I, Erzählende Schriften 29, Doktor Gräsler, Badearzt, Seite 125

29. Doktor Graesler
Badearzt
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Ausschnitt au
i Gegenwart, Berlin
vomt 9047-
Randbemerkungen:
Ein neues Werk von Arthur Schullit.
Ueber die Stellung Arthur Schnitz¬
lers als eines über alle Kritik erhabenen
Meisters der modernen Erzählungskunst sind
eigentlich die Akten schon längst geschlossen, so
daß über ein neues Werk von ihm kaum noch
etwas zu sagen bleibt. Aber selbst die Verehrer
dieses feinen und tiefen Dichters erleben bei
seiner jüngsten Schöpfung, der Erzählung
„Doktor Gräsler, Badearzt,“ deren
Buchausgabe kürzlich im Verlage von S. Fi¬
scher in Berlin erschienen ist, eine Ueber¬
raschung. Nur ganz wenige Werke der modernen
Literatur offenbaren eine so starke innere An¬
teilnahme ihres Autors an den geschilderten Vor¬
gängen, und dem Leser bleibt nach Beendigung
der Lektüre eine lange nachhallende, tiefe innere
Ergriffenheit.
Ungewöhnlich viel Selbsterlebtes hat der
Dichter, wie aus jeder Zeile des Buches hindurch¬
leuchtet, in dies Werk verwebt. Er schildert
das späte, aber um so nachdrücklicher auf¬
wühlende Liebeserlebnis eines Junggesellen, der
bereits im Ausgange der vierziger Jahre steht.
Drei Frauen sind es, die beinahe gleichzeitig
seine Neigung fesseln, und zwischen denen seine
Gefühle eine Zeitlang unsicher, aber mit un¬
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genwart
unterdrückbarem Verlangen hin und her schwan¬
ken, die reife, tief veranlagte Tochter einer gut¬
situierten Bürgerfamilie, das kleine, naive,
lebens= und genußfrohe Ladenmädchen, und die
junge, begehrliche Witwe eines Kaufmanns,
deren Töchterchen er aus der Gefahr der Schar¬
lacherkrankung rettet. Als die erste sich ihm
wegen einer unüberbrückbaren Charakter¬
verschiedenheit versagt und die zweite ihm nach
einem kurzen, zärtlich=süßen Liebesidyll durch
einen Tod von erschütternder Tragik geraubt
wird, flüchtet er endlich in die Arme der dritten
und findet dort ein stilles, friedlich=frohes Ehe¬
glück.
Schnitzlers Kraft liegt in diesem Werke noch
stärker als in seinen früheren Schöpfungen in
der bezaubernden, mollgestimmten, duftvollen
und hauchzärten, von Resignation, Melancholie
und zartester Sehnsucht übergossenen Dar¬
stellung der Psychologie der Liebe. Das lang¬
same, allmähliche, anfangs kaum beachtete, aber
immer gewaltiger anschwellende und tiefer
wurzelnde Aufkeimen der Liebe in dem Bade¬
arzte, sein ängstliches Schwanken und die ganze
Hilflosigkeit seines äußerlich so gefestigt und
würdig erscheinenden Charakters sind mit be¬
zwingender Keuschheit und eindrucksvollster Le¬
bendigkeit und Vielseitigkeit geschildert. Die
Darstellung von Doktor Gräslers nieder¬
geschmettertem, von wühlendem Schmerz,
dumpfer Entsagung und bitterem Menschenhaß
gequältem Gemütszustande nach dem Tode seiner
geliebten Kathi ist schlechthin überwältigend.
Auch die Frauen stehen wie aus einem Gusse mit
vollendeter Anschaulichkeit und Lebenswahrheit
vor uns. Sabine, die Tochter des ehemaligen
Opernsängers, ist eine durch mancherlei Er¬
fahrungen und eine kluge, scharfe, leidenschafts¬
lose Beobachtungsgabe seelisch und geistig durch¬
gereifte, harmonische Persönlichkeit, Kathi ist eine
der liebenswertesten und anmutigsten Ge¬
stalten vom Schnitzlerschen Typus des „süßen
Mädels,“ und Frau Sommer ist ein etwas
lockeres, doch die Grenzen der Dezenz ge¬
schmackvoll wahrendes Bürgerweibchen.
Daß wie überall bei Schnitzler auch in
diesem Buche das Milieu und die realistischen
Details mit vollendeter Exaktheit und Plastik ge¬
staltet sind, bedarf kaum besonderer Exwähnung.
So wird dies Buch mit seinem bekenntnishaften
Charakter zu einer geistigen Erbauung, deren
unwiderstehlichem Reize sich wohl kaum ein Leser
wird entziehen können.
Dr. Wilhelm Bolze.
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