Drei neue Erzählungen.
Drei Werke aus dem Verlage S. Fischer
in Berlin. Sie fliehen alle aus dem Kriege
Otto Hödel: Flatternde Fahnen. Tagebuchblätter
aus der Zeit des größten Krieges. Graz 1917. Hippolyt
Böhm.
** Robert Müller: Europäische Wege. S. Fischer, 1917.
Sesensed dereene
vager Jugendschwärmerei in wüste Sinnlich¬
keit, im Spiele zerrinnt ihm das große Ver¬
mögen, er muß zur Pistole greifen; Anna
sucht das Haus, an dem sie mit allen Fa¬
sern ihres Herzens hängt, zu halten, ihre
Heirat mit einem Adeligen aber zwingt sie,
um dessen Stammschloß zu retten, das
furchtbare Opfer zu bringen, es preiszu¬
geben, aber gerade, wie sie sich blutenden
Herzens von ihrer geliebten Vergangenheit
losreißt, stirbt ihr der Gatte, Mit ihren bei¬
den Söhnen zieht sie als Herrin in das alte
Rittergut, aus dem vielleicht ein neues,
glückliches Geschlecht hervorgehen wird.
Tiefe, unsentimentale Melancholie, wie aus
lundschau.
geschiedene, die ihn aus seinen ihm lieben
Zigeunerweisen, zieht durch das ganze echt
Gewohnheiten durch ihre schreckliche Tat
tragische Werk, das ein Klagelied um die
gebracht. Da naht ihm ein spätes Glück in
Vergänglichkeit der Menschen und Dinge
Gestalt eines jungen Mädchens, das er zu¬
anstimmt. Noch greifen manche Verzahnun¬
fällig in dem Orte, wo er nach der Bade¬
gen zwischen Geschichte und Erfindung nicht
recht ineinander, Sprünge werden notwen¬
saison im Süden den Winter verbringt,
kennen lernt. Es braucht nur einen Ent¬
dig, die nicht überbrückt erscheinen, die
Jugendgeschichte der Kinder nimmt einen
schluß, zumal wo sie sich ihm, der feige und
kleinlich immer zögert, mißtraut und be¬
unverhältnismäßig breiten Raum ein. Aber
denkt, in einem langen Briefe, der an und
bewundernswert ist die abgemessene Ruhe
für sich wieder ein Kabinettstück epistolarer
der Darstellung, die durchleuchtende Wärme
Kunst ist, anbietet: „Ich habe nichts da¬
feiner Empfindung, die konsequente Beob¬
gegen, gar nichts, falls Sie mich etwa
achtung dieser Menschen, die nebeneinander
fragen sollten, ob ich Ihre Frau werden
hergehen, ohne sich zu kennen, weil sie eine
möchte“, setzt sie tapfer ein. Aber er er¬
Maske tragen, die sie nicht lüften. Das
schrickt über ihre Bestimmtheit, über die
Buch entbehrt jeden nationalen Charakters,
scharfe Charakteristik, die sie von seiner
es könnte ebensogut ein deutsches Werk sein,
ganzen Persönlichkeit mit ihren Fehlern
wie es sich auch an den besten deutschen Er¬
entwirft; obwohl er fühlt, daß es vielleicht
zählern der Gegenwart geschult hat. Jeden¬
das Richtige wäre, zuzugreifen mit beiden
falls die Probe eines durchaus nicht alltäg¬
lichen Talents.
Händen, hat er zu viel Angst vor den Un¬
Arthur Schnitzler ist nicht mit in den
bequemlichkeiten, die ihm die notwendige
Achtsamkeit vor diesen klugen Augen auf¬
Krieg-gezogen#ehanichtplötzlich wie
erlegen würde, er ergreift lieber die Flucht
viele seiner literarischen Kollegen ein „Bar¬
in seine Vaterstadt und macht noch eine
dengebrüll“ wie Goethe sagt, angestimmt
oder mit nie geschauten Bildern aus dem
letzte Sinnesliebe mit einem kleinen Mädel
Feld= und Kampfleben, mit dröhnenden
durch, das ihm ihren Körper ohne weiteren
deutschen Phrasen auf den Beifall der
Rückhalt schenkt. Schon ist er daran, aus
Trotz, dem hochmütigen kritischen Wesen da
Masse spekuliert. Wer einmal fünfzig Jahre
zu zeigen, daß er kein Pedant oder Phi¬
geworden, läßt sich nicht mehr umformen und
wenn er sich in die Tracht heranwachsender
lister sei — der Vorwurf, der ihn gerade
wegen seiner Wahrheit am meisten verletzt
Jugend wirft, erscheint er gar manchem
wohl mehr lächerlich als bewundernswert.
hat — und das liebe Ding zu heiraten, da
Wer wird vom Palmbaum Orangen ver¬
stirbt sie an Scharlach, den er ihr vom Bette
langen? Ich begreife diese seine vornehme
eines kranken Kindes hinweg zugetragen,
Haltung, die ihn als Schriftsteller wie als
gerade, nachdem ihm die versuchte Rückkehr
Menschen immer ausgezeichnet hat, voll¬
zur ersten Geliebten völlig mißglückt ist.
kommen, wenn auch vielleicht ein leises Be¬
So hat er beide verloren und wird leicht
eine Beute der Mutter seiner kleinen Pa¬
dauern, daß er seinen Stoffkreis so wenig
tientin, an deren Seite er als Ehemann und
Stiefoater wieder zu seiner Praxis auf der
vor diesem neuen Kunstwerke — denn dieses
Südseeinsel zurückkehrt. Es ist ein recht er¬
Prädikat verdient der „Doktor Gräsler“
im vollsten Ausmaße — einstellen mag.
bärmlicher, haltloser Mensch, den Schnitzler
Immer stärker wird in dem Dichter die
hier zwischen drei Frauen, deren eine die
Annäherung an den alternden Goethe, und
geistige, die andere die sinnliche, die dritte
eine Art ausgleichende, lauwarme Liebe re¬
was in seinem letzten Buche „Frau Beate
und ihr Sohn“ manchmal allzu absichtlich
präsentiert, hindurchführt. Mans mag da
wohl manchmal an Wilhelm Meister und
und gesucht berührte, die Nachahmung
Therese, Philine, Makarie denken. Ohne
Goetheschen Altersstils, ist hier zu voller,
jede persönliche Anteilnahme hat Schnitzler
reiner Harmonie geworden. Ich habe lange
diese Figur meisterlich zergliedert, es ist ein
kein so wundervolles, in jedem Satzteile
mitleidloses Buch, bei dem es den Leser
durchgegliedertes Deutsch gelesen wie in
diesem Buche, das ein Zeugnis von sprach¬
zuweilen fröstelt. Diese Anatomierung ist
ihm Selbstzweck und er will gar nicht
licher Meisterschaft ohnegleichen bildet. Es
Sympathien für seinen so fragwürdigen Hel¬
stellt sich schon inhaltlich an die Seite des
„Mann von fünfzig Jahren". Ein recht
den erwecken. Wer Wärme für ihn von
seinem Darsteller fordert, begehrt etwas, was
philiströser alter Junggeselle verliert durch
einen rätselhaften Selbstmord seine ihm das
gar nicht in des Dichters künstlerischen In¬
Haus besorgende Schwester und sieht sich
tentionen lag. Das mag wohl mancher be¬
plötzlich allein, voll Groll gegen die Hin= dauern — aber von der Kunst, mit der
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Drei Werke aus dem Verlage S. Fischer
in Berlin. Sie fliehen alle aus dem Kriege
Otto Hödel: Flatternde Fahnen. Tagebuchblätter
aus der Zeit des größten Krieges. Graz 1917. Hippolyt
Böhm.
** Robert Müller: Europäische Wege. S. Fischer, 1917.
Sesensed dereene
vager Jugendschwärmerei in wüste Sinnlich¬
keit, im Spiele zerrinnt ihm das große Ver¬
mögen, er muß zur Pistole greifen; Anna
sucht das Haus, an dem sie mit allen Fa¬
sern ihres Herzens hängt, zu halten, ihre
Heirat mit einem Adeligen aber zwingt sie,
um dessen Stammschloß zu retten, das
furchtbare Opfer zu bringen, es preiszu¬
geben, aber gerade, wie sie sich blutenden
Herzens von ihrer geliebten Vergangenheit
losreißt, stirbt ihr der Gatte, Mit ihren bei¬
den Söhnen zieht sie als Herrin in das alte
Rittergut, aus dem vielleicht ein neues,
glückliches Geschlecht hervorgehen wird.
Tiefe, unsentimentale Melancholie, wie aus
lundschau.
geschiedene, die ihn aus seinen ihm lieben
Zigeunerweisen, zieht durch das ganze echt
Gewohnheiten durch ihre schreckliche Tat
tragische Werk, das ein Klagelied um die
gebracht. Da naht ihm ein spätes Glück in
Vergänglichkeit der Menschen und Dinge
Gestalt eines jungen Mädchens, das er zu¬
anstimmt. Noch greifen manche Verzahnun¬
fällig in dem Orte, wo er nach der Bade¬
gen zwischen Geschichte und Erfindung nicht
recht ineinander, Sprünge werden notwen¬
saison im Süden den Winter verbringt,
kennen lernt. Es braucht nur einen Ent¬
dig, die nicht überbrückt erscheinen, die
Jugendgeschichte der Kinder nimmt einen
schluß, zumal wo sie sich ihm, der feige und
kleinlich immer zögert, mißtraut und be¬
unverhältnismäßig breiten Raum ein. Aber
denkt, in einem langen Briefe, der an und
bewundernswert ist die abgemessene Ruhe
für sich wieder ein Kabinettstück epistolarer
der Darstellung, die durchleuchtende Wärme
Kunst ist, anbietet: „Ich habe nichts da¬
feiner Empfindung, die konsequente Beob¬
gegen, gar nichts, falls Sie mich etwa
achtung dieser Menschen, die nebeneinander
fragen sollten, ob ich Ihre Frau werden
hergehen, ohne sich zu kennen, weil sie eine
möchte“, setzt sie tapfer ein. Aber er er¬
Maske tragen, die sie nicht lüften. Das
schrickt über ihre Bestimmtheit, über die
Buch entbehrt jeden nationalen Charakters,
scharfe Charakteristik, die sie von seiner
es könnte ebensogut ein deutsches Werk sein,
ganzen Persönlichkeit mit ihren Fehlern
wie es sich auch an den besten deutschen Er¬
entwirft; obwohl er fühlt, daß es vielleicht
zählern der Gegenwart geschult hat. Jeden¬
das Richtige wäre, zuzugreifen mit beiden
falls die Probe eines durchaus nicht alltäg¬
lichen Talents.
Händen, hat er zu viel Angst vor den Un¬
Arthur Schnitzler ist nicht mit in den
bequemlichkeiten, die ihm die notwendige
Achtsamkeit vor diesen klugen Augen auf¬
Krieg-gezogen#ehanichtplötzlich wie
erlegen würde, er ergreift lieber die Flucht
viele seiner literarischen Kollegen ein „Bar¬
in seine Vaterstadt und macht noch eine
dengebrüll“ wie Goethe sagt, angestimmt
oder mit nie geschauten Bildern aus dem
letzte Sinnesliebe mit einem kleinen Mädel
Feld= und Kampfleben, mit dröhnenden
durch, das ihm ihren Körper ohne weiteren
deutschen Phrasen auf den Beifall der
Rückhalt schenkt. Schon ist er daran, aus
Trotz, dem hochmütigen kritischen Wesen da
Masse spekuliert. Wer einmal fünfzig Jahre
zu zeigen, daß er kein Pedant oder Phi¬
geworden, läßt sich nicht mehr umformen und
wenn er sich in die Tracht heranwachsender
lister sei — der Vorwurf, der ihn gerade
wegen seiner Wahrheit am meisten verletzt
Jugend wirft, erscheint er gar manchem
wohl mehr lächerlich als bewundernswert.
hat — und das liebe Ding zu heiraten, da
Wer wird vom Palmbaum Orangen ver¬
stirbt sie an Scharlach, den er ihr vom Bette
langen? Ich begreife diese seine vornehme
eines kranken Kindes hinweg zugetragen,
Haltung, die ihn als Schriftsteller wie als
gerade, nachdem ihm die versuchte Rückkehr
Menschen immer ausgezeichnet hat, voll¬
zur ersten Geliebten völlig mißglückt ist.
kommen, wenn auch vielleicht ein leises Be¬
So hat er beide verloren und wird leicht
eine Beute der Mutter seiner kleinen Pa¬
dauern, daß er seinen Stoffkreis so wenig
tientin, an deren Seite er als Ehemann und
Stiefoater wieder zu seiner Praxis auf der
vor diesem neuen Kunstwerke — denn dieses
Südseeinsel zurückkehrt. Es ist ein recht er¬
Prädikat verdient der „Doktor Gräsler“
im vollsten Ausmaße — einstellen mag.
bärmlicher, haltloser Mensch, den Schnitzler
Immer stärker wird in dem Dichter die
hier zwischen drei Frauen, deren eine die
Annäherung an den alternden Goethe, und
geistige, die andere die sinnliche, die dritte
eine Art ausgleichende, lauwarme Liebe re¬
was in seinem letzten Buche „Frau Beate
und ihr Sohn“ manchmal allzu absichtlich
präsentiert, hindurchführt. Mans mag da
wohl manchmal an Wilhelm Meister und
und gesucht berührte, die Nachahmung
Therese, Philine, Makarie denken. Ohne
Goetheschen Altersstils, ist hier zu voller,
jede persönliche Anteilnahme hat Schnitzler
reiner Harmonie geworden. Ich habe lange
diese Figur meisterlich zergliedert, es ist ein
kein so wundervolles, in jedem Satzteile
mitleidloses Buch, bei dem es den Leser
durchgegliedertes Deutsch gelesen wie in
diesem Buche, das ein Zeugnis von sprach¬
zuweilen fröstelt. Diese Anatomierung ist
ihm Selbstzweck und er will gar nicht
licher Meisterschaft ohnegleichen bildet. Es
Sympathien für seinen so fragwürdigen Hel¬
stellt sich schon inhaltlich an die Seite des
„Mann von fünfzig Jahren". Ein recht
den erwecken. Wer Wärme für ihn von
seinem Darsteller fordert, begehrt etwas, was
philiströser alter Junggeselle verliert durch
einen rätselhaften Selbstmord seine ihm das
gar nicht in des Dichters künstlerischen In¬
Haus besorgende Schwester und sieht sich
tentionen lag. Das mag wohl mancher be¬
plötzlich allein, voll Groll gegen die Hin= dauern — aber von der Kunst, mit der
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