I, Erzählende Schriften 29, Doktor Gräsler, Badearzt, Seite 114

raesler
Badearz
29. Dok
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Die österreichische Seele.
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Technik dieses Romanes ohne Helden erlaubt, in dem „statutenlosen Verein
gewandter Sinnlichkeit destilliert ist, der
des Geheimnisses vom Glück“ noch mehr Spielarten des Oesterreichertums
des Alten zu pantheistisch angehauchtem
vorzuführen als in den urdeutschen „Haindlkindern“; hier finden auch der
er Kampfhaindl, den die grundsätzliche
Slawe, der Jude und der naturalisierte Ausländer ihren Platz, alle er¬
npolitischen Streiter, freilich aber, wie
denklichen Berufskreise, allerhand Sektierertum vom Vegetarianismus bis zur
zum General ohne Truppen gemacht
Naturmystik, musikalische und politische Schwärmer bis zu jenem sonderbaren
ischem Gebiet natürlich. Denn wann
Kauz, der seine Weltverbesserungspläne in Briefen an Wilhelm II. nieder¬
Sinn für Außenpolitik gehabt? Das
legt und beinahe — aber doch nur beinahe in einem preußischen Ministerium
eres, der dafür bezahlt wird, wir aber
einen Unterschlupf findet. Nur in Oesterreich, wo die Tradition vom Kaiser
id zwecklosen inneren Kämpfen, deren
Josef noch immer lebendig ist, der alles durch sein persönliches Eingreifen
nstehende kaum unter dem Mikroskop
mit der berühmten Brieftasche heilt, ist dieser Cyrus Wigram denkbar, nur
stes Mark kosten, als daß wir nach
hier, wo das Theater so viel bedeutet, kann dieser Völkerbeglückungsapostel,
d daran hat auch der Krieg nichts ge¬
ohne der Unwahrscheinlichkeit geziehen zu werden, im nächsten Roman,
hr unser persönliches Steckenpferd und
„Elisabeth Kött"*), als Lehrer und Wegweiser einer jungen Schauspielerin
brach= und Parteigenossen — und das
auftreten, nur in diesem Lande der verpflichtungsfreien Respeltlosigkeit konnte
turell wie religiös zerklüfteten Oesterreich
ein echter Dichter um einen heißverehrten Künstler wie Schubert herum einen so
gewiß aber nicht den Racker von
kitschigen Roman mit dem geschmacklosen Titel „Schwammerl"**) schreiben, daß
als die gerade im Amt befindliche Re¬
die Verwandlung in eine in Wien allein über sechshundertmal aufgeführte
auch die nur mit der wohltemperierten
Operette — die Tatsache ist wieder für Oesterreich bezeichnend — als ge¬
Entlichen Beruf entgegenzubringen pflegt.
rechte Strafe erscheint. An das Südslawenproblem rühren dann die Romane
äsidenten Theaterstücke, Finanzmänner
„Das deutsche Leid"***), „Die Geschichte von der Hannerl und ihren Lieb¬
brikanten spielen Theater, mit Talent,
habern“****), Frau Ulla und der Jäger"+), in denen nur leider ziem¬
als Dilettanten. Darum sitzen auch
lich banale Liebesgeschichten die Welt= und Menschenschilderung ungebührlich
Ministerien — ich verweise nur auf
stark überwuchern. Bereits in den Anfang des Weltkrieges führt „Der
ard Schaukal und Tadeusz Rittner aus
Flieger“++) und eben ist des Dichters Buch vom Krieg an sich unter dem Titel
weiteres, wie es wiederholt geschehen
„Lukas Rabesam“++f) erschienen. Aeußerlich gibt es sich als eine Weiterführung
rgtheaterdirektor machen, darum ist auch,
der „Zwölf aus der Steiermark“, aber das Mißtrauen das man sonst mit
straffe Konzentration und Komposition
Recht Fortsetzungen erfolgreicher Werke als schwächeren Wiederholungen ent¬
edanken und Gefühle überwuchern die
gegenzubringen pflegt, erweist sich nur am Anfang als berechtigt. Die Reste
ls das erste, das Zerfließende unseres
der Zwölf, vermehrt um ein paar Ausländer, gruppieren sich nach siebzehn
itik wie in unserer Kunst, in unserem
Jahren wieder um einen Mittelpunkt. Sie sind älter, aber nicht anders
knalistik aus. Unsere Frauen sind da
geworden und das entspricht wieder dem Lande des unglaublichsten Be¬
aber eben darum lebenstüchtiger. Frau
harrungsvermögens Noch immer spielt das Weib eine beherrschende Rolle
Lebehaindl gehen in Küche und Haus¬
in ihrem Leben, aber doch schon nicht mehr die einzige; sie sammeln sich
n unbeachteter, aber klagloser Geschäftig¬
nicht mehr um eine blonde Frau, sondern um einen weißhaarigen Apostel,
nd Ueberflüssigkeiten zu haben, die die
um den Urchristen und Naturpropheten Lutas Rabesam, der sich mit seinem
e zweite Schwiegertochter, das reizende
Bruder und Widerspiel Joachim, in dem sich alle staatsfeindlichen Tendenzen
halben in unseren Landen gedeiht, wie
Frau von der kaltschnäuzigen Weltdame
Ene solche Egeria können sich, wie es in
*) 1909, Leipzig, L. Staackmann.
**) 1912, Leipzig, L. Staackmann.
dem bekanntesten Buch von Bartsch,
***) 1910, Leipzig, L. Staackmann.
rebender Glücksucher anbetend gruppieren,
*K*) 1913, Leipzig, L. Staackmann.
eiberknechte verachten darf. Die lockere
†) 1915, Leipzig, L. Staackmann.
1+) 1915, Berlin und Wien, Ullstein & Co.
##) 1917, Leipzig, L. Staackmann.