ihrer zurückhaltenden und ihre Gestalten stets erst durch das
Wesen des Erzählers leitenden Art eigentlich fremd ist. Aber
auch so kommt die gewählte Form dem Bestreben entgegen,
das unmittelbare Erlebnis in seiner gewissermaßen schatten¬
losen Härte dem Beschauer zu entrücken und den romantischen
Schimmer der Verklärung in der Erinnerung ihrer kühlen und
doch innigen Anteilnahme dienstbar zu machen. Angeklagt
des Mordes an seiner Frau, von der er ein halbes Menschen¬
alter getrennt lebte, steht Dr. Deruga vor den Geschworenen.
Motive der Habsucht nach einem beträchtlichen Vermögen,
dessen Erbe der Begabte, doch allzeit Lässige durch den Todes¬
fall wurde, trägt die Gegenpartei, eine Baronin Truschkowitz,
Kusine der Getöteten, in den Kreis des Möglichen, ohne die
eigene Gier nach dem Anspruch zu verbergen. Vanalität des
Handelns und Empfindens mischt sich in die mähliche Ent¬
hüllung einer menschlich reinen Tat; denn sie geschah aus Mit¬
leid mit einer Totkranken, auf den Wunsch einer immer noch
Geliebten, die von der Qual letzter schmerzlicher Erfüllung
Erlösung heischte. Je tiefer die Huch in die Geheimnisse
dieser gegensätzlichen Zweimenschlichkeit, des geistvoll=kind¬
lichen und südlich=leidenschaftlichen Italieners und der nordi¬
schen Frau vordringt, die ihrer Natur nach eine Liebe fliehen
muß, von der sie sich doch ihr Leben lang nicht befreien kann,
um so reicher entfaltet sich auch wieder der Zauber ihrer
Kunst, die Verworrenheit menschlicher Gefühle auch auf ihren
abseitigen Wegen in Schönheit zu bejahen, und in der Ehr¬
furcht vor den Geheimnissen des Menschlich=Allzumenschlichen.
Diese Geschichte einer Liebe innerlich fremder und in dieser
Fremdheit doppelt einander verfallener Naturen bildet dann
den verborgenen Kern eines Schauspiels, in dem sich eine Fülle
von Charakteren mit der letzten Enthüllung ihres seelischen
Habitus in ihrer Stellung zu diesem Angeklagten offenbaren.
Dennoch bleibt für den Kenner der Huchschen Werke bei aller
Anerkennung der Vorzüge auch dieser neuen Variante die ab¬
schwächende Erinnerung an ein Schicksal und zwei Gestalten,
an denen gemessen (Lasko und Maielies in den „Königen
und der Krone") Deruga und seine unglückselige Mingo nur
den Widerschein einer stärkeren Glut bedeutet. Vielleicht hat
hier persönliches Erleben zu einer zweiten Auseinandersetzung
getrieben, die, ferner dem Herde, nur mehr die reflektorischen
Zuckungen einstiger Erregung zu geben vermochte.
Auch Arthur Schnitzler hat sich zur Herbstwende mit
einer neuen Erzählung eingestellt. Es ist ein herbst¬
jedem Sinne. Die Blätter haben
liches Buch
die
sich entfärbt, das Blut der Leidenschaft,
in so mancher Novelle, manchem Roman und geplauderten
Theaterstücken den lieben süßen Mädeln entgegenschlug, ist
ruhiger geworden. Eine leise Melancholie, die schon die
etwas greisenhafte Wiener Jugend so gut kleidete, träumt
von dem Ende aller Dinge. Einer, der bisher am Leben vor¬
beigelebt hat, sucht sich das Glück mit tapsigen Händen endlich
für die stillen Stuben eines immer noch nicht satten, allmäh¬
lich aber einsamen Fünfzigjährigen einzufangen. „Doktor
Gräsler Badearzt“, ist absichtlich kein Wiener, sein
Nationale ist allgemeiner gehalten, seine Persönlichkeit blässer
als in anderen Schnitzlerschen Liebesgeschichten. Es ist di
Geschichte eines Johannistriebes, die uns hier aufgetischt
wird, mit aller Gläubigkeit, aller. Sentimentalität, die uns
eine Zeit lang an diesem Autor gefiel. Gelegentlich ist sogar
bei den mancherlei Abenteuern dieses Suchers vor Töres¬
schluß ein leiser Anlauf zur Ironie zu verspüren, mit der der
Unerquicklichkeit des Vorwurfs vielleicht am ehesten beizu¬
kommen wäre. Aber der Teig ist nach dieser Richtung hin
nur sehr mangelhaft gesäuert. Drei Frauen beglückt der
Dr. Gräsler auf seinem Wege zur späten Ehe: eine etwas
herbe und bewußte, auch nicht mehr ganz jugendliche Jung¬
frau, deren Wesenheit ihm aber schließlich doch zu kühl er¬
scheint, als daß er sich die rechte abendliche Wärme von ihr
verspräche. Ein echtes und rechtes Schnitzlersches „süßes
Mädel“, Marke Handschuhladen, das den Doktor schon am
zweiten Abend in einer nicht mißzuverstehenden Toilette er¬
wartet; stürbe sie nicht am Scharlach, den er ihr selber leicht¬
fertig zugeschleppt, so würde sie Frau Doktorin. So wird es,
nach einigen großen Schmerzen einer kleinen Liebe, die Mutter
des Kindes, das jener Liebsten Unheil ahnungslose Ursache
war. Und Dr. Gräsler ist glücklicher Ehemann und Papa
dazu. Schnitzler ist auch in dieser abendlichen Liebesgeschichte
der alte feine Schilderer kleiner erotischer Schmerzen und
Stimmungen, der liebenswürdige Beklopfer seelischer Ab¬
sonderlichkeiten. Es wäre ungerecht zu sagen, seine Art habe
* Siehe Nr. 36 dieser Zeitschrift vom 9. September.
rrenrrere
macht, war immer in Bahr wie in einem besonderen Typus
vereinigt. Die leichte Fremdheit, der er stets bei nordischen
und damit protestantischen Menschen begegnet sein mag, hat
hierin ihre Ursache. Wer Mozartsche Musik liebt wie er, das
grabeske Barock der alten Stadt Salzburg sich wesens¬
verwandt empfand, ist einem Wesentlichen der katholischen
Welt verfallen, und von diesem Gefühl zum dogmatischen
Bekenntnis ist ein geringerer Schritt als dem Außenstehen¬
den erscheinen will. Und darüber wird keiner, der Augen hat,
in Zweifel sein, daß der Zug zum Katholischen in süd¬
deutschen Landen unter dem Einfluß des Weltkrieges, der so
manchen rationalistischen Geistesbau ins Wanken brachte, mit
neuer Lebhaftigkeit zu verspüren ist.
Der Roman ist eine weitere Folge in dem Zyklus der
Heimatromane, deren ein Dutzend zu schreiben und darin alle
österreichischen Menschheitsprobleme darzustellen sich Bahr in
guter Stunde vorgenommen hatte. Er ist ein Roman des
österreichischen Hochadels, der österreichischen Landschaft, oder
vielmehr der salzburgischen, die der Autor ja besonders liebt.
Sympathisch ganz außerhalb der künstlerischen Bedeutung er¬
scheint der Umstand, daß bei aller tendenziösen Zuspitzung doch
die Freiheit des Bahrschen Geistes und sein Verständnis für
jegliche Art das Gleichgewicht der kämpfenden Welten nicht
von vornherein zu Ungunsten der einen Partei verrückt hat.
Hier wenigstens ist das katholische Problem (im Gegensatz zur
„Stimme“) noch völlig aus den Stimmungswerten heraus
empfunden, wenn auch das dialektische Element, als dessen
Vertreter der aus anderen Romanen bekannte Hofrat Zingerl
auftritt, mit allen Salben der Tridentinischen Konzile ge¬
salbt erscheint. Mit unbestechlichem Sinne und dennoch
umnebelt vom Weihrauchdunst hat Hermann Bahr in
die Welt der katholischen Proselytenmacherei hineingeschaut;
ich kenne kein modernes Buch, in dem diese so ungemein klug
auf alles Seelische eingestellte Methode schärfer entblößt und
dabei freudiger bejaht wäre. Ein moderner Stimmungs¬
mensch, Zweifler an der erlösenden Wirkung aller Wissen¬
schaft, deren er mancherlei versucht hat, kehrt Graf Flayn in
die Heimat zurück. Der Vielspältige findet im Kreise arbeit¬
samer und erwerbsfroher Verwandtschaft Einfachheit des
Geistes, Geradheit des Gemüts, eine instinktive Bewußtheit
des rechten Weges. Er findet eine harmonische Landschaft,
eine in Bauten und Künsten, profanen und heiligen, ge¬
sicherte Welt, und seine Unruhe wird ganz allmählich von
diesem Zauber eingefangen. Dieser Duft von Stadt und
Landschaft, diese ruhige Würde einer alten Kultur, diese
Sicherheit bürgerlichen Verharrens in einer vorherbestimmten
Ordnung sind mit einer wunderbaren Meisterschaft hinge¬
zeichnet, nicht minder das allmähliche Erwachen und die
mannigfachen Reizungen des Weltkindes, sich dieser instink¬
tiv als gefährlich empfundenen und innerlich abgestoßenen
Welt neugierig zu nähern. Eine seltsame Liebe bereitet den
Boden, der mystische Zauber einsamer Kirchenhallen, das
Spiel geheimnisvoller Lichtbrechungen durch bemalte Schei¬
ben, die immer gleiche Atmosphäre wecken und fördern den
widerstrebenden Willen, auch an sich selber dieses Wunder,
das die anderen so selbstverständlich und alltäglich nehmen, zu
erleben. Hier setzt die geistliche, die meisterhafte Bahrsche
Dialektik ein, und an die Stelle künstlerischer Gestaltung
tritt der geistvolle, das Wesen katholischer Apologetik von
Grund aus erfassende überreder. Dennoch vollzieht
sich das Wunder endlich mit der Selbstverständlichkeit
einer seit Anbeginn vorgeschriebenen Lebenskurne Aber
es wirkt im Künstlerischen. Stimmung ist alles, und
wenn man mit dieser Bekehrungsschrift ernsthaft rechten!
wollte, so böte sich gerade hier die Bresche des An¬
griffs. Denn dieser Graf Flayn ist eben von vornherein ein
schwacher Geist, ein Nervenmensch ohne Ziel und Bestimmung,
und daß sich sein Hang zum Mystischen gerade in dieser Form
erfüllt, ist schließlich ein Zufall, der für die Saiche nichts be¬
weist. Überzeugt wird keiner von diesem Bayrschen Buche
scheiden. Eher mit dem Gefüh' eines leisen Bedauerns. Der
ewig Bewegliche ist nun also auch erstarrt, der Jugendliche
hat sich zur Ruhe gesetzt. Aus dieser Wandlung gibt es keine
Verwandlung mehr. Sie ist ein Abschied von einer Vergangen¬
heit und — ein Ende...
Wesen des Erzählers leitenden Art eigentlich fremd ist. Aber
auch so kommt die gewählte Form dem Bestreben entgegen,
das unmittelbare Erlebnis in seiner gewissermaßen schatten¬
losen Härte dem Beschauer zu entrücken und den romantischen
Schimmer der Verklärung in der Erinnerung ihrer kühlen und
doch innigen Anteilnahme dienstbar zu machen. Angeklagt
des Mordes an seiner Frau, von der er ein halbes Menschen¬
alter getrennt lebte, steht Dr. Deruga vor den Geschworenen.
Motive der Habsucht nach einem beträchtlichen Vermögen,
dessen Erbe der Begabte, doch allzeit Lässige durch den Todes¬
fall wurde, trägt die Gegenpartei, eine Baronin Truschkowitz,
Kusine der Getöteten, in den Kreis des Möglichen, ohne die
eigene Gier nach dem Anspruch zu verbergen. Vanalität des
Handelns und Empfindens mischt sich in die mähliche Ent¬
hüllung einer menschlich reinen Tat; denn sie geschah aus Mit¬
leid mit einer Totkranken, auf den Wunsch einer immer noch
Geliebten, die von der Qual letzter schmerzlicher Erfüllung
Erlösung heischte. Je tiefer die Huch in die Geheimnisse
dieser gegensätzlichen Zweimenschlichkeit, des geistvoll=kind¬
lichen und südlich=leidenschaftlichen Italieners und der nordi¬
schen Frau vordringt, die ihrer Natur nach eine Liebe fliehen
muß, von der sie sich doch ihr Leben lang nicht befreien kann,
um so reicher entfaltet sich auch wieder der Zauber ihrer
Kunst, die Verworrenheit menschlicher Gefühle auch auf ihren
abseitigen Wegen in Schönheit zu bejahen, und in der Ehr¬
furcht vor den Geheimnissen des Menschlich=Allzumenschlichen.
Diese Geschichte einer Liebe innerlich fremder und in dieser
Fremdheit doppelt einander verfallener Naturen bildet dann
den verborgenen Kern eines Schauspiels, in dem sich eine Fülle
von Charakteren mit der letzten Enthüllung ihres seelischen
Habitus in ihrer Stellung zu diesem Angeklagten offenbaren.
Dennoch bleibt für den Kenner der Huchschen Werke bei aller
Anerkennung der Vorzüge auch dieser neuen Variante die ab¬
schwächende Erinnerung an ein Schicksal und zwei Gestalten,
an denen gemessen (Lasko und Maielies in den „Königen
und der Krone") Deruga und seine unglückselige Mingo nur
den Widerschein einer stärkeren Glut bedeutet. Vielleicht hat
hier persönliches Erleben zu einer zweiten Auseinandersetzung
getrieben, die, ferner dem Herde, nur mehr die reflektorischen
Zuckungen einstiger Erregung zu geben vermochte.
Auch Arthur Schnitzler hat sich zur Herbstwende mit
einer neuen Erzählung eingestellt. Es ist ein herbst¬
jedem Sinne. Die Blätter haben
liches Buch
die
sich entfärbt, das Blut der Leidenschaft,
in so mancher Novelle, manchem Roman und geplauderten
Theaterstücken den lieben süßen Mädeln entgegenschlug, ist
ruhiger geworden. Eine leise Melancholie, die schon die
etwas greisenhafte Wiener Jugend so gut kleidete, träumt
von dem Ende aller Dinge. Einer, der bisher am Leben vor¬
beigelebt hat, sucht sich das Glück mit tapsigen Händen endlich
für die stillen Stuben eines immer noch nicht satten, allmäh¬
lich aber einsamen Fünfzigjährigen einzufangen. „Doktor
Gräsler Badearzt“, ist absichtlich kein Wiener, sein
Nationale ist allgemeiner gehalten, seine Persönlichkeit blässer
als in anderen Schnitzlerschen Liebesgeschichten. Es ist di
Geschichte eines Johannistriebes, die uns hier aufgetischt
wird, mit aller Gläubigkeit, aller. Sentimentalität, die uns
eine Zeit lang an diesem Autor gefiel. Gelegentlich ist sogar
bei den mancherlei Abenteuern dieses Suchers vor Töres¬
schluß ein leiser Anlauf zur Ironie zu verspüren, mit der der
Unerquicklichkeit des Vorwurfs vielleicht am ehesten beizu¬
kommen wäre. Aber der Teig ist nach dieser Richtung hin
nur sehr mangelhaft gesäuert. Drei Frauen beglückt der
Dr. Gräsler auf seinem Wege zur späten Ehe: eine etwas
herbe und bewußte, auch nicht mehr ganz jugendliche Jung¬
frau, deren Wesenheit ihm aber schließlich doch zu kühl er¬
scheint, als daß er sich die rechte abendliche Wärme von ihr
verspräche. Ein echtes und rechtes Schnitzlersches „süßes
Mädel“, Marke Handschuhladen, das den Doktor schon am
zweiten Abend in einer nicht mißzuverstehenden Toilette er¬
wartet; stürbe sie nicht am Scharlach, den er ihr selber leicht¬
fertig zugeschleppt, so würde sie Frau Doktorin. So wird es,
nach einigen großen Schmerzen einer kleinen Liebe, die Mutter
des Kindes, das jener Liebsten Unheil ahnungslose Ursache
war. Und Dr. Gräsler ist glücklicher Ehemann und Papa
dazu. Schnitzler ist auch in dieser abendlichen Liebesgeschichte
der alte feine Schilderer kleiner erotischer Schmerzen und
Stimmungen, der liebenswürdige Beklopfer seelischer Ab¬
sonderlichkeiten. Es wäre ungerecht zu sagen, seine Art habe
* Siehe Nr. 36 dieser Zeitschrift vom 9. September.
rrenrrere
macht, war immer in Bahr wie in einem besonderen Typus
vereinigt. Die leichte Fremdheit, der er stets bei nordischen
und damit protestantischen Menschen begegnet sein mag, hat
hierin ihre Ursache. Wer Mozartsche Musik liebt wie er, das
grabeske Barock der alten Stadt Salzburg sich wesens¬
verwandt empfand, ist einem Wesentlichen der katholischen
Welt verfallen, und von diesem Gefühl zum dogmatischen
Bekenntnis ist ein geringerer Schritt als dem Außenstehen¬
den erscheinen will. Und darüber wird keiner, der Augen hat,
in Zweifel sein, daß der Zug zum Katholischen in süd¬
deutschen Landen unter dem Einfluß des Weltkrieges, der so
manchen rationalistischen Geistesbau ins Wanken brachte, mit
neuer Lebhaftigkeit zu verspüren ist.
Der Roman ist eine weitere Folge in dem Zyklus der
Heimatromane, deren ein Dutzend zu schreiben und darin alle
österreichischen Menschheitsprobleme darzustellen sich Bahr in
guter Stunde vorgenommen hatte. Er ist ein Roman des
österreichischen Hochadels, der österreichischen Landschaft, oder
vielmehr der salzburgischen, die der Autor ja besonders liebt.
Sympathisch ganz außerhalb der künstlerischen Bedeutung er¬
scheint der Umstand, daß bei aller tendenziösen Zuspitzung doch
die Freiheit des Bahrschen Geistes und sein Verständnis für
jegliche Art das Gleichgewicht der kämpfenden Welten nicht
von vornherein zu Ungunsten der einen Partei verrückt hat.
Hier wenigstens ist das katholische Problem (im Gegensatz zur
„Stimme“) noch völlig aus den Stimmungswerten heraus
empfunden, wenn auch das dialektische Element, als dessen
Vertreter der aus anderen Romanen bekannte Hofrat Zingerl
auftritt, mit allen Salben der Tridentinischen Konzile ge¬
salbt erscheint. Mit unbestechlichem Sinne und dennoch
umnebelt vom Weihrauchdunst hat Hermann Bahr in
die Welt der katholischen Proselytenmacherei hineingeschaut;
ich kenne kein modernes Buch, in dem diese so ungemein klug
auf alles Seelische eingestellte Methode schärfer entblößt und
dabei freudiger bejaht wäre. Ein moderner Stimmungs¬
mensch, Zweifler an der erlösenden Wirkung aller Wissen¬
schaft, deren er mancherlei versucht hat, kehrt Graf Flayn in
die Heimat zurück. Der Vielspältige findet im Kreise arbeit¬
samer und erwerbsfroher Verwandtschaft Einfachheit des
Geistes, Geradheit des Gemüts, eine instinktive Bewußtheit
des rechten Weges. Er findet eine harmonische Landschaft,
eine in Bauten und Künsten, profanen und heiligen, ge¬
sicherte Welt, und seine Unruhe wird ganz allmählich von
diesem Zauber eingefangen. Dieser Duft von Stadt und
Landschaft, diese ruhige Würde einer alten Kultur, diese
Sicherheit bürgerlichen Verharrens in einer vorherbestimmten
Ordnung sind mit einer wunderbaren Meisterschaft hinge¬
zeichnet, nicht minder das allmähliche Erwachen und die
mannigfachen Reizungen des Weltkindes, sich dieser instink¬
tiv als gefährlich empfundenen und innerlich abgestoßenen
Welt neugierig zu nähern. Eine seltsame Liebe bereitet den
Boden, der mystische Zauber einsamer Kirchenhallen, das
Spiel geheimnisvoller Lichtbrechungen durch bemalte Schei¬
ben, die immer gleiche Atmosphäre wecken und fördern den
widerstrebenden Willen, auch an sich selber dieses Wunder,
das die anderen so selbstverständlich und alltäglich nehmen, zu
erleben. Hier setzt die geistliche, die meisterhafte Bahrsche
Dialektik ein, und an die Stelle künstlerischer Gestaltung
tritt der geistvolle, das Wesen katholischer Apologetik von
Grund aus erfassende überreder. Dennoch vollzieht
sich das Wunder endlich mit der Selbstverständlichkeit
einer seit Anbeginn vorgeschriebenen Lebenskurne Aber
es wirkt im Künstlerischen. Stimmung ist alles, und
wenn man mit dieser Bekehrungsschrift ernsthaft rechten!
wollte, so böte sich gerade hier die Bresche des An¬
griffs. Denn dieser Graf Flayn ist eben von vornherein ein
schwacher Geist, ein Nervenmensch ohne Ziel und Bestimmung,
und daß sich sein Hang zum Mystischen gerade in dieser Form
erfüllt, ist schließlich ein Zufall, der für die Saiche nichts be¬
weist. Überzeugt wird keiner von diesem Bayrschen Buche
scheiden. Eher mit dem Gefüh' eines leisen Bedauerns. Der
ewig Bewegliche ist nun also auch erstarrt, der Jugendliche
hat sich zur Ruhe gesetzt. Aus dieser Wandlung gibt es keine
Verwandlung mehr. Sie ist ein Abschied von einer Vergangen¬
heit und — ein Ende...