I, Erzählende Schriften 28, Frau Beate und ihr Sohn. Novelle, Seite 31

Frau Beat
und ihr Sohn
28 an box 4/5
(Quellenangabe ohne Gewähr.)
Schwäbischer Merkur
Ausschnitt aus:
Stuttgunt.
vom: 3 7 790
Archur Schulhlarenerencaaz und Uhr Sohn.
Novelle. (Bernin. S. Fischer.) Es ist lehrreich, das oben
besprochene und das vorliegende Buch unmittelbar nacheinander
zu lesen und zu vergleichen, wie dort ein deutscher, hier ein
östreichischer Dichter sich je mit einem ungewöhnlich heikeln
Motiv abgefunden haben. Jener, dessen Stoff den des andern
werden wirtriche Staatsmanner nur die sein, diers tatismus serngeor
an Schwierigkeit weit übertrifft, hat ihn aus tiefer Innerlich¬
Männer des Volkes zu sein verstehen werden — nur Rücken gekehrt, w#
keit herausgestaltet; dieser verläßt die äußerlichste Handgreif¬
diejenigen, die mit Kraft und Ausdauer im Interesse stimmungsdisziplin
lichkeit der Dinge keinen Augenblick, obgleich es auch ihm an
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Geist und Schilderungskunst nicht gebricht und er, oft in aus¬
erregen. Es ist auch v#
gedehnten Untersuchungen, sich müht, seine Titelträgerin seelisch
Feuilleton.
Wirklichkeit kaum nah
zu erklären, ihr Tun begreiflich zu machen. Auch hier ein
Zu den jüng
Unterschied: der Held der Mann'schen Novelle leidet und hältg
gehört Otto Alsche
Von neueren deutschen Romanen.
stand, die Heldin Schnitzlers handelt und erliegt; zu ihm!
Tier (Berlin, S.
kommt der Tod, wenn auch nicht völlig ohne Schuld, denn er
Von den in den letzten Jahren erschienenen deutschen
Thema: die Macht d
hätte ihm entfliehen können, ungesucht, als ein Erlöser
Romanen ist wohl einer der bedeutendsten Oedhof, Bilder
aus schwerer Anfechtung, sie
reißt ihn an sich und
Zigeunerblut entspros
aus den Kreisen der Familie Arlet, von Franz Nabl (2 Bände,
reißt den Sohn mit hinein, nicht aus Gewissensnöten,
Menschentier in ihm
Berlin, Fleischel und Komp.). Der Name des Verfassers war
sondern als die Schande droht. Frau Betty Heinold,
viel zu erwarten.
noch wenig bekannt, er hatte erst ein Buch geschrieben. Aber
die Witwe eines vor sechs Jahren verstorbenen berühmten
Einen ähnlich
mit diesem Buche hat er sofort bei der zuständigen literarischen
Wiener Schauspielers befindet sich mit ihrem einzigen, nun¬
schwächung der Kultu
Kritik die wärmste Anerkennung gefunden. Offenbar ist er kein
mehr siebzehnjährigen Sohn Hugo zurzeit, wie es scheint, in
in Welschland
Vielschreiber, denn das Buch ist 1911 erschienen und bisher hat
(C munden, wo sie eine Villa besitzt. Für einen Wiener Buben
(Berlin, Verein der B
er kein weiteres folgen lassen. Bei der Betriebsamkeit der Roman¬
ist Hugo gut erzogen und seine Mutter meint es gut mit ihm.
aus Bozen heiratet e
schreiber mutet dieser Umstand angenehm an. Nabl ist ein
Sie lädt ihm auch einen Klassenkameraden, Fritz Weber, dessen
Tirols. Der Gegensch
Eltern in Ischl drüben Sommer'rische halten, ins Haus.
Oesterreicher und sein Roman ist ein österreichischer Roman. Er
kommt zum klaren un
Denn Hugo macht ihr neuerdings Sorge. Es ist eine um
spielt im deutschen Herzen der österreichischen Lande, in Stadt
viele Jahre ältere Baronin, gleichfalls fruhere Schauspielerin,
und Treiben des d
und Provinz, und atmet jene österreichische Luft, in der die
am Ort, von der sie fürchtet, daß sie den Buben in übler
hundertfach verschiede
Gegensätze von Menschen und Dingen hart aufeinanderstoßen.
Absicht an sich ziehen wolle. Und da Frau Betty ihren Mann
Menschen so verschiede
Hier ist nichts von der bekannten Gemütlichkeit zu finden, auch
seinerzeit auf ähnliche Weise erobert hat, faßt sie auch diesmal
gearbeitet. Es ist vis
nichts vom hauptstädtischen Snobismus. Ein sonderbarer, harter
den Stier bei den Hörnern. Sie geht zu der Gefährlichen
Gräsin Salburg. Vi
und eigenwilliger Mann steht im Mittelpunkt, um ihn
und bittet sie, trt ihres mütterlichen Rechts, ernst und be¬
ihrer Figuren bleibt
gruppieren sich Menschen saftstrotzender Art, deren ungewöhnliche
weglich, ihren Jungen unbehelligt zu lassen. Nach einigem
deutschen Frau in W
Innerlichkeit in seltsamen Formen ausbricht. Nabl, der offenbar
Zögern verspricht es die Baronin, doch merkt man sofort, daß
von der Dichterin,
keinem Klüngel angehört, ist in der deutschen Literatur ein
sie nicht gewillt sein wird, das Versprechen zu halten.
doch so feinsympathif
Fritzl Weber aber, der jugendliche Logierbesuch, verliebt
neuer Name, der den literarischen Ruhm Deutschösterreichs ver¬
über die Tendenz de
sich alsbald in Frau Betty, platzt damit heraus, und
mehren wird.
keit siegt.
die sonst nicht tugendlose Wiener Eva verspürt plötzlich das
An Nabl, den Neuen, seien einige Erscheinungen anderer
Der Wiener
Gelüste, sich einmal auch einen grünen Apfel vom Baum zu
Schriststeller in Oesterreich angeschlossen. Zu den noch wenig
langen: nach wenigen Tagen stehen die beiden in eben jenen
van Oestéren,
bekannten gehört Robert Musil, dessen Roman Die Ver¬
Beziehungen, vor denen die sorgsame Mutter den eigenen
deutenden Kulturrom
irrungen des Zöglings Törleß (München, Müller)
Sohn durch ihren Gang zu der Baronin schützen wollte.
feuilleton der Arbeit
einiges Aufsehen erregt hat und viel besprochen worden ist. Als
Und zwar vorläufig ohne gültige Regungen der Scham auf
hat sich in seinem R
Erstlingswerk ist der Roman immerhin beachtenswert. Es sind
Frau Bettys Seite. Nach einigen Wochen muß sie freilich
Welt (Berlin, Flei
offenbar vielsach autobiographische Elemente verwertet worden.
Zeuge sein, wie der Bengel, dem sie ihre Gunst geschenkt,
Gigerlium zum Vor#
In solchen Fällen muß man immer auf die kommenden Bücher
nicht dicht hält, sondern einem dritten Gleichalterigen, der ihm
vor, der den sogenan
warten. Man muß gerade kein besonderes Talent haben, um aus
die Beichte zunächst Stück für Stück abquält, von seinem
Lebensinhalt nur
dem eigenen Leben Dinge erzählen zu können, die anziehen. Esist
Glück erzählt. Nun will sie mit Hugo fort nach Italien. Als
Verfasser ausgezeich
ein Schul= und ein Schülerroman, den der Verfasser vorlegt. Ge¬
sie inne wird, daß der bei der Baronin bereits den ganzen
würdigkeit dieser So
schlechtliche Verwirrungen und Verirrungen spielen eine große
Tatbestand erfahren hat und naturgemäß sehr unglücklich
darüber ist, und daß auch noch andere darum wissen, fühlt
Rolle, was ja allein schon genügte, um die Aufmerksamkeit zu im geringsten zu i
sie den Boden unter ihren Füßen heiß werden. Sie lädt
den Sohn zu einer nächtlichen Kahnfahrt ein, geht auf dem
See über Bord und zieht den allerdings nicht Widerstreben¬

den mit sich in die Tiese. Der Franzose Maupassant würde
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von dem Doppelselbstmord jedenfalls abgesehen und den Stoff
im übrigen zu einer seiner sarkastisch=gepfefferten Schwank¬
novellen verabeitet haben wie „Boule de suif“ oder „L'héri¬
tage“. Und wäre damit der Folgerichtigere gewesen. Der
(Iketz
Wiener Autor wird zum Schluß noch sentimental. Auch die
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Herren Welponer, Beratoner und Aresbacher, in deren Mitte
und teilweiser Gegenwart sich die Geschichte abspielt, wer¬
den von Frau Betty fürderhin nur noch als von „der armen
Frau Heinold“ sprechen; denn wer tot ist, wird in Oestreich
nach 20 und 30 Jahren noch Geijeder Erwähnung mit dem
Beiwort „arm“ bezeichne.