I, Erzählende Schriften 28, Frau Beate und ihr Sohn. Novelle, Seite 22

Frau Beate und ihr Sohn
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28. Fran
Deute und Inr Sehn
tiefen Fall und einem jähen Erwachen — sie hört den jungen
nisse und Versuchungen gefeit durch das Andenken an den
der sich Schnitzler seit dreißig
Liebhaber einem Kameraden gegenüber in häßlicher Knaben¬
Einzige, Unerreichbaren, und die Liebe zum heranwachsenden
nd man muß sich schier darüber
versinkt ihre Na¬
haftigkeit sich seiner Erfolge rühmen —
Sohn. Ihn umspannt ihr ganzes Gefühl, wie sie des Sohnes
diesem eng begrenzten Felde der
tur in einen Zustand selbstanklagender Hellsichtigkeit: ihr
Fühlen mit dem ihren eins weiß. Auf ihrer Villa im Salz¬
Seiten abzugewinnen, ja seine
eigenes und ihres Gatten vergangenes Bild leuchtet in neuen,
kammergut wo sie den Sommer mit dem Siebzehnjährigen
en stetig zu vertiefen, so daß er
trüben Farben. Andeutungen, die ihr früher kaum aufgefallen
verbringt keimt ihr jäh und verwirrend zum erstenmale die
pielerischen Pierrottum der Ana¬
waren, empfangen plötzlich Sinn und Richtung. Jetzt weiß
Erkenntnis des veränderten Verhältnisses auf: der Jüngling,
erzlichkeiten der Liebeleien stetig
sie, daß sie dem über alles geliebten Gatten nur eine unter
sonst beichtfreudig selbst in seinen kleinen erotischen Geheim¬
ntragischen Untergründen dieser
vielen war, aber auch sie selber erkennt sich als treulose Ge¬
nissen, geht verschlossen seine eigenen Wege, und deren Spuren
gen ist und die vordem als End¬
treue: in dem einen hatte auch sie nur die vielen geliebt, die
Den
führen zur Villa einer verderblichen Kokette, der Frau Beate
illeuschilderung nur mehr als
mannigfachen Gestalten von Helden und Bösewichtern, in denen
das Erwachen der ersten Leidenschaften ihres Kindes am aller¬
tigkeit für seine gesellschafts¬
der Gatte auf der Bühne sich ihren wechselsüchtigen Sinnen
wenigsten anvertraut wissen will. Zwar gibt sie sich selbst
e Gesellschaftskritik freilich, die
offenbarte. Eine tief Zerknirschte, sich selber Verdammende
nicht Rechenschaft über ihr wahres Gefühl, hält für reine
Zeilen wird lesen können. Auf¬
rafft sie sich zur letzten Rettung auf. Sie will mit dem Sohne
mütterliche Angst, was dumpf als Eifersucht brodelt, denn in
em Wesen, als dem eines echten
diesem Dunstkreis der Verworfenheit entfliehen, ihn und sich
dem Jüngling inkarniert sich die Witwenliebe zum Gatten mit.
ehr Betrachter seiner Welten,
von einer Enttäuschung zu heilen, ihm das Ideal der Mutter
Auch dessen wird sie sich nicht klar, daß sie zum zweitenmale
nlagung nach, Bezweifler aller
zu bewahren. Zu spät. Schon ist der Sohn Mitwisser des
einen Schritt tut, der für das liebende Mädchen schon un¬
so man mit diesem Begriffe fest¬
Geheimnisses der Mutter. In einer tiefverirrten Stunde, auf
gewöhnlich war: wie sie einst den Gatten, da er noch in den
en will. Ein Zuviel an Klugheit,
nächtlicher Bootfahrt, bricht sich die Beichte los und die gegen¬
Händen einer alternden Geliebten war, durch einen resoluten
unheimlich scharfer Blick für die
seitige Erkenntnis, aus der es keine Rückkehr zu den Leben¬
Besuch im feindlichen Lager befreite, nimmt sie jetzt den offenen
schen Regungen verleihen seinen
den geben kann. Eine letzte schmerzliche Sehnsucht steigt aus
Kampf. mit der Nebenbuhlerin auf. Der vemneintliche Sieg
des Verfließenden, Schillernden,
1 der Tiefe ihrer Seele und flutet dunkel in die seine über.
wird ihr zur Niederlage: die glatte Gemeinheit, die selbst die
ufiges Versagen im Drama, das
Mutter= und Weibesliebe kennen ihre Grenzen nicht mehr.
Wahrung des äußeren Scheins für überflüssig hält peitscht
t. Dennoch vollziehen sich Schick¬
Aus dumpfer Ohnmacht keimt nur ein Wille mehr auf: der
ihre Phantasie auf so daß sie, die bisher unberührt durch
menschliche Tragödien. Sie wach¬
nach dem Ende. In die nächtlichen Fluten des Bergsees zieht
lüstern liebelnde Menschen wandelte, nun überall den Hauch
Atmosphäre, in deren zersetzendem
die Selbstmörderin den Sohn und Geliebten mit hinab, ein
des gleichsam in der Luft des Sommertages schwebenden all¬
n. Augenblickseingebungen, Worte
letzter angsterfüllter Blick kündet Verständnis und Ver¬
gemeinen Begehrens körperlich empfindet, Männerblicken neue
hts. Die Tat, oder was man so
zeihung.
Deutung gibt und sich, halb noch widerstrebend, vom Fluidum
ung. Niemand meistert sie. Sie
Meisterschaft der künstlerischen Behandlung allein recht¬
gesetzloser Auslebewünsche umschmeichelt fühlt. Mählich geht
ß man's so recht wollte vernichtet
fertigte die Kühnheit dieses Vorwurfs, und es bedurfte einer
ihr das Empfinden für den schwankenden Boden auf, auf dem
die man gefestigt glaubte, brechen
ebenso zarten wie kundigen Hand und einer tiefen Vertrautheit
die Menschheit dieses mondänen Kurorts sich bewegt, und es
ernichtet körperlicher oder seelischer
mit den möglichen Irrfahrten der Menschenseele, um mit solch'
wird ihr offenbar, wie unter der Sicherheit äußerer Formen,
hied? Im Grunde genommen
unentrinnbarer innerer Geschlossenheit, wie sie hier ausgewirkt
unter der scheinbaren Glätte der Sitten tausend Abgründe
ist, aus einem anfänglichen sommerlichen Idyll diese schwere
schlummern, an denen sie bisher achtlos vorbeigeschritten ist.
des gesellschaftlichen Bodens und
Tragik hervorwachsen zu lassen. Das künstlerische Prinzip der
Das seltsamste aber ist: daß sie auf all diese Reize gar nicht
isch zu Mensch gab Schnitzler den
Novelle, einen einzig gearteten Fall bei äußerster Aussparung
mehr mit kräftigem Widerstande zu reagieren vermag, sich
n Drama, dem „Weiten Land“, als
der Mittel und Konzentration auf das Wesentliche des Vor¬
vielmehr spielerisch eingelullt fühlt, sich treiben läßt, mit einem
umeister Solneß der Serualität“
ganges zwingend aus den Bedingungen der Umwelt zu ge¬
leisen Lächeln, einem Augenaufschlag Hoffnungen weckt, an
der an der Wende des vierten
stalten, ist hier mit einer reifen Könnerschaft gewahrt. Aufs
deren Erfüllung sie nicht denken möchte. Das Schicksal des
zweifelten Kampf als mählich ver¬
Neue offenbart sich Schnitzlers Begabung eines sonveränen
Sohnes gleitet darüber in neblige Fernen ab, und die vorerst
besspiels ausficht. Aus dem glei¬
Spiels mit seinem Stoff; er verzichtet auf alle äußerlichen
nur geduldete, dann widerstrebend geförderte Anbetung eines
ne neueste, und vielleicht beste, No¬
Verwickelungen und Enthüllungen, auf jegliches wirksame
Schulfreundes ihres „Buben“ wird schließlich Frau Beatens
btile Mutterschaftstragödie, in der
Feuerwerk der Konfliktsknotung; er läßt wohl Möglichkeiten
Schicksal. In einer Mischung von eifersüchtigem Trotz wider
der Bindung mütterlicher und ero¬
solcher Art ahnen, verschmäht sie indessen mit einem leisen
den Sohn, den sie nunmehr jener Kokette verfallen weiß, und
ird. Frau Beate, die jugendliche
Lächeln und taucht dafür stetig tiefer in den Abgrund seelischer
jener laxen Allgemein=Moral, daß sie ja niemand Rechenschaft
keines berühmten Schauspielers, de.
Verwirrung hinab. Die schon im „Leutnant Gustl“ bewunderte
schulde, versinkt sie in den gefährlichen Rausch der reifen Frau,
freudigkeit heraus entrissen wurde,
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und herzhaften Art gegen alle Fähr= der sich der erstmals erglühende Jüngling bietet. Über diesem [.Kunst, Menschen mit sich allein sein zu lassen, ein vage hin¬
geworfenes Wort, eine Stimmung zu dumpfen Entschlüssen zu
formen, die Umwelt in ganz bestimmten, nur dieser Seele
eigenen Reflexen sich spiegeln zu lassen, zeigt sich in dieser No¬
volle auf ihrer alten Höhe. Und wundervoll ist, bei aller schein¬
baren kühlen Objektivität, die innere Anteilnahme des Er¬
zählers an den Geschicken seiner Geschöpfe, jene lässige, wissende
Melancholie, die wie die regenschwere Verhangenheit eines
düsteren Bergsees in matten Schwaden über dem Vortrag
F. Ph. B.
lagert ..