I, Erzählende Schriften 28, Frau Beate und ihr Sohn. Novelle, Seite 26

Frau Beate und ihr Sohn
28. Mae1 Lann box 4/5
Nachrichtes
mbure
kommt dahinter, daß das Moralisieren gar nicht die höchste
erkennt. Es gibt auch Menschen, die die Konsequenz aus
Klarheit ist, sondern selbst wieder eine problematische Hem¬
dieser Erkenntnis ziehen und sich töten — ich denke an Wai¬
tätigen Feigheit.
mung. Es hindert uns, unser Dasein geschlossen und orga¬
ninger, aber auch an die vielen Namenlosen, von deren Selbst¬
tto Flake.
nisch zu entwickeln.
mord man nur aus den Zeitungen erfährt, wo die Bericht¬
Wer jeden Augenblick sich und andere zur Rechenschaft
erstatter dann hinzufügen: diese Tat ist in ihren Motiven
Sie verstehen Ihr Handwerk,
zieht, wird zaghaft für sich und beschwerlich für andere. Das
vollkommen unerklärlich und nur in einem Anfall geistiger
Sie baten mich um einen Auf¬
Schlimmste, was es gibt, ist, sich zu stauen, und Vorsätze sind
Störung möglich gewesen.
er kam nicht. Sie mahnten, und
ein ebenso überflüssiges wie beschwerliches Gepäck. Natürlich
Ach nein, es ist sehr oft ein Augenblick der erbarmungs¬
kein Thema. Da regten Sie an,
und ewig ist es, da zu sein und dahin zu strömen wie ein
losen Klarheit gewesen. Wir anderen schieben den Radikalis¬
Feigheit schreiben, und erzählten,
Wasser, das seinen Lauf sucht.
mus von uns, wir sind „feige“.
fdurch einen Knaben gekommen,
Es ist jedem begegnet, daß er von der Hingabe einer Frau
Da wir bei Tod und Lebensekel sind: ich habe viel mit
beschäftigt sei und wenn er seinen
enttäuscht wurde. Ich brauche das nicht anzuführen, wir kennen
Arzten verkehrt. Ob sie nun Praxis treiben oder in den Kli¬
kine Träume geben müsse, so viel
alle den Widerwillen dagegen, tierhafte Geschöpfe zu sein. Ich
niken operieren, sie lieben es, mit einem gewissen Selbstbewußt¬
der äußersten Feigheit alles über
denke aber, es gehört eine viel stärkere Natur dazu, diese Hem¬
sein, das man ihnen nachsehen wird, von den Wohltaten, die
m Eingriff in seine Welt zu ent¬
mungen zu überwinden, als sie zum Ausgang einer Philo¬
die Medizin den Menschen erweist, und von dem Wert der Auf¬
Sie.
sophie der Illusionslosigkeit zu machen.
klärung zu sprechen. Das ist die Antwort, die sie auf jedes
und haben da ein ebenso inter¬
Was triumphiert, ist der Reichtum des Lebens, und zum
Interview, wie ihnen hr Beruf gefällt, zu geben pflegen.
na angeschlagen. Ich will mich
Leben gehört, daß man gerade ungerade sein lassen kann. Man
Wenn man aber den richtigen Augenblick zu erfassen ver¬
kücken und tun, als hätte ich es
muß weitherzig und fröhlich werden. Man muß den Mut in
steht, wird man dieselben Männer in einer Stimmung finden,
sich entwickeln, „feig“ zu sein, dann wird man vielgestaltig,
die dem Gefühl völligen Überdrusses und völliger Selbst¬
hbald danach Schnitzlers schönen
unbekümmert und lebendig. Wenn ich jener Frau sage, was ich
vernichtung gleichkommt, der Mensch, dieses Wesen, das sich be¬
ihrem Sohne 1as. Fräl Beate
in Wahrheit dachte, als sie davon träumte, wie tief ich sie fühlte,
nimmt, als werde es ewie leben, ist nur ein Klumpen Stoff¬
twe, und in dieser ganzen Zeit
mache ich sie elend oder verliere sie.
lichkeit; und die Stofflichkeit, das ist Altern, Erstarrung,
iebte ihren Mann und hat Cha¬
Ich rede damit nicht der Lüge das Wort, denn so lange ich
Krankheit, Zerfall, Verwesung; Körper sein, das heißt von
u und beugt sich unter das Gesetz
Hemmungen habe, bin ich unfertig und noch mitten in der
einem Fieber verbrannt werden, aus dessen Wärme Begierden,
ragen und die großen Ereignisse
Entwicklung — so lange man sich aber entwickelt, gibt es gar
Besessenheiten, Qual und krampfhafte Auslösungen entstehen.
ie sie kommen, die Zeit der Liebe
keine Wahrheit und alle Ehrlichkeiten und Auseinandersetzun¬
Aber suche am nächsten Tag den Arzt zum Bekenntnis
es und der Entsagung.
gen sind nur Konstruktion.
zu bringen: er wird die Achseln zucken und seinem Handwerk
krau, sie sieht, daß mancher Mann
Jeder bleibt im innersten Bezirk seines Ich allein.
weiter nachgehen, wie wir alle unsere Erkenntnis unterdrücken
rnimmt die Stimme des eigenen
gehört zur Erziehung und zum guten Ton der Menschlichkeit,
und zum Trost vom Leben, von der Lebenskraft und den
sie verbietet ihr, laut zu werden.
daß ich nicht jeden damit quäle, was in diesem Bezirk vor sich
Lebenszielen sprechen.
nan sagen, daß da schon eine Un¬
geht. Die Philosophie des „was ich nicht weiß, macht mir
Jeder Pädagoge tut das Gleiche wie diese Arzte. Wozu
finden ist. Wohl aber gestaltet
nicht heiß“ ist tiefer, als mancher denkt, sie ist anständiger
Kinder und immer wieder Kinder erziehen? Er ist ein Ein¬
daß sie gezwungen wird, zu be¬
und reifer. Wir leben in einer Zeit, in der es mehr Schwache
zelner und steht Tausenden gegenüber, die in ihren Häusern
die Menschen, Freunde, Fremde,
gibt als früher. Diese Schwachen werden der „Feigheit“ eine
Kinder in die Welt setzen und zu ihm schicken.
kr dem dunklen Gesetz der Sinn¬
besondere Nuance verleihen. Bei ihnen ist die Schutzwehr im
Der Pfarrer kennt diese Stunden, in jede Existenz wird
um sie heimliche und so tragische
eigentlichsten Sinne. Gegen jede Brutalisierung durch einen
so der Bruch getragen. Aber ist das nun so schlimm? Die
ziehen und gibt sich einem jungen
Stärkeren gibt es eine Rettung: ihm seinen Willen lassen, und
Fähigkeit, doppelbodig „kompliziert zu werden, ist immer eine
ntsteht nun ein Zusammenbruch,
dadurch jede Angriffsfläche nehmen.
Bereicherung und oft eine Befreiung und Gesundung. Sehen
ößer nicht geschildert worden ist.
Ein Letztes kann er nicht vergewaltigen und man kann
Sie, da sind die Leute wie Ibsen. Nicht, daß sie unerbittlich
hrtet der Untergang aller der Vor¬
oft sehen, daß solche Schwachen sich erholen und stärken, wenn
nachweisen, wir lügen alle, darf man ihnen wohl vorwerfen,
ischen erfunden worden sind, aller
sie die männlichen Jahre erreichen. Ihre Lügen, Unzuverlässig¬
das ist vielmehr ihre große und positive Seite. Aber da, wo
Natur des Menschen, und es
keiten, ihr Versagen, das alles geht vorüber, und was andere
die Persönlichkeit sich runden sollte, bleiben sie negativ. Es
ndste und trostloseste Schlußfzene,
darunter gelitten haben — nun, man ist dazu da, um das Risiko
fehlt ihnen etwas, was den Dichter und Künstler erst ausmacht:
wird, bevor sie mit dem armen
des Lebens zu tragen; Erlebnisse sind notwendig und werden
das Gefühl für die große Unbekümmertheit des Lebens.
umklammerten, in den Tod geht.
ewig erst die Anwartschaft auf den Titel Mensch verleihen.
So bald wir nichts als Moralisten sind, müssen wir zu
bohl das Grauen aufrühren kann,
heftigen Predigern werden. Wir sind alle davon angesteckt,
Grund der Seele ruht und nur
ganze Trostlosigkeit des Lebens] aber ich komme langsam dahinter, etwas Gebieterisches in mir #