I, Erzählende Schriften 28, Frau Beate und ihr Sohn. Novelle, Seite 10

ihr Sohn
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28. Frau Beate und
euund Lan maal.
(Quellenangabe ohne Gewähr.)
Neue Freie Presse, Wien
Ausschnitt aus:
22. JUNl 1913
vom:
geht sie in den Tod, nun wie
sie mit einem auflas, der niemals wieder pflücken wird;
Literaturbiat.
und hat nicht Tod noch Leben je ganz begriffen.“
bergend, mit sich nehmend,
Es ist eine echt Schnitzlersche Betrachtung, die sich
Sterben vor der Gefahr des
uns hier erschließt, wie es auch durchaus der Atmosphäte
Das neue Buch Arthur Schnitzlers.
Und wieder muß man
früherer Gestalten des Dichters angemessen scheint, daß
Aschenhach aus dem neuen
(„Frau Beate und ihr Sohn." Novelle von Arthur
Beate, aus den Schrecknissen eines so nahe treffenden
Schnitzler. S. Fischer Verlag, Berlin.)
gedenken, der stirbt, während
Todesfalles ins Leben zurücktaumelnd, von ihrem schlim¬
Augen in die reinigende Flut
Das neue Buch Arthur Schnitzlers erinnert in mehr
men Schicksale verstrickt wird, das zuerst die Maske
deutend, voranschwebend ins
als einer Beziehung an das neue Buch von Thomas
neuer Jugend und Liebe trägt und sich dabei selbst zum
Hier wie dort gibt es Schuld
Mann — „Der Tod in Venedig“ — das sich gleich ihm eine
zweitenmal als Tod und Verderben entlarvt. Ihre aus¬
bedrückt den Leser, macht ihn
Novelle nennt und in breit hinströmender Prosa, nur
schweifende Sehnsucht, ihr schuldiges Schwachwerden und
zu folgen vermag, hemmt ihn
ganz ausnahmsweise von kurzen Dialogstellen durch¬
Unterliegen scheint so einem plötzlich aufflackernden Lebens¬
Brust. Hier wie dort ist der
brochen, eine merkwürdige Begebenheit erzählt, sündhaft
hunger zu entspringen; sie fällt dem Tode anheim, da sie
sehr in der gefahrvollen Har
schillernd, peinlich oft und an den Grenzen des künstlerisch
ihm zu entfliehen trachtet. Als das Furchtbarste aber, das
Fabel begründet, die erschreck
Gestaltbaren sich haltend. Was beide Dichter, den
Beate zuerst kaum zu fassen vermag und das sie schließlich
zu bezwingen und zu überzeu
deutschen, ein wenig fernen und den heimatlich nahen,
allzu leicht hinnimmt, erweist sich nicht so sehr das
lichen Art des Vortrages. W
wienerischen gelockt haben mag, war wohl gerade das
Schrecknis des Todes, sondern das bedrohlichere Schreck¬
kommt der Dramatiker und
Ungewöhnliche des zu enthüllenden Vorganges, der ganz
nis des neu und erstaunlich sich ihr offenbarenden Lebens.
zum Wort, kein unnötiges B
leicht und spielend gefaßt werden konnte, etwa in der
Eine alternde Frau —
Baronin
Fortunata
das ruhige Hinströmen der
knappen, sachlichen Art Boccaccios — um dann ganz
eine Abenteurerin, droht Beatens Sohne, ihrem Hugo,
zufällig eingeschobenen Dialo
frivol und kichernd und anstößig sich auszulassen —.
gefährlich zu werden, droht des unmündigen Knaben
einzigen farbigen, charakteristi
Doch mit tiefem sittlichen Ernst begriffen, in den er¬
erstes unsicher tastendes
Liebeswerben sich zum
reichische Schauplatz der Bege
höhten Bezirk seelischen Erlebens gerückt, mußte das
Spiel zu nützen. Beate stellt die
Fremde;
die sanfte Landschaft — das
ursprünglich vielleicht nur zeichnerisch Gedachte schnellhin
drohend, zum Kampf bereit: ganz und gar besorgte
Anzumerkende, Anekdotische sich zum Bilde wandeln,
unauffällig als handelnde Per
Mutter, die ihr Heiligstes verteidigt, zugleich empört und
der See zwischen Bäumen her
ohne daß sich doch der Künstler Zeit genommen hätte,
auf das Tiefste in ihrer weiblichen Würde verletzt. Eine
e.wartend, und dann von dr
die Farben voll aufzutragen, ihre Abstufungen und
Welt trennt sie von der verruchten Frau, unbegreislich
mauert, die Beatens brechend
gegenseitigen Beziehungen verklingen zu lassen. Es wird
bedünkt sie deren Schamlosigkeit, ihre buhlerische Art,
nur eben angedeutet, dies hier sei höllisch rot und dies
als die letzten Schatten der
ihre sinnliche Neugierde.... Und dann fällt sie dieser
verderblich grün, aber die Buntheit der Schicksale, die
auch ist die Vision der
Neugierde, diesem Sinnentaumel selbst zum Opfer, ver¬
vorübergleiten, ist nicht klar, überzeugend, eindringlich,
wissen gemarterten Beate, die si
gibt sich einem Kameraden ihres Sohnes — wie furcht¬
packt uns nicht, reißt uns nicht fort, rüttelt uns nicht,
aus einer Umarmung in di
bar — sinkt in seine ungeschickt zärtliche Umarmung
wühlt uns nicht im Innersten auf. Alles gleitet kühl, in
Selbstgespeäch, an jenes meis
gerade an dem Abend, da Hugo sich in Fortunatens
vollendeter Ruhe vorüber, wir haben kein Teil an ihm
nants Gustl gemahnend, ganz
Kammer stiehlt; doppelt sündig, ihrer geheiligten Mutter¬
und es hat kein Teil an uns, es steht außerhalb des
Ergreifend auch die Szene,
schaft unwert, von qualvoller Seelenpein allsogleich ge¬
Dichters, außerhalb seines Werkes. Es hat die Feier¬
Beatens Gatten, den berü
foltert, sich selbst verhaßt, von der verschuldeten Schmach
lichkeit unfeierlicher Stunden, in denen der Künstler aus
„Klopfenden Herzens hörte 2
gezeichnet, daß sie meint, jeder müsse das Entsetzen ihr
seinem Alltag heraustritt, der allein Fest und Wunder ist.
log „Sein oder Nichtsein“ in
von der Stirne lesen. Und schon rühmt sich der unwürdige
Dieses Buch bedeutet einen Ausflug ins Erstaunliche
fall durch die freie Sommerli
Knabe, an den sie ihre Gunst verlot, einem neu einge¬
und Verwegene, erschreckende Abgründe der Seele it¬
dem Tasso, dann irgendwe
tröffenen Freunde seines ersten Liebesabenteuers, über¬
laug, einen Ausflug in die Gefahr.
aus einem längst vergessenen
treibtohl auch in der prahlerischen, ein wenig scham¬
Beate, das ist die Frau von vierzig Jahren, rüh
dröhnen und Hinschmelzen
losen Art ganz junger Menschen, und Frau Beate, die
verwitwet, das Herz brennender Sehnsucht voll, an ihren
und trank sie geschlossenen 2
Lauscherin, muß erkennen, daß die Torheit einer zärt¬
Sohn alle Zärtlichkeit verschenkend, zwischen dieser frohen
noch
ein, bis es plötzlich,
lichen Nacht nicht Traum geblieben ist, wie sie hofste,
Wirklichkeit und sanften Träumen dahinlebend. Ihr Gatte
Organ, aber jetzt in seinen
sondern ins Wirkliche, laut mit Worten und Namen
war ein berühmter Tragöde, und sie kann es noch immer
hart an ihrem Ohr erklang:
Bezeichnete trat, daß es keine Rettung und kein Ent¬
nicht begreifen, daß er nun für immer tot sein soll,
riß sie, tief erschrocken, die L#
rinnen mehr gibt vor den eigenen Anklagen,
wahrhafter tot als Hamlet, als Cyrano, als der königliche
ein frech verlegenes Gesicht, u
vor dem furchtbaren Erkennen der eigenen Schuld.
Richard, in deren Masken sie ihn so oft hat sterben sehen.
vergehenden Zug, der gespen
Nur einen Wunsch, kaum eingestanden, birgt noch
Und zuweilen denkt Beate: „Ist es nicht zum Er¬
Eine freche
mahnte.
er¬
ihre tiefwunde Brust: Hugo darf nichts
schauern, wie man vom Furchtbarsten in blühender Zeit
Frau, sie selbst trägt eine M
fahren, ihr Sohn darf nicht das Schreckliche mit sich
zu sprechen vermag, scherzend und leicht, als drohe der¬
die Jugend und die Liebe,
hinaus ins Leben nehmen. Aber auch er weiß es schon;
gleichen anderen nur und könnte einem selber gar nicht
wird ihr zur Maske, hinter
Fortunata, die Feindin, hat es ihm ins Ohr gezischelt, die
widerfahren! Und dann kommt es wirklich, und man faßt
Wahrheit suchen, die uns bes
Fremde, von der Beater einst eine Welt trennte: nun
es nicht und nimmt es doch hin; und die Zeit geht
Geheimnis, alles bleibt fern
ihresgleichen, eine Spießgesellin Jetzt erst begreift Beate
weiter, und man lebt; man schläft im gleichen Bette,
gesehen, nicht eigentliches Er
ganz klar, daß es kein Entrinnen gibt, nun erst sieht sie
das man einst mit dem Geliebten teilte, icinkt aus dem¬
eine Aktstudie, ein künstlerisch
selben Glas, das er mit seinen Lippen berührte, pflückt im Tode die endliche Befreiung, die Sühne, die große
unter dem gleichen Tannenschatten Erdbeeren, wo man Reinigung und Läuterung. Gemeinsam mit ihrem Sohne in die Gefahr.