I, Erzählende Schriften 29, Doktor Gräsler, Badearzt, Seite 88

raesler
Badearzt
29. Dok
or G aaaneuiar box 4/9
Nr. 41
onntagsblatt des „Bund¬

tief und schön aufleuchtendes Heröstgold liegt es über dem Ganzen. Es ist ein
Buch der späten Lebensglut, ein Buch der Resignatior; aber nicht einer
schwächlichen, sondern jener Resignation, die sich männlich stark dem mäch¬
#tigen Schicksal des reifen und langsam, aber unerbittlich in Nacht versin¬
kenden Lebensalters ergibt; jener großen Resignation, die im Grunde nicht
Niederlage, sondern Sieg ist. So hinterläßt diese Erzählung keinen weich¬
lichen Eindruck, vielmehr die Empfindung einer stillen, herbstlich=herben
Wehmut, die noch lange mit dem Pulsschlag des Lesers mitschwingt.
Rein künstlerisch ist die Erzählung meisterhaft. Innerhalb des Nahmens,
der durch die Abreise und die Ankunft in Lanzarote um den Kern der Hand¬
lung gebildet wird, in den wenigen Monaten, die dieser äußere Rahmen fest
umschließt, baut sich das Erleben Doktor Gräslers streng und doch so natür¬
lich auf, langsam erwachend, mächtig anschwellend zu einem jugendlich frischen,
unbesorgten Rausch leichten Liebesglücks, dann abschwellend, jäh sich ver¬
dunkelnd, um nach einer gleichsam durchnebelten Nacht in einen ruhigen, still
leuchtenden, weisheitsvollen Herbsttag auszuklingen. Dabei sind die Charak¬
tere der Frauen wie der Männer mit schlichtesten Mitteln klar und einpräg¬
sam gestaltet, die Geschehnisse einfach und doch so kunstvoll aneinander= und
ineinandergefügt, das Ganze getrankt mit echt epischer Stimmung. Aber das
schönste ist: man denkt keinen Augenblick an die künstlezischen Mittel oder
an die künstlerische Gewandtheit des Dichters. Und derin liegt das Geheim¬
nis Schnitzlers, darin gerade drückt sich seine große, lebensvolle Kunst aus.
Sein „Doktor Gräsler“ ist eben ein reifes, sattes und doch männlich=herbes )
Walter Reitz. 7
Kunstwork.
Die Winkelbürger. Roman von Valentin Traudt. (Ver¬
lag Egon Fleischel & Co., Berlin.)
Mit dieser „Geschichte aus der Käfergasse“, dem alten Viertel einer
hessischen Stadt, ist mir das sympathisa,ste Kriegsbuch zu Gesicht gekommen.
Als „Kriegsbuch“ gibt es nur die Reflexe der großen Kriegsereignisse, wie
sie sich auf den Kreis einer kleinbürgerlichen Welt abzeichnen. Dann aber
nimmt es sich der tausend kleinen Sorgen und Einzelzüge an, die der Krieg
gemeint ist in diesem Falle nicht das blutige Geschehen sondern ein kul¬
tureller, politischer und wirtschaftlicher Zustand — im einfachen. Menschen
auslöst. Darin besitzt es wahrhaft dokumentarischen Wert. Diese Festiel¬
lung soll nicht abschrecken. Wir meinen nur, es verzeichne Dinge, die einge¬
standen oder uneingestanden jeden Daheimgebliebenen jenseits des Rheins
tagtäglich beschäftigen. Es fehlt dem Buche weder der warme poesiereiche
hier überaus sympathische — patriotische Note. Zusam¬
Ton, noch die —
mengefaßt geben eben die vielen Einzelzüge, ja selbst die eingestreuten kri¬
tischen Lichter, den großen Zug, der den meisten Kriegsbüchern eigentlich
abgeht, weil sie nicht in die Tiefe dringen. Als Zeitdokument wirkt es auch
auf den fernerstehenden Neutralen, und zwar um so stärker, als es frei ist
von jeglicher beabsichtigten Tendenz, die wir schlechterdings fast jedem in
Kriegszeit und Kriegslanden erscheinenden Buche unterschieben wollen. Und
übrigens würden wir gerade hier bitter Unrecht tun, wenn wir nicht mehr
nach rein künstlerischen Gesichtspunkten zu urteilen verständen. Der Autor
greift mitten ins Leben; er ist mit dem Milieu, das er schildert, aufs engste
verbunden und schaut und verarbeitet frisch und unmittelbar. Die Schlicht¬
heit und Klarheit der Darstellung wächst aus der innern Wahrhaftigkeit
des Stoffes heraus. Kurzum das Buch ist nicht nur ein Zeitdokument, son¬
Sam. Haas.
dern auch eine künstlerische Tat.
Druck und Verlag von Pochon=Jent & Bübler in Vern.