29.
oktor Graesle
Badearzt
box 4/9
L K „
ins friedliche Reich dichterischer Gestaltung.
Eine Ungarin, Cäcilie v. Tormoy, wandert
in „Das alte Haus“ nach dem Budapest der
Achtundvierzigerjahre, Arthur Schnitzlers
„Doktor Gräsler, Badearzt“ spielt tief
psychologisch grabend im Leben der Gegen¬
wart, das Werk des jung gefallenen Deut¬
schen Gustav Sack, dessen Leben der Heraus¬
geber Hans W. Fischer erzählt, „Ein ver¬
bummelter Student“ ist ein Stück Auto¬
biographie, gehoben in ein phantastisches
Nebel= und Nirgendheim. Das erste Buch
verrät gut geschulte, nicht völlig durchgereiste
Erzählungskunst, das zweite bekundet volle
Meisterschaft in Form und Sprache, das
dritte verstrickt sich in unleidliche Manier.
In Art der Buddenbrocks erzählt „Das
alte Haus“ von drei Generationen der Fa¬
milie Ulwing. Aus kleinen Anfängen ist
der von Deutschland eingewanderte Christian,
ein Baumeister Solneß in Kraft und egoisti¬
schem Machtgefühle, emporgestiegen, die
Jugend, wie sie sein etwas schwächlicher
Sohn Johann Hubert repräsentiert, nieder¬
drückend. Er hält Schritt mit dem auf¬
blühenden Pest, während sein Bruder, der
Uhrmacher Sebastian drüben in Osen, dieser
kleinlichen, zurückbleibenden Stadt gleicht.
Seine Hoffnung setzt Christian auf die
beiden Enkelkinder, Anna und Christoph,
deren kindlicher und jugendlicher Entwick¬
lung der größte Teil des Buches gewidmet
ist. Mit ihren Augen werden die ersten
Freiheitskämpfe##d ihre Helden, wie Pe¬
töfy oder Görgey geschaut, als eines der
ersten Opfer fällt zufällig der arme Se¬
bastian, die Kleinen entbehren anteilnehmen¬
der Liebe und Pflege, ihre Persönlichkeit
kann sich unter dem gutgemeinten, aber
schweren Druck des alten Herrn nicht ent¬
wickeln. So trifft sie dessen Tod, bei dem
auch bedeutungsvoll ein Teil des Stamm¬
hauses in Flammen aufgeht, als Schicksal,
dem sie beide samt ihrem haltlosen Vater
nicht gewachsen sind. Christoph verfällt nach
vager Jugendschwärmerei in wüste Sinnlich¬
keit, im Spiele zerrinnt ihm das große Ver¬
mögen, er muß zur Pistole greifen; Anna
sucht das Haus, an dem sie mit allen Fa¬
sern ihres Herzens hängt, zu halten, ihre
Heirat mit einem Adeligen aber zwingt sie,
um dessen Stammschloß zu retten, das
Drei neue Erzählungen.
—furchtbare Opfer zu bringen, es preiszu¬
Drei Werke aus dem Verlage S. Fischer
geben, aber gerade, wie sie sich blutenden
Herzens von ihrer geliebten Vergangenheit
in Berlin. Sie fliehen alle aus dem Kriege
losreißt, stirbt ihr der Gatte. Mit ihren bei¬
Otto Hödel: Flatternde Fahnen. Tagebuchblätter
den Söhnen zieht sie als Herrin in das alte
aus der Zeit des größten Krieges. Graz 1917. Hippolyt
Böhm.
Rittergut, aus dem vielleicht ein neues,
glückliches Geschlecht hervorgehen wird.
* Robert Müller: Europäische Wege. S. Fischer, 1917.
Tiefe, unsentimentale Melancholie, wie aus kundschau.
geschiedene, die ihn aus seinen ihm lieben
Zigeunerweisen, zieht durch das ganze echt
Gewohnheiten durch ihre schreckliche Tat
tragische Werk, das ein Klagelied um die
gebracht. Da naht ihm ein spätes Glück in
Vergänglichkeit der Menschen und Dinge
Gestalt eines jungen Mädchens, das er zu¬
anstimmt. Noch greifen manche Verzahnun¬
fällig in dem Orte, wo er nach der Bade¬
gen zwischen Geschichte und Erfindung nicht
saison im Süden den Winter verbringt,
recht ineinander, Sprünge werden notwen¬
kennen lernt. Es braucht nur einen Ent¬
dig, die nicht überbrückt erscheinen, die
schluß, zumal wo sie sich ihm, der feige und
Jugendgeschichte der Kinder nimmt einen
kleinlich immer zögert, mißtraut und be¬
unverhältnismäßig breiten Raum ein. Aber
denkt, in einem langen Briefe, der an und
bewundernswert ist die abgemessene Ruhe
für sich wieder ein Kabinettstück epistolarer
der Darstellung, die durchleuchtende Wärme
Kunst ist, anbietet: „Ich habe nichts da¬
feiner Empfindung, die konsequente Beob¬
gegen, gar nichts, falls Sie mich etwa
achtung dieser Menschen, die nebeneinander
fragen sollten, ob ich Ihre Frau werden
hergehen, ohne sich zu kennen, weil sie eine
möchte“, setzt sie tapfer ein. Aber er er¬
Maske tragen, die sie nicht lüften. Das
schrickt über ihre Bestimmtheit, über die
Buch entbehrt jeden nationalen Charakters,
scharfe Charakteristik, die sie von seiner
es könnte ebensogut ein deutsches Werk sein,
ganzen Persönlichkeit mit ihren Fehlern
wie es sich auch an den besten deutschen Er¬
ht
wit.
—
oktor Graesle
Badearzt
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L K „
ins friedliche Reich dichterischer Gestaltung.
Eine Ungarin, Cäcilie v. Tormoy, wandert
in „Das alte Haus“ nach dem Budapest der
Achtundvierzigerjahre, Arthur Schnitzlers
„Doktor Gräsler, Badearzt“ spielt tief
psychologisch grabend im Leben der Gegen¬
wart, das Werk des jung gefallenen Deut¬
schen Gustav Sack, dessen Leben der Heraus¬
geber Hans W. Fischer erzählt, „Ein ver¬
bummelter Student“ ist ein Stück Auto¬
biographie, gehoben in ein phantastisches
Nebel= und Nirgendheim. Das erste Buch
verrät gut geschulte, nicht völlig durchgereiste
Erzählungskunst, das zweite bekundet volle
Meisterschaft in Form und Sprache, das
dritte verstrickt sich in unleidliche Manier.
In Art der Buddenbrocks erzählt „Das
alte Haus“ von drei Generationen der Fa¬
milie Ulwing. Aus kleinen Anfängen ist
der von Deutschland eingewanderte Christian,
ein Baumeister Solneß in Kraft und egoisti¬
schem Machtgefühle, emporgestiegen, die
Jugend, wie sie sein etwas schwächlicher
Sohn Johann Hubert repräsentiert, nieder¬
drückend. Er hält Schritt mit dem auf¬
blühenden Pest, während sein Bruder, der
Uhrmacher Sebastian drüben in Osen, dieser
kleinlichen, zurückbleibenden Stadt gleicht.
Seine Hoffnung setzt Christian auf die
beiden Enkelkinder, Anna und Christoph,
deren kindlicher und jugendlicher Entwick¬
lung der größte Teil des Buches gewidmet
ist. Mit ihren Augen werden die ersten
Freiheitskämpfe##d ihre Helden, wie Pe¬
töfy oder Görgey geschaut, als eines der
ersten Opfer fällt zufällig der arme Se¬
bastian, die Kleinen entbehren anteilnehmen¬
der Liebe und Pflege, ihre Persönlichkeit
kann sich unter dem gutgemeinten, aber
schweren Druck des alten Herrn nicht ent¬
wickeln. So trifft sie dessen Tod, bei dem
auch bedeutungsvoll ein Teil des Stamm¬
hauses in Flammen aufgeht, als Schicksal,
dem sie beide samt ihrem haltlosen Vater
nicht gewachsen sind. Christoph verfällt nach
vager Jugendschwärmerei in wüste Sinnlich¬
keit, im Spiele zerrinnt ihm das große Ver¬
mögen, er muß zur Pistole greifen; Anna
sucht das Haus, an dem sie mit allen Fa¬
sern ihres Herzens hängt, zu halten, ihre
Heirat mit einem Adeligen aber zwingt sie,
um dessen Stammschloß zu retten, das
Drei neue Erzählungen.
—furchtbare Opfer zu bringen, es preiszu¬
Drei Werke aus dem Verlage S. Fischer
geben, aber gerade, wie sie sich blutenden
Herzens von ihrer geliebten Vergangenheit
in Berlin. Sie fliehen alle aus dem Kriege
losreißt, stirbt ihr der Gatte. Mit ihren bei¬
Otto Hödel: Flatternde Fahnen. Tagebuchblätter
den Söhnen zieht sie als Herrin in das alte
aus der Zeit des größten Krieges. Graz 1917. Hippolyt
Böhm.
Rittergut, aus dem vielleicht ein neues,
glückliches Geschlecht hervorgehen wird.
* Robert Müller: Europäische Wege. S. Fischer, 1917.
Tiefe, unsentimentale Melancholie, wie aus kundschau.
geschiedene, die ihn aus seinen ihm lieben
Zigeunerweisen, zieht durch das ganze echt
Gewohnheiten durch ihre schreckliche Tat
tragische Werk, das ein Klagelied um die
gebracht. Da naht ihm ein spätes Glück in
Vergänglichkeit der Menschen und Dinge
Gestalt eines jungen Mädchens, das er zu¬
anstimmt. Noch greifen manche Verzahnun¬
fällig in dem Orte, wo er nach der Bade¬
gen zwischen Geschichte und Erfindung nicht
saison im Süden den Winter verbringt,
recht ineinander, Sprünge werden notwen¬
kennen lernt. Es braucht nur einen Ent¬
dig, die nicht überbrückt erscheinen, die
schluß, zumal wo sie sich ihm, der feige und
Jugendgeschichte der Kinder nimmt einen
kleinlich immer zögert, mißtraut und be¬
unverhältnismäßig breiten Raum ein. Aber
denkt, in einem langen Briefe, der an und
bewundernswert ist die abgemessene Ruhe
für sich wieder ein Kabinettstück epistolarer
der Darstellung, die durchleuchtende Wärme
Kunst ist, anbietet: „Ich habe nichts da¬
feiner Empfindung, die konsequente Beob¬
gegen, gar nichts, falls Sie mich etwa
achtung dieser Menschen, die nebeneinander
fragen sollten, ob ich Ihre Frau werden
hergehen, ohne sich zu kennen, weil sie eine
möchte“, setzt sie tapfer ein. Aber er er¬
Maske tragen, die sie nicht lüften. Das
schrickt über ihre Bestimmtheit, über die
Buch entbehrt jeden nationalen Charakters,
scharfe Charakteristik, die sie von seiner
es könnte ebensogut ein deutsches Werk sein,
ganzen Persönlichkeit mit ihren Fehlern
wie es sich auch an den besten deutschen Er¬
ht
wit.
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