I, Erzählende Schriften 29, Doktor Gräsler, Badearzt, Seite 66

29. Doktor Graes
Badearzt
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Ostbökse Su
— rss
e1.396 1917
„u. getadlt Milo
„Dr. Grädler Badearzt.“ Erzählung von Artur
—chuitler hat Nelie und Stil. Ueberall wo der deutsche moberne
Bücher gelesen werden, wird man nach diesem Buche greifen.
Viele sind nach und neben Schnitzler gekommen. Keiner erreicht
diesen Arzt in der Feinheit und Ausgeglichenheil des Stiles.
Diele ruhig fließende Art des Erzählens ist eine große kaum je
erreichte Kunst. Schnitzler nimmt häufig Aerzte und andere kulti¬
vierte Menschen zum Gegenstand. Jedes Buch beweist, daß er
weiter gewandert ist, die Weisheit zu finden. Dieser D. Gräsler
int nur einer Grzählung zu benannt und doch, welche Füll“ von
Licht ist über dieses Werk ausgebreitet, dem eine munhersame
nes Ansbruckes eine# 12
Kunst
29 Aba19 Wossische Zeitung, Berlin
Ein neuer Schuitzier
Von Arthur Schnitzler hat man während dieser drei Kriegsjahre
keine Kundgeb###g vernommen. Es ist, als hätte der Wiener Dichter
vor drei Jahren die dickgepolsterte Tür seines Arbeitszimmers
hinten sich zugeschlagen. Kein ###beherrschter Laut ist aus dieser
abgesperrten Stille hinausgedrußgen. Nun öffnet er die Tür und
wirf uns durch einen dünnen Spalt sein neue Auch zu*), wirft es
uns zu und verschwindet sogleich wieder in seine abgesperrte Welt.
Abgesperrte Welt — das ist die Atmosphäre auch seines neuen
Buches. Ein ganz gewöhnliches Dasein in seinen Irrgängen:
Der Badearzt Dr. Gräsler führt ein kleines, lustloses Leben,
ein dißchen Arbeit ohne Schwung aus Erwerbsgründen, ein
bißchen Genuß ohne Freude aus Egoismus, ein bißchen fade
Lebensneugier und über dem allen eine Luft voll Grauheit,
Stumpfheit, Sich=treiben=lassen. In das Dasein dieses herzlich
trivialen Menschen tritt ein lebendiges, schönes Wesen, die acht¬
undzwanzigjährige Sabine Schleheim. Der Ba## arzt behandelt.
die Eltern; ganz langsam gewinnt das schöne Mädchen Macht über
ihn. Im Begriffe, um sie zu werben, wird er durch einen Brief
Sabinens überrascht, der ihm mit schöner Freiheit sagt: „Ja, ich
gehe mit Dir, obwohl ...“ Es ist das Jawort einer Be¬
sonnenen, ohne Trunkenheit, aber mit der Wärme und Festig¬
keit eines reifen Mädchens ausgesprochen. Dieser Brief
abinens ist das schönste Stück des Buches, man darf ihn fust mit
Jenem unvergeßbaren Brief der Frau Fönß von Jens Peter Jakob¬
Zen in einem Atem nennen. Aber die Hand Sabinens war ins Leere
gestreckt. Ihr schöner Freimut hat die grämliche Seele Gräslers
nicht befreit, sondern in hundert Bedenklichkeiten verstrickt. Er liest
oden Orief einmal, zweimal und verliert die natürliche Fassung, er
liest in den Brief alleelei hinein und heraus, er tut, was innerlich
zunsichere Männer vor groß gewachsenen Frauenseelen so oft tun,
er schiebt seinen Entschluß hinaus, er flüchtet vor der Entscheidung.
Flüchtet in sein Heimatstädtchen und verliert sich dort ohne Ueber¬
gang sofort in einem kleinen Abenteuer mit einem rundlichen Bett¬
schatz. Je williger und je freigiebiger dieses kleine Mädel, desto
größer erhebt sich Sabinens Bild in dem Unentschlossenen. Eines
Tages ist er des rundlichen Kindes satt und kehrk in Sabinens Welt
zurück. Aber Sabine gehört nicht zu den vergeßlichen Frauen, sie
sieht den lebensfeigen Bräutigam nicht mehr. Er ist nicht mehr
vorhanden! Er versucht sich zu entschuldigen, ohne daß er angeklagt
wäre, aber die Mquer eines ungeheuren Stolzes verbirgt Sabine
Nr immner. 1
Arthur Schnitzler,
„Doktor Gräoler“, Novelle. Verlag
1
M Gicher, Barlz. 1917.
box 4/9
gtn
Die Geschichte ist mit Schnitzlerscher Technik zu Ende geschrieben.
Die niedliche Gelicbte stirbt an Scharlach, und Doktor Gräsler,
allein gelassen, entschlußschwach, wie er ist, wird zuletzt von einer
Dutzendwitwe zu einen Dutzendehe gegängelt. Wie man sieht, eine
höchst alltägliche, in ihrer Bitterkeit beinahe höhnische Geschichte.
Sie ist mit jener Schmucklosigkeit geschrieben, die Schnitzlers Stolz
und — seine Armut ausmacht. Man weiß nicht genau, ob der Ver¬
fasser die Melancholie seines jämmerlichen Helden verachtet oder
mitempfindet. Ein Autor mit weniger Skepsis, aber mehr Leiden¬
schaft, sagen wir: der große Lehrer Flaubert, wäre im Vortrag
dieser alltäglichen Geschichte weniger gleichmütig geblieben. Es
schlägt keine Flamme aus der zusammengestrichelten Dichtung.
Dlei Jahre lang hat Schnitzler geschwiegen. Hat die dicht gepol¬
sterte Tür seiner Stube wohlverschlossen gehalten. Was er uns jetzt
als Frucht dieser Abschließung bietet, ist das bläßliche Zimmer¬
produkt aus einer abgesperrten Welt.
Stefan Gryügehn.
2.3
VIENER ABENOPogT
Literarische Notizen.
(„Doktor Gräsler, Badearzt.“ Erzählung von
rtur Schnitzler. S. Fischer Verlag in Berlin.) Das
Erscheinen einer neuen Arbeit Schnitzlers interessiert an
sich. Eine novellistische erweckt künstlerisch befondere Er¬
wartungen, denn die Dichtungen des Wiener Dramatikerss
nehmen auch auf dem Gebiete der epischen Gattung hohen!:
Rang ein. Schnitzler ist ein Erzähler von der besten
österreichischen Art; er verfügt über die echte, ruhige, ##:
zuständliche Darstellungsform. Die Vorliebe für das
psychologische Kleinleben kann sich in der epischen!
Darstellung weit ungezwungener und vertiefter ent#t
wickeln; gewisse problematische Feinheiten und sexuelle
Überreize, die ein wesentliches Merkmal des Schnitzlerschen
Stoffkreises bilden, vermögen in der erzählenden Form weit
mehr Überzeugungskraft anzunehmen als im Drama. Schon
die Herkunft der meisten Schnitzlerschen Schauspiele auss!
dem strengsten und auch engumgrenzten Subjektivismus ergibt
für seine Art ein Hinneigen zur Darstellung von Zu¬
ständen gegenüber jener nackter Wirkungen. Nicht die Tat,
di. Wirkung, sondern Tatumstände, Möglichkeiten, Re¬
flexionen sind das Lockende. Er zerlegt mehr, als er aufbaut.
Auch die jüngste Erzählung enthüllt. Die Menschen erleben
nicht ihre Schicksale in dieser Novelle; diese liegen fast ab¬
geschlossen hinter ihnen. Der Dichter zerlegt die seelische Er¬