I, Erzählende Schriften 29, Doktor Gräsler, Badearzt, Seite 68

Badearzt
29. Doktor Graesler
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—5 Je#i*, König
brüdersche
##. gehalten Ludwig von Bayern wird Anfang September den fränkischen
Per niederländische Generalkonsul wohnte dem Begräbnis bei.
Städten Bayreuth, Bamberg und Hof einen Besuch abstatten. In! sprach der
Die Geschichte ist mit Schnitzlerscher Technik zu Ende geschrieben.
Ein neuer Schnitzler.
Die niedliche Geliebte stirbt an Scharlach, und Doktor Gräsler,
Goetb

allein gelassen, entschlußschwach, wie er ist, wird zuletzt von einer
Von Arthur Schnitzler hat man während dieser drei Kriegsjahre
Dutzendwitwe zu einen Dutzendehe gegängelt. Wie man sieht, eine
keine Kundgebung vernommen. Eo ist, als hätte der Wiener Dichter
höchst alltägliche, in ihrer Bitterkeit beinahe höhnische Geschichte.
vor drei Jahren die dickgepolsterte Tür seines Arbeitszimmero
Nicht
Sie ist mit jener Schmucklosigkeit geschrieben, die Schnitzlers Stolz
hinten sich zugeschlagen. Kein unbeherrschter Laut ist aus dieser
kräftig, u
und — seine Armut ausmacht. Man weiß nicht genau, ob der Ver¬
abgesperrten Stille hinausgedrungen. Nun öffnet er die Tür und
längt, h
fasser die Melancholie seines jämmerlichen Helden verachtet oder
gangen::
wirf uns durch einen dünnen Spalt sein neues Buch zu*), wirft es
mitempfindet. Ein Autor mit weniger Skepsis, aber mehr Leiden¬
uns zu und verschwindet sogleich wieder in seine abgesperrte Welt.
selten ge¬
schaft, sagen wir: der große Lehrer Flaubert, wäre im Vortrag
vielleicht
Abgesperrte Welt — das ist die Atmosphäre auch seines neuen
dieser alltäglichen Geschichte weniger gleichmütig geblieben. Es
tenheiten
Buches. Ein ganz gewöhnliches Dasein in seinen Irrgängen:
schlägt keine Flamme aus der zusammengestrichelten Dichtung.
genialer
Der Badearzt Dr. Gräsler führt ein kleines, lustloses Leben,
Duei Jahre lang hat Schnitzler geschwiegen. Hat die dicht gepol¬
sie in St
ein bißchen Arbeit ohne Schwung aus Erwerbsgründen, ein
sterte Tür seiner Stube wohlverschlossen gehalten. Was er uns jetzt
tigen Ge
bißchen Genuß ohne Freude als Egoismus, ein bißchen fade
als Frucht dieser Abschließung bietet, ist das bläßliche Zimmer¬
Weichheit
Lebensneugier und über dem allen eine Luft voll Grauheit,
produkt aus einer abgesperrten Welt.
dort der
Stumpfheit, Sich=treiben=lassen. In das Dasein dieses herzlich
Stefan Großmann.
hier wie
trivialen Menschen tritt ein levendiges, schönes Wesen, die acht¬
Kraftgefih
undzwanzigjährige Sabine Schleheim. Der Badearzt behandelt
Der Philharmonische Chor beginnt mit seinen Proben
der Urfa
die Eltern; ganz langsam gewinnt das schöne Mädchen Macht über
am 30. August im Saal Bechstein. Es gelangen zunächst zur
tige ist,
ihn. Im Begriffe, um sie zu werben, wird er durch einen Brief
Vorbereitung die H-moll=Messe und Kantaten von Jo¬
Welt un
Sabinens überrascht, der ihm mit schöner Freiheit sagt: „Ja, ich
hann Sebastian Bach. Die Abholungsfrist für Zuhörerkarten er¬
wäre der
lischt mit dem 10. September. Vom 11. September an werben
gehe mit Dir, obwohl ...“ Es ist das Jawort einer Be¬
sämtliche nicht bei Bote u Bock abgeholten Karten an neu ange¬
Schauspie
sonnenen, ohne Trunkenheit, aber mit der Wärme und Festig¬
meldete zuhörende Mitglieder vergeben.
Warun
keit eines reifen Mädchens ausgesprochen. Dieser Brief
Das Deutsche Theater eröffnet seine Winterspielzeit am
neit
Sonnabend mit einer Aufführung von „Faust“. (Eduard v. Win¬
trägt, der
jenem unvergeßbaren Brief der Frau Fönß von Jens Peter Jakob¬
terstein Faust, Bruno Decarli Mephisto, Lucie Höflich Gretchen.)
entwirrt,
sen in einem Atem nennen. Aber die Hand Sabinens war ins Leere
Deutschland, Deutschland, über alles. Ein Leser schreibt
schlechtsli
gestreckt. Ihr schöner Freimut hat die grämliche Seele Gräslers
uns: Zu Ihrem kürzlichen Aufsätzchen „Deutschland über alles kann
der opfer
nicht befreit, sondern in hundert Bedenklichkeiten verstrickt. Er liest
ich aus eigener Erfahrung von einem Gegenstück berichten. Es
Wahrsche
den Brief einmal, zweimal und verliert die natürliche Fassung, er
war in Lugano im Sommer 1913 bei einem der allwöchentlich
scheiterte,
liest in den Brief allerlei hinein und heraus, er tut, was innerlich
auf der Piazza di Risorma stattfindenden, vor Militärmusik aus¬
Außerort
unsichere Männer vor groß gewachsenen Frauenseelen so oft tun,
geführten Freikonzerte. Ungefähr in der Mitte des Programms,
das in der Regel aus Opernmusik, Walzern u. dgl. bestand, er¬
erschiebt seinen Entschluß hinaus, er flüchtet vor der Entscheidung.
Opfertat
tönten plötzlich die bekannten Klänge des „Heil dir im Sieger¬
Flüchtet in sein Heimatstädtchen und verliert sich dort ohne Ueber¬
hunderts
kranz". Sofort erhoben sich die ziemlich zahlreich anwesenden Eng¬
gang sofort in einem kleinen Abenteuer mit einem rundlichen Bett¬
länder von ihren Plätzen vor den Kaffeehäusern, um entblößten
einst mit
schatz. Je williger und je freigiebiger dieses kleine Mädel, desto
Hauptes ihre Nationalhymne „God save the King,“ bekanntlich
nicht ein
größer erhebt sich Sabinens Bild in dem Unentschlossenen. Eines
nach der gleichen Melodie gehend, anzuhören. Ich nahm denn auch
drängt,:
Tages ist er des rundlichen Kindes satt und kehrt in Sabinens Welt
an, es sei das eine aus mir unbekannter Veranlassung horvor¬
spielt, di
zurück. Aber Sabine gehört nicht zu der vergeßlichen Frauen, sie
gehende, eigens für die Engländer bestimmte Ovation gewesen.
mühen,
stehl den lebensfeigen Bräutigam nicht mehr. Er ist nicht mehr
In diesem Sinne erzählte ich davon anderen Tages am Mittags¬
sprung h
tisch in unserer deutschen Pension und rar höchlichst überrascht,
vorhanden! Er versucht sich zu entschuldigen, ohne daß er angeklagt
den irre
als man mir lachend erklärte, das Lied sei in diesem Falle weder
wäre, aber die Mauer eines ungeheuren Stolzes verbirgt Sabine
keit ins
als englische noch als deutsche, sondern als Schweizer Hymne
für immer.
theus=B.
(ich glaube mit den Anfangsworten „Rufst du, mein Heimatland“)
*) Arthur Schnitzler,
„Doktor Gräsler“, Novelle. Verlag
Worte g
gespielt worden, aus Anlaß eines schweizerischen Nationabseier¬
S. Fischer, Berlin 1917.
tages.
Bilde, e