Badearzt
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29. Doktor Graesle
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und zu stürzen und sich selber an dessen
tisch getönt. Es hat jede von ihnen ihr
Stelle zu setzen. Sein Haß gegen die Götter
Stichwort und ihr Gesetz der Liebe. Danach
nährt sich aus der für den Apostaten ewig
sind sie nicht mehr entwicklungsmächtig, sie
anstößigen Tatsache, daß von Gott ge¬
sind vorherbestimmt. Nicht dämonisch, nie¬
sprochen und gepredigt wird, aber Gott
mals Frauenrechtlerinnen. Bürgerlich nett
selbst niemals sichtbarlich erscheint. Er
und immerdar bereit, geliebt zu werden
würde an Gott glauben, wenn seine Augen
ohne Gewalttätigkeit in der Ehe und im
ihm oder einem seiner Wunder begegneten.
Verhältnis. Man könnte beinahe als Modell
Er will einen körperlichen, einen greifbaren
für diese Art von Frauenzimmer die Wiene¬
Beweis. Und da er ihm nicht wird, so ver¬
rin nehmen, wäre es nicht allzu banal, dort
achtet er sich und den Menschen überhaupt,
eine Realität finden zu wollen, wo es sich
der über die Götter keine Gewalt hat und
um des Dichters Anschauung vom Weibe
sich den Unsichtbaren unterwirft. Und alles
überhaupt handelt und um den tiefsten Wi¬
Menschliche wird ihm ein Greuel.
derschein seiner männlichen Empfindsam¬
Nicht Daidalos, der Bildhauer, der
keit. Schnitzlers Frauen sind ja alle, fast
sich das Göttliche in seinen Werken sucht
alle von einer weichen, gutmütigen Art, die
und lebendig macht, nicht der gewaltige
in Ergebenheit, meistens sogar ohne Nach¬
Herakles, der ohne Gedanken und Rast
denken um den Mann leidet und schon in den
immerfort hinschreitet zu neuer Tat und
weiblichen Figuren der Goetheschen Trauer¬
nicht nachforscht, wer ihn sendet oder seg¬
spiele ihren künstlerischen Ausdruck gefun¬
net, vermag den gequälten Tantalos von sei¬
den hat. Wahrscheinlich ist Friederike, des
nem Wahn zu befreien. Er muß es selber
Sesenheimer Pfarrers Tochter, als ihr reales
tun und sein eigener Heiland werden.
Urbild anzunehmen.
Den Olympas hinan stürmt er, in den
Abschließend wäre zu sagen: eine reite
Gott zu finden. Hermes begegnet im und
Frucht ist uns in den Schoß gefallen. Die
verspricht ihm den Besuch des Zeus. End¬
Ereignisse erscheinen völlig abgerundet
lich hat er eine Handhabe, den rettenden
der Faden läuft ungehindert fort — nirgends
Strohhalm. Seine Gedanken strömen in den
ein Riß oder ein klaffendes Mysterium. Wir
einzigen Punkt 'zusammen: der höchste
stehen in einer Welt ohne Jenseits, mitten
Gott wird in seinem Hause erscheinen. Und
im irdischen Jammertal oder Komödien¬
dann kommt ein alter Mann, geführt von
theater, das eben hingenommen wird, weil es
einem Jüngling. Gewöhnliche Menschenge¬
da ist und wir da sind. Eines ergänzt das
stalten. Zeus und Hermes? Man müßte die
andere — zwischen uns, der Erde und dem
beiden versuchen. Tantalos läßt ihnen den
Leben gibt es keine Irrationalität: man
gewordeten Sohn als Speise vorsetzen. Aber
lächelt vornehm und erleichtert, wenn man
da beschleicht ihn schon das Grauen. Und
es eingesehen hat. Bequemlichkeit? Nein.
als plötzlich der Sohn lebendig zwischen den
sondern Weisheit des Brahmanen-Oester¬
Säulen hervortritt, begreift er das Wunder.
reichers, der sein Kreuz und Elend immer¬
erkennt den Gott und bereut.
hin auf sich nimmt, aber es mit einem ge¬
Zu spät! Der Gott wird Gericht über
Schwung und melan¬
wissen eleganten
ihn halten. Tantalos muß sterben, nachdem
cholisch-fröhlichen Gemüt dahinzutragen
er noch seine tiefste Menschlichkeit erlebt
versteht.
hat und in nie gekannter Liebe zu den Blu¬
Felix Braun. Der zartsinnige Lyri¬
F
men, den Grashalmen, den Gewässern ent¬
ker hat eine Tragödie in fünf Erscheinungen
brannt ist. Und nun zeigt ihn die Unterwelt
der Oeffentlichkeit übergeben. „Tantalos“
mitten unter den Genossen seiner endlosen
ihr Name (erschienen im Insel-Verlag zu
Qual. Erst seiner Gattin, der treuen, milden
Leipzig). Griechische Mythenzeit, kristall¬
Königin, bleibt es vorbehalten, ihn mitsamt
klare Luft, die des Lebens Höhen und Tie¬
dem ganzen Schattenreich ins Elysium em¬
ien entschleiert: es ist, als weilte man bei
porzuziehen, da sie, die niemals gezweifelt
den „Müttern“ und bekäme den Schlüssel
und stets geduldet hat, lebendig zu den
in die Hand gedrückt, der das Geheimnis
Toten hinabsteigt und auf ihr Erdendasein
aller Worte, Taten und Gedanken eröffnet.
verzichtet, um den geliebten Gatten zu er¬
König Tantalos hätte alle Ursache, sich
lösen.
in Zufriedenheit zu bescheiden, da er eine
Eine Tragödie? Gewiß nicht im mo¬
weitgedehnte Herrschaft sein eigen nennt
dernen Sinn. Es fehlt an einer wuchtig ge¬
und ein Weib, das ihm treu ergeben ist, und
steigerten Handlung, an der die übermensch¬
einen Knaben, der in Kraft und Verstand
liche Größe des Tantalos sich emporziehen
den Vater ähnlich, zu werden verspric
könnte, um desto schauerlicher im Abgrund
Aber Tantalos ist ein Zweifler, ein Zu
zu zerschellen. Es wird von ihm viel er¬
spältiger mit den bekannten zwei Seelen,
zählt, auch setzt er sich selber tiefsinnig
ach, in seiner Brust — und was aus der
psychologisierend auseinander, anstatt daß
Urzeit als titanisches Geschehen erzählt
seine Erscheinung in uns selbst geboren
wird, reift in ihm zum titanischen Gedan¬
ken: er hat ein Verlangen. Gott zu leugnen würde, herausprojiziert aus irgend welchen
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und zu stürzen und sich selber an dessen
tisch getönt. Es hat jede von ihnen ihr
Stelle zu setzen. Sein Haß gegen die Götter
Stichwort und ihr Gesetz der Liebe. Danach
nährt sich aus der für den Apostaten ewig
sind sie nicht mehr entwicklungsmächtig, sie
anstößigen Tatsache, daß von Gott ge¬
sind vorherbestimmt. Nicht dämonisch, nie¬
sprochen und gepredigt wird, aber Gott
mals Frauenrechtlerinnen. Bürgerlich nett
selbst niemals sichtbarlich erscheint. Er
und immerdar bereit, geliebt zu werden
würde an Gott glauben, wenn seine Augen
ohne Gewalttätigkeit in der Ehe und im
ihm oder einem seiner Wunder begegneten.
Verhältnis. Man könnte beinahe als Modell
Er will einen körperlichen, einen greifbaren
für diese Art von Frauenzimmer die Wiene¬
Beweis. Und da er ihm nicht wird, so ver¬
rin nehmen, wäre es nicht allzu banal, dort
achtet er sich und den Menschen überhaupt,
eine Realität finden zu wollen, wo es sich
der über die Götter keine Gewalt hat und
um des Dichters Anschauung vom Weibe
sich den Unsichtbaren unterwirft. Und alles
überhaupt handelt und um den tiefsten Wi¬
Menschliche wird ihm ein Greuel.
derschein seiner männlichen Empfindsam¬
Nicht Daidalos, der Bildhauer, der
keit. Schnitzlers Frauen sind ja alle, fast
sich das Göttliche in seinen Werken sucht
alle von einer weichen, gutmütigen Art, die
und lebendig macht, nicht der gewaltige
in Ergebenheit, meistens sogar ohne Nach¬
Herakles, der ohne Gedanken und Rast
denken um den Mann leidet und schon in den
immerfort hinschreitet zu neuer Tat und
weiblichen Figuren der Goetheschen Trauer¬
nicht nachforscht, wer ihn sendet oder seg¬
spiele ihren künstlerischen Ausdruck gefun¬
net, vermag den gequälten Tantalos von sei¬
den hat. Wahrscheinlich ist Friederike, des
nem Wahn zu befreien. Er muß es selber
Sesenheimer Pfarrers Tochter, als ihr reales
tun und sein eigener Heiland werden.
Urbild anzunehmen.
Den Olympas hinan stürmt er, in den
Abschließend wäre zu sagen: eine reite
Gott zu finden. Hermes begegnet im und
Frucht ist uns in den Schoß gefallen. Die
verspricht ihm den Besuch des Zeus. End¬
Ereignisse erscheinen völlig abgerundet
lich hat er eine Handhabe, den rettenden
der Faden läuft ungehindert fort — nirgends
Strohhalm. Seine Gedanken strömen in den
ein Riß oder ein klaffendes Mysterium. Wir
einzigen Punkt 'zusammen: der höchste
stehen in einer Welt ohne Jenseits, mitten
Gott wird in seinem Hause erscheinen. Und
im irdischen Jammertal oder Komödien¬
dann kommt ein alter Mann, geführt von
theater, das eben hingenommen wird, weil es
einem Jüngling. Gewöhnliche Menschenge¬
da ist und wir da sind. Eines ergänzt das
stalten. Zeus und Hermes? Man müßte die
andere — zwischen uns, der Erde und dem
beiden versuchen. Tantalos läßt ihnen den
Leben gibt es keine Irrationalität: man
gewordeten Sohn als Speise vorsetzen. Aber
lächelt vornehm und erleichtert, wenn man
da beschleicht ihn schon das Grauen. Und
es eingesehen hat. Bequemlichkeit? Nein.
als plötzlich der Sohn lebendig zwischen den
sondern Weisheit des Brahmanen-Oester¬
Säulen hervortritt, begreift er das Wunder.
reichers, der sein Kreuz und Elend immer¬
erkennt den Gott und bereut.
hin auf sich nimmt, aber es mit einem ge¬
Zu spät! Der Gott wird Gericht über
Schwung und melan¬
wissen eleganten
ihn halten. Tantalos muß sterben, nachdem
cholisch-fröhlichen Gemüt dahinzutragen
er noch seine tiefste Menschlichkeit erlebt
versteht.
hat und in nie gekannter Liebe zu den Blu¬
Felix Braun. Der zartsinnige Lyri¬
F
men, den Grashalmen, den Gewässern ent¬
ker hat eine Tragödie in fünf Erscheinungen
brannt ist. Und nun zeigt ihn die Unterwelt
der Oeffentlichkeit übergeben. „Tantalos“
mitten unter den Genossen seiner endlosen
ihr Name (erschienen im Insel-Verlag zu
Qual. Erst seiner Gattin, der treuen, milden
Leipzig). Griechische Mythenzeit, kristall¬
Königin, bleibt es vorbehalten, ihn mitsamt
klare Luft, die des Lebens Höhen und Tie¬
dem ganzen Schattenreich ins Elysium em¬
ien entschleiert: es ist, als weilte man bei
porzuziehen, da sie, die niemals gezweifelt
den „Müttern“ und bekäme den Schlüssel
und stets geduldet hat, lebendig zu den
in die Hand gedrückt, der das Geheimnis
Toten hinabsteigt und auf ihr Erdendasein
aller Worte, Taten und Gedanken eröffnet.
verzichtet, um den geliebten Gatten zu er¬
König Tantalos hätte alle Ursache, sich
lösen.
in Zufriedenheit zu bescheiden, da er eine
Eine Tragödie? Gewiß nicht im mo¬
weitgedehnte Herrschaft sein eigen nennt
dernen Sinn. Es fehlt an einer wuchtig ge¬
und ein Weib, das ihm treu ergeben ist, und
steigerten Handlung, an der die übermensch¬
einen Knaben, der in Kraft und Verstand
liche Größe des Tantalos sich emporziehen
den Vater ähnlich, zu werden verspric
könnte, um desto schauerlicher im Abgrund
Aber Tantalos ist ein Zweifler, ein Zu
zu zerschellen. Es wird von ihm viel er¬
spältiger mit den bekannten zwei Seelen,
zählt, auch setzt er sich selber tiefsinnig
ach, in seiner Brust — und was aus der
psychologisierend auseinander, anstatt daß
Urzeit als titanisches Geschehen erzählt
seine Erscheinung in uns selbst geboren
wird, reift in ihm zum titanischen Gedan¬
ken: er hat ein Verlangen. Gott zu leugnen würde, herausprojiziert aus irgend welchen
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