I, Erzählende Schriften 29, Doktor Gräsler, Badearzt, Seite 104

Badearzt
29. Doktor Graesler
— A SAZ
jegen das größte Verbrechen wider die Natur und den Geist.
asen rümpfen und
gegen diesen größten Krieg — wäre nicht der Dichter der
las sich's anders.
nächste Berufene, der nach dem König zu sprechen hätte? Was
ebensführung und
verkündet er von der Menschheit Höhen herab Hunderttausen¬
ine Blutmischung
den ungeduldig Wartenden, wie lautet der flammende Titel
überlegene Duld¬
achgerühmt werden
seines Aufrufs an die vergistete, taumelnde Vernunst? —
„Doktor Gräsler, Badearzt“.
was der große

; im übrigen aber
Was dem Doktor Gräsler, der im Winter auf der Insel
rkümmern, die sich
Lanzarote und im Sommer in einem kleinen deutschen Bade¬
ungehobelte Wirk¬
städtchen seine bescheidene berufliche Tätigkeit ausübt, zwischen
ß hing so mancher
Lanzarote und Lanzarote zustößt, bildet den Inhalt der Er¬
gantel aus Schwer¬
zählung. Der Arzt Gräsler ist ein älterer, trockener Mensch,
Gemütes hin auf
ohne inneren Halt, wie man zu sagen pflegt, Treibholz im
der Tod aus den
Strom der Geschehnisse. Er verliebt sich beinahe ernstlich in
auch die, die die
ein selbstbewußtes Mädchen, das ihn aber rechtzeitig erkennt,
der da, durch die
er hat gleichzeitig ein Verhältnis mit einer lieben, leichtlebigen
ngeräumten hohen
Verkäuferin, die er, von einem scharlachkranken Kind kom¬
einigermaßen zu
mend, ansteckt, die ihm wegstirbt, da er sie eben zu heiraten
Führen und Irren
gedachte. Schließlich nimmt ihn eine Witwe, die Mutter jenes
Kindes, zum Mann. — Dies alles ist in der geruhsamen,
jahren das Autlitz
überlegenen Art Schnitzlers recht anschaulich erzählt, nichtige,
sind, in ihr leben
gänzlich uninteressante Geschehnisse werden dem Leser durch
ert. Eine fürchter¬
die große Kunst schärfster Beobachtung und einwandfreier
kernichtete, was an
Wiedergabe des Geschauten nahe gebracht Das Werk macht
ichem, so doch gut¬
nicht warm, höchstens ein wenig nachdenklich! Solange man
e. das Leben leicht
das Buch in der Hand hält. Das ist alles, es ist zu wenig für
des Lebens, der
uns, die wir die Melodie längst kennen. Einst war sie neu,
unternahm eine
nun ist sie abgespielt.
Beschaulichkeit bis
Wohlbehagen ver¬
Der Rest ist Bedauern. Es gab ein Gott den Aus¬
Trostlosigkeit gelang
erwählten die Gabe, zu sagen, was die Menschheit drückt,
ölker. So stand und
was, noch ungeklärt und verworren, in den Gemütern gärt
it, als letzthin das
und sich noch nicht an die Oberfläche der klaren Begriffe
„Doktor Gräsler,
emporringen konnte; aus den dumpfen Ahnungen der Millio¬
nen schöpft der Dichter die neue Wahrheit, die Wahrheit von
morgen, er spricht aus, was die Bedrückten nicht ausdenken
ngemein drängende
konnten. Viele Wege führen zur Wahrheit; ist der und jener
enderlei Rücksichten,
verrammelt, läßt sich einer finden, der, abseits vom Tages¬
geborener Feigheit
lärm, besser als jeder andere Aussicht ins freie Land eines
n, nicht jene Worte
würdigeren Menschentums gewährt; viele, wenn nicht alle,
ildetsten unter uns
hätten Artur Schnitzler verstanden. Und wären ihm dankbar
ßund unaustilgbar
Wigand.
cheuerfüllte Anklage gewesen.
J- 4
damicheracher Courier
Arthux Schnitzlers neuestes Werk: „Doktor Gräsler,
Bädearzt,“ ist eine dünne und gehaltlose Arbeit.
Esklingt in diesem Buche alles so „beiläusig“, nebensächlich;
man gewinnt kein Interesse an dem Schicksal dieses alternden
Mannes, der plötzlich ... allerdings ziemlich kühl und seelen¬
los ... Neigung zu drei Frauen zu gleicher Zeit faßt. Die
Müdigkeit und Gleichgültigkeit, die über diesem Dr. Gräsler
liegt, liegt auch über der Darstellungskunst des Dichters, der
uns bisher bessere und reichere Gaben zu bescheren pflegte.
Albert H. Rausch erzählt die Geschichten von zwei Kriegs¬
helden aus alter Zeit, von Patroklos und Jonathan,
in dichterisch gehobener Sprache und mit einer den Stoffen an¬
gepaßten Großzügigkeit der Darstellung. Die Umwelt der
Helden tritt plastisch heraus und mutet uns als kernige Wirk¬
lichkeit an, der wir heute wieder näher stehen denn je. Daß
dabei erotische Nebenumstände bedeutsamer betont werden,
als es notwendig scheint, ist bedauerlich; und es ist um so
störender, als man die Vermutung schließlich nicht ganz los
wird, daß gerade doch diese Nebenumstände die Hauptsache sein
sollen. Das verstimmt, und die Erinnerung daran bleibt als
bitterer Nachgeschmack nach dem sonst durchaus nicht wertlosen
Buche. (E. Fleischel und Co., Berlin.)
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Westermauns Menatmteitde, Iraunschnel
Fern vom Krieg, ja sogar fern von allem
köffentlichen und sozialen Leben geht Arthur
Schnitzler seinen schmalen, zwischen Psycho¬
flogie und Konstruktion schwankenden Pfad.
Seine neueste Erzählung =Doktor Gräsler,
[Badearzt= (Berlin, S. Fischer), deren Titel
schon nach dem Türschilb schmeckt, nimmt
das oft behandelte Thema des =Mannes von
fünfzig Jahren= auf, das Goethe in einer be¬
rühmten Novelle der „Wanderjahree zu einem
Triumph der gemeinnützigen Tätigkeit über un¬
zeitige Leidenschaft, Spielhagen in =Quisisana¬
zu so edler, mannhafter Entsagung geführt hat.
Schnitzlers Fünfzigjähriger ist ein Mann der
halben Entschlüsse, und dieser Mangel an Selbst¬
vertrauen und Verantwortungskraft bringt ihn
um das Glück, das ihm eine reine, stolze Frauen¬
seele aus freiem Entschluß mit offenem Geständnis
entgegenträgt, macht ihn zu feige und träge, um
festzuhalten, was ihm ein junges sinnliches Ding
an heiteren Liebesgeschenken darbringt, und läßt
ihn schließlich mit gefalteten Segeln in den Hafen
einer späten Dutzendehe einlaufen, für die weiter
nichts von ihm verlangt wird als eine gelassene
Empfangsbestätigung der berechneten Zärtlich¬
keit, die hier in Gestalt einer lebenserfahrenen
Witve die Angel nach ihm auswirst. Was für
diese Geschichte trotz ihrer durchsichtigen Gehalt¬
losigkeit an tieferen seelischen Werten einnimmt,
ist die sichere, lebens= und menschenkundige
Art, wie sie erzählt wird: wie eine mit untrüg¬
lichem medizinischem Scharfblick erkannte und
dargestellte Krankheitsgeschichte, die den Ver¬
lauf und die Kurven ihrer Entwicklung in sich
selbst hat. Solche Betrachtungs= und Darstel¬
Wrereen.
lungsweise bringt es mit sich, daß der „Held¬
nicht zu rechtem persönlichem Eigenleben kommt,
sondern ein Typus, fast ein Paradigma bleibt,
nach dem sich viele Fälle gleichen Alters, glei¬
cher Lebensanschauung, gleichen Temperaments
und gleicher Gewohnheiten deklinieren lassen.
Dieser Badearzt ist der alternde Philister
schlechthin, der den jugendfrohen Glauben an sich
selbst eingebüßt und dafür eine zage Zweifel¬
sucht, eine Kurzsichtigkeit für alle naturwüchsigen
Gaben dieses Lebens eingetauscht hat. Schnitz¬
ler bringt für diesen „Fall der Fälle= selbst nur
ein skeptisches Achselzucken auf, er steht ihm
gegenüber wie der Arzt, der eine haarscharfe
Diagnose stellt, aber nicht mehr den Mut zur
Therapie findet. Man bereut die Stunden
nicht, da man diesem meisterhaften Erzähler mit
den klugen, unbestochenen Augen gegenübersaß,
aber einen tieferen Gewinn oder auch nur einen
Aufschwung für seine ferneren Tage nimmt man
aus solchem Buche kaum mit heim.