daß er die Mutter dieses scharlach¬
stehen und mit dem Zylinder bei den Eltern vor¬
einem Nebensatz des Romans heiratete.
kranken Kindes heiraten wird, von dem er die
sprechen, die unisono ihr Jawort geben würden.
Das ist bester Schnitzlerart: Scheinbar geht
Todeskeime auf seine Geliebte übertrug. Das ist
Statt dessen empfiehlt er der holden Jugend seiner
alles glatt und korrekt, als ob nichts vorgefallen
die Geschichte des Badearztes Doktor Gräsler.
Freundin Sabine Bedenkzeit an, er dürfe als
wäre, in Wahrheit aber hat dieser Doktor Gräsler,
Sicher ist die Figur des Doktor Grösler über
alter Mann das Glück nicht so rasch an sich reißen,
an dem die Leute keine andere Veränderung be¬
die des wählerischen Junggesellen, der am Ende
nicht seinetwegen, sondern um ihrer Zukunft wil¬
merkten, als daß er vom steifen Hut zum weichen
bescheidener wird, nicht sehr hinausgewachsen,
len. So reist er in seine Heimatstadt, um in vier¬
Filz überging, turbulente Stürme in seinem Her¬
zehn Tagen wiederzukommen. Und hier bandelt] oder schwebte Schnitzler der passive Mann vor,
zen erlebt. Man denke: Er lebte mit seiner
der nicht wählt, sondern gewählt wird? Die
er mit einem Mädchen auf der Trambahn an,
Schwester zusammen, einem in Würde alternden
Schönheiten des Romans liegen in der Reife und
trotzdem es nie seine Art war, und er jetzt am we¬
Mädchen, von dem er wohl wußte, daß sie zuwei¬
dem seelischen Takt der Erzählung selbst, über
nigsten Grund hat, da er doch vor der Erfüllung
len von einer linden Melancholie heimgesucht
der bei aller elegischen Grundstimmung etwas
seines Lebensglückes mit Sabine steht. Schnitzler
wurde, aber nicht ahnen konnte, daß sie eines
Goldiges und Beruhigendes liegt. Den Freunden
läßt die beiden Frauenfiguren durch das nüch¬
Tages voreiligen Schluß mit dem Leben machen
von Schnitzlers in sich gekehrter, sich immer gleich
terne Leben des Junggesellen gehen, so daß Sa¬
würde. Erst später errät und kombiniert er aus
schön bleibender, aber ohne Ueberraschungen ent¬
bine, die er heiraten möchte, ihn erst befähigt, mu¬
ihren Briefbündeln ihren Herzensroman. Man
faltender Kunst wird diese Erzählung, die bei
tiger gegen Frauen zu sein, denen er ja besser ge¬
weiß, daß Schnitzler einer der größten Briefsteller
S. Fischer in Berlin soeben erschienen ist wir¬
fällt als er glaubt. Sabine hat er ehrfürchtig ge¬
der Ziebe ist. Auch in diesem kleinen Roman steht
kommen sein.
liebt, aber er wäre nicht glücklich geworden, denn
ein erstaunlicher Liebesbrief. Ein siebenundzwan¬
zigjähriges Mädchen schreibt ihn Doktor Gräsler, sie war vom Schicksal durch ihre Güte und auch