I, Erzählende Schriften 29, Doktor Gräsler, Badearzt, Seite 81

29. Doktor Graesler
Badearzt
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Lehter eruesten, Ladsarzt
verstandenen Frau, er weiß ihren Seelenschmerz richtig zu er¬
messen, er bringt ihren Körper und ihre Psyche ins richtige
Gleichgewicht, er verschwindet aber vom Schauplatze, wenn alles
wieder in die richtigen Bahnen geleitet wurde.
Oder es tritt in einem Lustspiel oder in einer alten
deutschen Posse oder in einem französischen Konversationsstück
der Badearzt vor die Rampe. Ein mehr gigerlartig angelegter
Jünger Aeskulaps, als Causeur bei älteren Damen und Jung¬
frauen sehr beliebt, der vereint mit den Wirkungen des Brun¬
nens in seinem Bade=Idyll durch seinen Zauber suggestiv ein¬
wirkt. Oder es wird der modern=wissenschaftliche Arzt von dem
Novellenautor herangezogen, der, der Geldpraxis aus dem Wege
gehend, nur in seinem bakteriologischen Laboratorium Befriedi¬
gung findet und für seine armen Klienten lebt, dessen Diagnosen
uniehlbar und dessen Wartezimmer trotz seiner Furcht vor der
Geldpraxis bis zur Ueberfüllung besucht sind.
Oder es kommt die große Zelebrität als Episode, der
große Operateur, der weltberühmte Chirurg, der auf seinen
Klinik als Gott den Patienren gilt und einem seiner Assistenten
nebst der Praxis auch seine Tochter überträgt, woraus sich dam
wieder manche Szenen voll Romantik abspielen.
Oder aber wir sehen in manchen dieser literarischen Mach¬
werke im Arzt einen Hanswurst, einen Quacksalber und Schar¬
latan nach Art der italienischen Quacksalber, die auf den
Märkten ihre Kunst ausschroteten.
Wir sehen selten in irgend einer Aufführung oder
einer novellistischen Darstellung den Arzt, wie er in der Wirklich
keit in seinem idealen und seelischen Verhalten in seinem Be¬
rufe sich geben könnte. Es heißt doch immer, daß der Beruf eine#
Menschen in der szenischen Darstellung oder in der prosaischen
Wiener Montags Journal, Wien
Schilderung der Wirklichkeit entsprechend oder veredelt dargestelll
werden soll.
Aber von all' dem ist nur in seltenen Fällen etwas ##
SEP
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merten.
Dies könnte auch daraus erklärt werden, daß die meisten
dieser Autoren, die in ihren Werken Aerzte zur Ansicht bringen
Die Aerzte im Roman und am Theater
nur selten sich mit diesen in ihren Ideen und Taten identt¬
Von Nervenarzt Medizinalrat Dr. Wilheim.
fizieren können, weil eben der Laie in den wenigsten Föllen
Einblick gewinnen kann in das Getriebe der ärztlichen Praxis
Der Dichter und moderne Schriftsteller Artur Schnitzler
und die einzelnen Phasen derselben in den einzelnen Krankheits¬
hat seine ärztliche Praxis schon längst an den Nagel gehängt. Er
fällen schwer zu beurteilen in der Lage ist.
stammt aus einer Familie von Aerzten. Sein Vater, der Re¬
Nun kommen wir wieder auf Artur Schnitzler zurückt
gierungsrat Prof. Joh. Schnitzler, der vor Jahren aus dem
Von ihm hätten wir eben erwartet, daß er, der von Aerzlen
Leben schied, war ein gesuchter Laryngologe und war auch sonst
abstammt und mit Aergten verbrüdert ist, der selbst schon in die
als Internist von Einheimischen und Fremden gesucht, hatte
Praxis Einblick gewonnen hat, uns kein ärztliches Zerrbild zum
die Fürstin Pauline Metternich für die Interessen der Wiener
besten gibt, denn in Doktor Gräsler hat er keineswegs einen
allgemeinen Poliklinik erwärmt und nebst seiner ausgedehnten
gediegenen Vertreter der Ars medico vorgeführt.
„Praxis aurea“ gab er noch die medizinische Presse heraus und
Warum mußte es gerade ein Arzt sein, den er in seinen
hatte sich also auch als medizinischer Schriftsteller seine Sporen
neuesten Roman ausspielt, warum gerade ein Badearzt? Heut#
geholt.
abgesehen von der harten Zeit, sind die Balneologen nicht mehn
Der Bruder des Dichters Artur, gleichfalls Regierungsrat
jene flatterhaften Geschöpfe, die die Badepromenaden ablaufen
und Professor, ist ein bestbekannter Operateur, der sich als
um Kur zu schneiden.
Chirurg des besten Ruses erfreut und in der Bevölkerung großen
Auch der nicht seßhafte Arzt ist ernst und seriös aufze#
#nhang genießt.
fassen und muß allen Anforderungen des praktischen Lebens
Der Dichter Schnitzler hat gleich im Beginn seiner
und der Wissenschaft entsprechen. Aber mußte Gräsler gerade
Praxis derselben Valet gesagt und vom „Süßen Mädel“ (Reigen)
ein Dr. med. universae sein, er hätte können ebenso ein Reisen¬
bis zu seinem letzten Roman Dr. Gräsler els Dichter und
der in Parfümerien sein. Er wird als ein schwankendes Rohr
dramatischer Schriftsteller sowie als Novellenverfasser sich Ruhm
dargestellt, der sich nur von erotischen Trieben beherrschen läßt
und Anerkennung beim Publikum und in der Presse geholt.
für den jedes weibliche Wesen, das ihm zufällig begegnet, maß
Man sollte also glauben, daß ein Arzt und Dichter über
gebend erscheint für die Dispositionen in der Praxis.
seine Kollegen besser informiert sei, wie es sich im Buche
Er läuft hinter jeder nach, er, der schon 48jührige Manm
Dr. Gräsler gezeigt hat. Auch hier verfällt der Dichter in den
der in der Nacht, in der er ein Frauenzimmer auf seiner Bude
Fehler, die Personen zu verzerren, kein wahrhaftes Bild von
hat, zu einem schwer kranken Kinde gerufen wird und
ihnen zu entwerfen.
brünstigem Blick die Mutter betrachtet, er, der Dr. Gräsler,
Die Aerzte haben überhaupt das Pech, von fast allen
der so wenig die ärztlichen Vorschriften achtet, daß er dem
Antoren der Weltliteratur verkannt und unrichtig geschildert zu
scharlachkranken Kinde keine Seruminspektion macht, das
werden.
Kiad im Hause beläßt und sofort wieder zu seiner Geliebten
Man sieht in den vielen Theaterstücken oder Romanen,
hinaufsteigt. Die einzige prophylaktische Maßregel besteht daring
wo Aerzte in die Szene treten, entweder den alten Sanitätsrat,
daß er seiner Flamme Katharina nicht die Schokolade
ein altes Familienstück, der in alle Mysterien des Hausstandes bonbons verabreicht, die man ihm oben präsentiert
wegen
eingeweiht ist, mit Rat und Tat sich einstellen, sofort bei den
der — Infektionsgefahr.
ungen Mädchen, die an hysterischen Attacken leiden, die Ursache
Dieser Arzt Dr. Gräsler, dessen Schwester sich erhängt
ahnen, und später an den Tag bringen. Denn der alte Sani¬
warum, dies wird man nie erfahren, ist kein Melancholiken
tätsrat erkennt sofort den Zwiespalt der Natur bei der mi߬
nur ein alter Steiger, der ein Sanatorium gründen will, aber
—raamar mncamar
die Idee wieder abhängig macht von — einem Weide. Da ihn
died Weib einen Korb gibt, da ihr die Liebe zu ihm verflogen
ist, so heiratet er zu guter Letzt die kleine Frau Sommer, eine
dubiose Eristel