29.
Doktor Graesle
Badearzt
box 4/9
L CaGEP ML
42
a
C
Die österreichische Seele.
2
Von
Prof. Dr. Alfred Nathansky (Triest).
„Man tennt uns im Ausland nicht! Die Feinde nicht und die
Freunde ebensowenig!“ Das ist die alte österreichische Klage und sie will
nicht verstummen trotz mehrfacher recht geschickter Versuche des letzten Jahr¬
zehnts, uns der nicht schwarz=gelben Außenwelt vorzustellen. Aber Hermann
Bahrs Unternehmen, den Salzburger, den Tschechen, den Dalmatiner zu
beleuchten*), scheiterte daran, daß die Fremde von innerösterreichischen Querelen
zu wenig wußte, um sie wichtig zu finden — ignoti nulla cupido-
von Hermann Bahr und seiner Häutungsfähigkeit aber zu viel, um ihm
bedingungslos zu trauen, nun er sich mit deutend gehobenem. Stab vor die
Nationalitäten des Donaustaates und ihre Schmerzen stellte. Man weigerte
sich trotz seines ehrwürdigen Gottvaterbartes, die österreichischen Dinge
unbedingt durch sein etwas sprunghaftes Temperament zu sehen, sagte zu
seinen Büchern: „Sehr interessant!“ wie immer, wenn man sich für etwas
gar nicht interessiert, und legte sie beiseite. Nicht besser ging es Felix
Salten, der keine verblüffenden Enthüllungen, keine ungewöhnlichen Stand¬
punkte zu bieten hatte. „Das österreichische Antlitz"**) war dem Ausland
zu sehr Fassade; die glaubte es ohnehin zu kennen, mit dem bloßen Antlitz
war ihm nicht gedient, wenn es nach der Seele fragte, und bei dem
Aufenthalt in einer Tiroler Sommerfrische, wo man sich in der Hotelhalle
nur unter Ausländern bewegte, war die erst recht nicht zu entdecken. So
wurden denn die Leistungen der Donaumonarchie die große Ueberraschung für
Freund, Feind und Neutrale und in Aage Madelungs**) oder Sven
Hedins***) Berichten von der Karpathenfront klingt die recht vernehmlich
durch. Bei uns aber schwang in allen Klagen über Verkanntsein ein vielleicht
nicht ganz bewußter, aber für den feiner Hörenden doch unverkennbarer
Unterton von Stolz auf dieses fremde Unverständnis mit, das Weibliche
in unserer Seele bildete sich etwas ein auf die scheinbare oder wirkliche
Unfähigkeit männlicher gearteter Völker, der komplizierten Natur des Ver¬
mittlers zwischen Nord und Süd, West und Ost, den eben wegen seiner
Zwischenstellung keiner der Nachbarn sonderlich schätzte, gerecht zu werden.
Das Seume'sche: „Seht, wir Wilde sind doch bess're Menschen!“ war der
*) Essays; Dalmatinische Reise. Berlin, S. Fischer.
**) Berlin, S. Fischer.
***) Leipzig, F. A. Brockhaus.
Doktor Graesle
Badearzt
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C
Die österreichische Seele.
2
Von
Prof. Dr. Alfred Nathansky (Triest).
„Man tennt uns im Ausland nicht! Die Feinde nicht und die
Freunde ebensowenig!“ Das ist die alte österreichische Klage und sie will
nicht verstummen trotz mehrfacher recht geschickter Versuche des letzten Jahr¬
zehnts, uns der nicht schwarz=gelben Außenwelt vorzustellen. Aber Hermann
Bahrs Unternehmen, den Salzburger, den Tschechen, den Dalmatiner zu
beleuchten*), scheiterte daran, daß die Fremde von innerösterreichischen Querelen
zu wenig wußte, um sie wichtig zu finden — ignoti nulla cupido-
von Hermann Bahr und seiner Häutungsfähigkeit aber zu viel, um ihm
bedingungslos zu trauen, nun er sich mit deutend gehobenem. Stab vor die
Nationalitäten des Donaustaates und ihre Schmerzen stellte. Man weigerte
sich trotz seines ehrwürdigen Gottvaterbartes, die österreichischen Dinge
unbedingt durch sein etwas sprunghaftes Temperament zu sehen, sagte zu
seinen Büchern: „Sehr interessant!“ wie immer, wenn man sich für etwas
gar nicht interessiert, und legte sie beiseite. Nicht besser ging es Felix
Salten, der keine verblüffenden Enthüllungen, keine ungewöhnlichen Stand¬
punkte zu bieten hatte. „Das österreichische Antlitz"**) war dem Ausland
zu sehr Fassade; die glaubte es ohnehin zu kennen, mit dem bloßen Antlitz
war ihm nicht gedient, wenn es nach der Seele fragte, und bei dem
Aufenthalt in einer Tiroler Sommerfrische, wo man sich in der Hotelhalle
nur unter Ausländern bewegte, war die erst recht nicht zu entdecken. So
wurden denn die Leistungen der Donaumonarchie die große Ueberraschung für
Freund, Feind und Neutrale und in Aage Madelungs**) oder Sven
Hedins***) Berichten von der Karpathenfront klingt die recht vernehmlich
durch. Bei uns aber schwang in allen Klagen über Verkanntsein ein vielleicht
nicht ganz bewußter, aber für den feiner Hörenden doch unverkennbarer
Unterton von Stolz auf dieses fremde Unverständnis mit, das Weibliche
in unserer Seele bildete sich etwas ein auf die scheinbare oder wirkliche
Unfähigkeit männlicher gearteter Völker, der komplizierten Natur des Ver¬
mittlers zwischen Nord und Süd, West und Ost, den eben wegen seiner
Zwischenstellung keiner der Nachbarn sonderlich schätzte, gerecht zu werden.
Das Seume'sche: „Seht, wir Wilde sind doch bess're Menschen!“ war der
*) Essays; Dalmatinische Reise. Berlin, S. Fischer.
**) Berlin, S. Fischer.
***) Leipzig, F. A. Brockhaus.