I, Erzählende Schriften 28, Frau Beate und ihr Sohn. Novelle, Seite 64

Sohn
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Beate und ihr
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Ernst Lissauer
bedeckt“, auf der Stirn „ein einziges Auge eingeschnitten, das ... in
eine kleine, runde, goldne Sonne sehen ließ“; er fängt sie, aber in Brd¬
nähe zerrinnt das Wesen wie ein Wöllchen. Der Diebstahl der „Mona
Tisa“ gibe Schmidtbonn diese Erfindung ein. Drei Freunde treten täg¬
lich vor ihr Bild in einer inbrünstigen Andacht; eines Tages schreitet
die gemalte Frau aus ihrem Kahmen, gehr mit ihnen, wohnt mit ihnen,
und die drei leben in einer nicht irdischen Seligkeit. Von diesem Tage
an war in ihnen ein ewiges Glockenläuten, „als ob alle Rirchtürme
von Daris in ihrem Zimmer aufgestellt wären“. Immer fühlen sie die
Sonne blendend, bunte Blumen sehen sie auf ihrer Diele blühen, aber
die nicht menschliche Seligkeit ihres Seins zehrt ihre Jugend auf, sie
sind runzelig und weißhaarig mit dreißig Jahren. Und der Schluß
dieses Bildmärchens enthält gleichsam die innerste Lehre dieser Mär¬
chen und Sagen: als ein Freund sie besucht, fangen „auch in ihm diese
herrlichen, entsetzlichen Glocken zu läuten an“: er flieht; „und bewahre
nun seine Jugend, fern von Paris, über dem Meere, gerettet! Ge¬
rettet? Derloren!“ Eine lodernde Brunst glüht durch diese Geschichten,
eine Brunst, die Wunder wirkt, welche die Grenzen der Yatur zer¬
schmilzt. Aber diese Brunst ist ganz ein anderes als nur physische
Geilheit, und so gewiß sie durchaus von körperlicher Kraft empfunden
ist, so gewiß ist sie, mindestens in den weitaus meisten Stücken, von
einem Seelischen durchglänzt: goldene Fäden gleiten mit im roten
Tanz dieses Buches. Ein „Frauenlob“ ist dieser Dichter; der sterbende
Singer Frauenlob zwingt durch seine Sehnsucht eine schöne Frau zu
sich. Der Baum umklammert das Mädchen; die Wolke hebt das Schiff,
das die schöne Jungfrau trägt, zu sich hinauf; Gras, Käfer, Sand
langen verlangend nach den „drei Jungfrauen von Zemsteede“ Manche
dieser Disionen wirken forciert, die Verbindung von Kraftlosigkeit und
Brunst verletzt das Gefühl, weil die Empfindung aufgepeitschter Ohn¬
macht nicht ganz abgewiesen werden kann. Aber niemals wirkt diese
Dichtung unkeusch oder gar frech, und niemals ist das Rühne gesetzt
um seiner Rühnheit willen „pour épater les bourgeois“, sondern immer
aus einer seelischen Motwendigkeit, die man verspürt. Und es sind
Geschichten in dem Buche von zartester Seelischkeit: die junge Frau
hätschelt den schönen Pfau, der Gatte, in törichter Vifersucht, rupft
ihm die Federn aus, und so schämt sich der Dogel seiner Jämmerlich¬
keit, daß er, um von der Herrin nicht gesehen zu werden, auffliegt, auf¬
fliegt trotz seiner beschnittenen Flügel: seine Scham bezwingt die Matur.
Die Geschichten dieses Buches sind von ungleichem Wert, aber nicht