au Beate und ihr Sohn
28. Frednenetecteteeeenanen
menschlichen Leben sei. Diese überragende Stellung des
erotischen Triebes ist nicht Wirklichkeit und besteht nur in
der Einbildung des Dichters. Der große Zug des Lebens
weist eine ganze Reihe starker Motive auf, unter denen die
Erotik eine wichtige, aber nicht die allein beherrschende
Stellung einnimmt. Schnitzler führt uns in einen Kreis
von Menschen, die fast ausschließlich ein Triebleben
führen. Freilich, die Szene, in die er die Geschehnisse
hineinstellt, wirkt suggestiv und kommt dem Dichter zustatten.
Die Handlung spielt im Hochsommer an einem ober¬
österreichischen See. Die Schwüle der Sommerabende, das
laue Wasser, das raffinierte Nichtstun der Ferialzeit, alles
vereinigt sich, um in der Tat die triebhaften Instinkte zu
#ehöhen und die Katastrophe, deren Zeugen wic sind, gluub¬
hafter zu machen. Frau Beate, die noch immer jugendliche
und begehrenswerte Witwe eines gefeierten Schauspielers,
verbringt mit ihrem Sohne Hugo, der an der gefährlichen
Schwelle vom Knaben= zum Jünglingsalter steht, den Sommer
in ihrer Villa em See. Keusch wie ein Mädchen hat sie
ihre Witwenjahre verlebt, aber in dieser unheimlich schwülen
Atmosphäre ereilt sie das Schicksal. Ihr Sohn wird die Beute
einer Frau, die halb Courtisane, halb Künstlerin ist, sie selbst
aber vergißt sich in einer dieser lockenden, gefährlichen, ver¬
führerischen Sommernächte mit einem jungen Burschen,
einem Freund ihres Sohnes. Kaum ist das Unfaßbare ge¬
schehen, wird sie sich der Ungeheuerlichkeit ihrer Verirrung
bewußt. Durch Zufall erhorcht sie ein Gespräch ihres knaben¬
haften Liebhabers mit einem jugendlichen Zyniker, hört, wie
ihr Geheimnis preisgegeben, von ihrem Fall in schmählichen
und gemeinen Worten gesprochen wird, die sie nie vernom¬
men hat, die sie kaum versteht. Tief gedemütigt, schwer
verletzt in dem, was ihr von ihrer Ehre geblieben,
sieht sie keinen anderen Ausweg aus der entsetzlichen
Lage, als durch einen freiwilligen Tod wenigstens die
Liebe und Achtung ihres Sohnes zu retten. Aber
auch diese Genugtuung soll ihr nicht werden. In dem Kreise
frivoler Lüstlinge, in den ihr Sohn durch seine Liebelei
geraten ist, hat man das Geheimnis der Mutter längst
durchschaut und gibt sich gar keine Mühe, die rohen Be¬
merkungen darüber vor dem Sohne zu unterdrücken. Zu
Tode getroffen ist nun auch der Jüngling, und in einer
der unheimlichen Zaubernächte gehen Mutter und Sohn in
den Tod; der warme See nimmt sie in seinen Schoß auf
Man hat nicht den Trost, daß der Dichter mit diesem
Schicksal nur ein Produkt seiner Laune gestaltet hätte, au
dem Leser lastet der Eindruck, daß die traurige Geschicht¬
in der Tat sich so begeben haben kann. Aber als Einzelfall
nicht als typisches Schicksal. So schwach ist denn doch nich
die Widerstandskraft der Mütter aus den Kreisen de
bürgerlichen Gesellschaft, daß sie so ohneweiters dem Hexen
zauber einer Sommernacht erlägen und alle Empfindunge
der Scham so weit überwinden würden, um mit einen
Kameraden des eigenen Sohnes sich einzulassen. Insofer:
also der Dichter uns Typisches und allgemein Gültiges vor
führen soll, ist das Werk verfehlt. Läßt man aber die Be
rechtigung gelten, auch einen merkwürdigen Einzelfall
künstlerisch zu gestalten, dann hat Schnitzler allerdings seine
ganze reife Kunst aufgeboten, um das Unglaubliche glaub¬
haft, ja scheinbar als ein notwendiges Verhängnis erscheinen
zu lassen.
+
box 4/5
—
Ausschnitt auser Allgemeine Zeitung, Wien
vom:
1
Artur Schnipher Frau Beate und ihr
Söhn. Novelle. — S. Fischer, Verlag, Berlin.
In seiner Erzählung „Frau Beate und ihr Sohn“ ge¬
staltet Schnitzler aus dem weichen, verfeinerten Wiener Milieu,
aus dem er alle Konflikte seiner Werke holt. ein Schicksal, das,
ein Urtypus menschlicher Konflikte, in einer reinen Tragik
emporwächst Er zeichnet eine Mutter und ihren ermachsenen
Sohn. Frau Beate lebt mit ihrem immer noch reichen und
jungen Blut in Witwentreue dem Andenken ihres Mannes.
Dieses Gesühl umspannt auch ihren Sohn, als das nur
der Mutter zugewandte und zugehörige Kind, bis sie eines
Tages sieht, daß er seinen eigenen Weg zum Abenteuer
und zu den Frauen zu gehen beginnt. Anfangs sucht sie
den Sohn zu halten, aber das Erstaunen über die
tiefe, ihr unzugängliche Wandlung in seiner Seele bringt
auch in ihr Leben und Blut eine Veränderung. Auch in ihr,
der Mutter, erwacht die Jugend, sie unterliegt, sie gibt sich
einem Freunde ihres Sohnes hin. Die Klarheit und Wach¬
heit ihrer Natur schwindet, sie überläßt den Sohn seinen Ge¬
lüsten und sich den ihren. Ihr Leben trübt sich bis zur
Rettungslosigkeit, als sie ihren jungen Liebhaber mit seinem
Siege renommieren hört. Und nun erfährt auch der Sohn auf
üble Weise, was seine Mutter eibt. Er ist fassungslos, er
kann es nicht verstehen, er fühli sich ganz nur als das Kind
und die Frau nur als die Mutter, er vermag das Leben nicht
mehr zu ertragen. Nach einer unheimlichen, tief verirrten
Stunde auf dem nächtlichen See nimmt ihn Beate mit sich in
den Tod. Die Liebe zum gleichaltrigen Freunde des Sohnes
ist ein Inzest; das, und nicht ein Konflikt bloß bürgerlicher
Art, ist der Sinn der Novelle, die Schnitzlas tiefe Seelen¬
Langlyse auf immer kühneren Wegen zeigt. □
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28. Frednenetecteteeeenanen
menschlichen Leben sei. Diese überragende Stellung des
erotischen Triebes ist nicht Wirklichkeit und besteht nur in
der Einbildung des Dichters. Der große Zug des Lebens
weist eine ganze Reihe starker Motive auf, unter denen die
Erotik eine wichtige, aber nicht die allein beherrschende
Stellung einnimmt. Schnitzler führt uns in einen Kreis
von Menschen, die fast ausschließlich ein Triebleben
führen. Freilich, die Szene, in die er die Geschehnisse
hineinstellt, wirkt suggestiv und kommt dem Dichter zustatten.
Die Handlung spielt im Hochsommer an einem ober¬
österreichischen See. Die Schwüle der Sommerabende, das
laue Wasser, das raffinierte Nichtstun der Ferialzeit, alles
vereinigt sich, um in der Tat die triebhaften Instinkte zu
#ehöhen und die Katastrophe, deren Zeugen wic sind, gluub¬
hafter zu machen. Frau Beate, die noch immer jugendliche
und begehrenswerte Witwe eines gefeierten Schauspielers,
verbringt mit ihrem Sohne Hugo, der an der gefährlichen
Schwelle vom Knaben= zum Jünglingsalter steht, den Sommer
in ihrer Villa em See. Keusch wie ein Mädchen hat sie
ihre Witwenjahre verlebt, aber in dieser unheimlich schwülen
Atmosphäre ereilt sie das Schicksal. Ihr Sohn wird die Beute
einer Frau, die halb Courtisane, halb Künstlerin ist, sie selbst
aber vergißt sich in einer dieser lockenden, gefährlichen, ver¬
führerischen Sommernächte mit einem jungen Burschen,
einem Freund ihres Sohnes. Kaum ist das Unfaßbare ge¬
schehen, wird sie sich der Ungeheuerlichkeit ihrer Verirrung
bewußt. Durch Zufall erhorcht sie ein Gespräch ihres knaben¬
haften Liebhabers mit einem jugendlichen Zyniker, hört, wie
ihr Geheimnis preisgegeben, von ihrem Fall in schmählichen
und gemeinen Worten gesprochen wird, die sie nie vernom¬
men hat, die sie kaum versteht. Tief gedemütigt, schwer
verletzt in dem, was ihr von ihrer Ehre geblieben,
sieht sie keinen anderen Ausweg aus der entsetzlichen
Lage, als durch einen freiwilligen Tod wenigstens die
Liebe und Achtung ihres Sohnes zu retten. Aber
auch diese Genugtuung soll ihr nicht werden. In dem Kreise
frivoler Lüstlinge, in den ihr Sohn durch seine Liebelei
geraten ist, hat man das Geheimnis der Mutter längst
durchschaut und gibt sich gar keine Mühe, die rohen Be¬
merkungen darüber vor dem Sohne zu unterdrücken. Zu
Tode getroffen ist nun auch der Jüngling, und in einer
der unheimlichen Zaubernächte gehen Mutter und Sohn in
den Tod; der warme See nimmt sie in seinen Schoß auf
Man hat nicht den Trost, daß der Dichter mit diesem
Schicksal nur ein Produkt seiner Laune gestaltet hätte, au
dem Leser lastet der Eindruck, daß die traurige Geschicht¬
in der Tat sich so begeben haben kann. Aber als Einzelfall
nicht als typisches Schicksal. So schwach ist denn doch nich
die Widerstandskraft der Mütter aus den Kreisen de
bürgerlichen Gesellschaft, daß sie so ohneweiters dem Hexen
zauber einer Sommernacht erlägen und alle Empfindunge
der Scham so weit überwinden würden, um mit einen
Kameraden des eigenen Sohnes sich einzulassen. Insofer:
also der Dichter uns Typisches und allgemein Gültiges vor
führen soll, ist das Werk verfehlt. Läßt man aber die Be
rechtigung gelten, auch einen merkwürdigen Einzelfall
künstlerisch zu gestalten, dann hat Schnitzler allerdings seine
ganze reife Kunst aufgeboten, um das Unglaubliche glaub¬
haft, ja scheinbar als ein notwendiges Verhängnis erscheinen
zu lassen.
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box 4/5
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Ausschnitt auser Allgemeine Zeitung, Wien
vom:
1
Artur Schnipher Frau Beate und ihr
Söhn. Novelle. — S. Fischer, Verlag, Berlin.
In seiner Erzählung „Frau Beate und ihr Sohn“ ge¬
staltet Schnitzler aus dem weichen, verfeinerten Wiener Milieu,
aus dem er alle Konflikte seiner Werke holt. ein Schicksal, das,
ein Urtypus menschlicher Konflikte, in einer reinen Tragik
emporwächst Er zeichnet eine Mutter und ihren ermachsenen
Sohn. Frau Beate lebt mit ihrem immer noch reichen und
jungen Blut in Witwentreue dem Andenken ihres Mannes.
Dieses Gesühl umspannt auch ihren Sohn, als das nur
der Mutter zugewandte und zugehörige Kind, bis sie eines
Tages sieht, daß er seinen eigenen Weg zum Abenteuer
und zu den Frauen zu gehen beginnt. Anfangs sucht sie
den Sohn zu halten, aber das Erstaunen über die
tiefe, ihr unzugängliche Wandlung in seiner Seele bringt
auch in ihr Leben und Blut eine Veränderung. Auch in ihr,
der Mutter, erwacht die Jugend, sie unterliegt, sie gibt sich
einem Freunde ihres Sohnes hin. Die Klarheit und Wach¬
heit ihrer Natur schwindet, sie überläßt den Sohn seinen Ge¬
lüsten und sich den ihren. Ihr Leben trübt sich bis zur
Rettungslosigkeit, als sie ihren jungen Liebhaber mit seinem
Siege renommieren hört. Und nun erfährt auch der Sohn auf
üble Weise, was seine Mutter eibt. Er ist fassungslos, er
kann es nicht verstehen, er fühli sich ganz nur als das Kind
und die Frau nur als die Mutter, er vermag das Leben nicht
mehr zu ertragen. Nach einer unheimlichen, tief verirrten
Stunde auf dem nächtlichen See nimmt ihn Beate mit sich in
den Tod. Die Liebe zum gleichaltrigen Freunde des Sohnes
ist ein Inzest; das, und nicht ein Konflikt bloß bürgerlicher
Art, ist der Sinn der Novelle, die Schnitzlas tiefe Seelen¬
Langlyse auf immer kühneren Wegen zeigt. □
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