I, Erzählende Schriften 29, Doktor Gräsler, Badearzt, Seite 121

Aseherhen
llicht mühsam in Eins verwobene
Menge von Begebenheiten, sondern bei
aller Lebendigkeit des Einzelnen doch
ein „Ganzes“, mit Auftakt, allmäh¬
lichem Beginn, Höhepunkten, Aus¬
klang; und nicht nur entschleiertes Le¬
ben, sondern höchst „unterhaltende" Er¬
zählung sogar für den, der über die
Tiefen hinwegliest. Keyerlings neueste
Erzählung heißt „Fürstinnen" und
mit Menschen und Sitten, so „elegant“
schildert das Leven #.
werden diese Atelier= und sonstigen Be¬
deutschen Hof (Verlag S. Fischer, Ber¬
gebenheiten doch nur selten erzählt.
lin). Man darf daneben Arthur
Und bei einer bedeutsamen Wendung
Schnitzlers Erzählung „Doktor
der Geschichte findet Holm plötzlich in¬
Gräsker, Bedearzt“ (derselbe Verlag)
nigere, ja ergreifende. Töne; tiefere Er¬
nennen, obwohl sie weniger Ansprüche
lebnisse, ernst und schön dargestellt, be¬
erhebi, nur ein Junggesellenleben, ein
herrschen nun eine Zeitlang die Erzäh¬
Leben ohne Kraft und Ziel, ein Leben
lung, und selbst der etwas gezwungene
ohne Erlebnisgewalt darstellr. Aber
Schluß zersetzt nicht die nachdenkliche,
Schnitzler hat eine kaum minder feine
verinnerlichte Stimmung, die einmal
Hand als Keyserling, blickt gewiß nicht
hervorgebracht ist. Das Buch heißt
weniger tief, ist gewiß kein minder geist¬
„Herz ist Trumpf“, und dieser Hinweis
reicher Unterhalter, kein minder über¬
auf den eigentlichen Sinn dieser erst
legener Novellist. Von ihm mag man
so „amüsanten“, stets ganz unaufdring¬
sich die Geschichte eines Lebenslaufs ge¬
lichen, plötzlich fast erschütternden Er¬
fallen (ja: „gefallen“!) lassen, der, von
zählung ist gerechtfertigt genug.
anderen erzählt, langweilig sein würde.
Aus dem friesischen Norddeutschland
Von vornherein auf Belustigung des
stammt und dorthin weist Gustav
Lesers angelegt ist Ludwig Thomas
Frenssens neuer großer Roman
„Altaich, eine heitere Sommergeschichte“
„Die Brüder“ (G. Grote, Berlin). Drei
(Albert Langen, München). Thema:
Söhne einer kinderreichen Bauernfami¬
Wie ein Gschaftlhuber durch Reklame
lie — Frenssen stellt mit Sorgfalt ihre
aus dem bayerischen Flecken Altaich
Herkunft und ihr inneres Erbteil, ihr
einen Höhenkurort zu machen trachtet,
ganz persönlich=eigenes Wesen und ihr
wie auch einen Sommer lang Gäste
äußeres Geschick dar. Im zweiten Drit¬
kommen, wie sie allerlei Heiteres und
tel des Buches bricht der Krieg aus, und
Argerliches erleben, und wie zuletzt
alle drei machen ihn zur See mit.
Altaich ist, was es seit Jahrhunderten
Frenssen ist Könner genug, um bei
war: ein Stück beschaulichen Landes
dieser Gelegenheit packende Seekriegs¬
„fern von Europa“ Leider ist die ge¬
bilder einzuschieben; die Hauptsache aber
schickt erfundene, mit trefflich umrissenen
bleibt die eigentümlich gewendete, sehr
Figuren ausgestattete Erzählung nicht
verinnerlichte Geschichte der drei jungen
eigentlich heiter, sondern vielfach mehr
Menschen und ihrer Familie. Süd¬
karikaturmäßig ausgefallen, und die
und Mitteldeutschen, gar Fremdrassi¬
„altbayrische“ Gesinnung des Verfas¬
gen werden diese wunderlichen, ganz im
sers, die da als „tiefere Lebensweisheit",
Inneren mit sich selbst beschäftigten und
als Liebe zu „bodenständigem, erdver¬
mühsam lebenden norddeutschen Seelen,
knüpftem Leben“ auftritt, verträgt sich
die Frenssen mit liebevollem Eifer aus¬
etwas zu gut mit innerer Fremdheit
gegenüber auch der echten Kultur. Aber einanderfaltet, vermutlich entweder
peinlich oder verzeichnet, also unecht
Spaß und „Anregung“ bietet das sau¬
vorkommen. Vielleicht sind sie beides
ber gearbeitete Buch viel.
nicht — es kommen schon wirklich höchst
Ganz im Tone salopper Unter¬
sonderbare Naturen da unten in den
haltung trägt Korfiz Holm eine
Ebenen vor! —, aber selbst Gustav
Münchner Malergeschichte (im gleichen
Frenssen ist nicht Virtuos genug, um
Verlage) vor; die Welt von Schwa¬
aus lauter Seelenmalerei, sei es selbst
bing, jene einzigartige Mischung von
mit den erstaunlichsten Farben und
Narrheit, „Künstler wesen, Internatio¬
Rhythmen, einen dauernd fesselnden No¬
nalität, Bayerntum und — im Grunde
man zu machen; man muß ein ganz be¬
— behaglicher Philisterei, scheint das
sonderer Liebhaber der innersten Inner¬
lange Buch zunächst ausfüllen zu sollen.
lichkeiten sein, um das dicke Buch ohne
Man könnte versucht sein, es aus der
etwas zu lange Weile durchzulesen!
Hand zu legen, da sein Inhalt aus der
Hanns Johsts „Anfang“ (Del¬
Münchener Roman= und Novellenlite¬
phin=Verlag, München) hat die Frische
ratur allzu bekannt sei. Indes, man
eines Erstlings im Inhaltlichen mehr
liest es doch weiter: so sachgetreu und
als in der künstlerischen Arbeit. Diese
ruhig=witzig zugleich, so innig vertraut
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