Beate und ihr Sohn
box 4/5
28. Prau . . e nenck Al A. — K. na
934
Ernst Lissauer
man so stark wie nur selten innerhalb der deutschen Titeratur das Ge¬
fühl hat: alles dies ist in einer höheren Wirklichkeit, in einer unsicht¬
baren Sichtbarkeit greifbar vorhanden.
All dies Lob gilt auch von Schäfers, dem äußern und innern
Umfang nach bedeutendsten Werke: seinem Koman von „Rarl Stauffer¬
Bern"*). Der Unterticel heißt: „eine Chronik der Leidenschaft“; nicht
wie manche Leser zuerst auffassen: die Chronik einer Leidenschaft.
Denn Schäfer erzählt nicht jene berühmte Affäre, die vor mehreren
Jahrzehnten in Deutschland und der Schweiz Aufsehen machte: die
Flucht Stauffers mit Gattin seines Freundes Welti; sondern diese
Leidenschaft ist nur eine Episode unter Episoden. Freilich ist sie die
entscheidende, aber nicht in dem Sinie, daß diese Frau das Schicksal
dieses Mannes werden mußte; wäre er nicht hier, so wäre er an einem
andern Brlebnis zerschmettert. Man siehr dies Leben daherrasen wie
einen Kraftwagen ohne Lenkstange, und es ist gleichgültig, ob es beim
fünfzehnten oder sechzehnten Rilometerstein zerschellt. Schäfers Stauffer¬
buch ist, vielleicht, biographisch für den Fall Stauffer nicht durchweg
historisch richtig, aber es ist wahr, es ist typisch und symbolisch für
den allgemeinen Fall: Schäfers Stauffer ist der problematische Künstler.
Das ist, mit einer kleinen Abweichung, nach Goethes Erklärung der
problematischen Naturen: ein Künstler, dem keine Leistung genügt,
und der keiner Aufgabe sich gewachsen fühlt. Ein Feuer brennt in
Stauffer und treibt, spornt, peitscht, martert ihn, immer von neuem
springt er an ein Ziel wie gegen eine Mauer, er sitzt in der Kunst wie
ein Gefangener in einem Kerker, rennt an, liegt, läuft wieder an, liegt
wieder. Bs ist lächerlich, es ist schmachvoll, daß eine gewisse Kritik
diesen Koman als eine kunsthistorische Biographie rubriziert hat: mit
Braktheit ist der Kampf um die Techniken, um die Malerei, die Bild¬
hauerei und vor allem die Kadierung gegeben, aber über der xaktheit
wächst das Große, Seelische heraus: der Kampf eines Rünstlers um
die Kunst. Schäfer hat die Brahmsche Biographie Stauffers und seine
Briefe benützt, aber so interessant und bedeutend dieses Buch ist, es
kann mit Schäfers Werk gar nicht verglichen werden, es verhält sich
zu ihm eben wie Material zum Kunstwerk. Erst bei Schäfer erhält
dieses Leben Deutung.
Als ein tppisches Beispiel, wie sich die historischen Züge bei Schäfer
sinnvoll auswachsen, sei dieses erwähnt. Brahm erzählt, daß Stauffer
„nach gewitterschwerem Morgen“ zur Welt kam. Auch Schäfer hebt
Georg müller, Miluchen (Il 5.50).
box 4/5
28. Prau . . e nenck Al A. — K. na
934
Ernst Lissauer
man so stark wie nur selten innerhalb der deutschen Titeratur das Ge¬
fühl hat: alles dies ist in einer höheren Wirklichkeit, in einer unsicht¬
baren Sichtbarkeit greifbar vorhanden.
All dies Lob gilt auch von Schäfers, dem äußern und innern
Umfang nach bedeutendsten Werke: seinem Koman von „Rarl Stauffer¬
Bern"*). Der Unterticel heißt: „eine Chronik der Leidenschaft“; nicht
wie manche Leser zuerst auffassen: die Chronik einer Leidenschaft.
Denn Schäfer erzählt nicht jene berühmte Affäre, die vor mehreren
Jahrzehnten in Deutschland und der Schweiz Aufsehen machte: die
Flucht Stauffers mit Gattin seines Freundes Welti; sondern diese
Leidenschaft ist nur eine Episode unter Episoden. Freilich ist sie die
entscheidende, aber nicht in dem Sinie, daß diese Frau das Schicksal
dieses Mannes werden mußte; wäre er nicht hier, so wäre er an einem
andern Brlebnis zerschmettert. Man siehr dies Leben daherrasen wie
einen Kraftwagen ohne Lenkstange, und es ist gleichgültig, ob es beim
fünfzehnten oder sechzehnten Rilometerstein zerschellt. Schäfers Stauffer¬
buch ist, vielleicht, biographisch für den Fall Stauffer nicht durchweg
historisch richtig, aber es ist wahr, es ist typisch und symbolisch für
den allgemeinen Fall: Schäfers Stauffer ist der problematische Künstler.
Das ist, mit einer kleinen Abweichung, nach Goethes Erklärung der
problematischen Naturen: ein Künstler, dem keine Leistung genügt,
und der keiner Aufgabe sich gewachsen fühlt. Ein Feuer brennt in
Stauffer und treibt, spornt, peitscht, martert ihn, immer von neuem
springt er an ein Ziel wie gegen eine Mauer, er sitzt in der Kunst wie
ein Gefangener in einem Kerker, rennt an, liegt, läuft wieder an, liegt
wieder. Bs ist lächerlich, es ist schmachvoll, daß eine gewisse Kritik
diesen Koman als eine kunsthistorische Biographie rubriziert hat: mit
Braktheit ist der Kampf um die Techniken, um die Malerei, die Bild¬
hauerei und vor allem die Kadierung gegeben, aber über der xaktheit
wächst das Große, Seelische heraus: der Kampf eines Rünstlers um
die Kunst. Schäfer hat die Brahmsche Biographie Stauffers und seine
Briefe benützt, aber so interessant und bedeutend dieses Buch ist, es
kann mit Schäfers Werk gar nicht verglichen werden, es verhält sich
zu ihm eben wie Material zum Kunstwerk. Erst bei Schäfer erhält
dieses Leben Deutung.
Als ein tppisches Beispiel, wie sich die historischen Züge bei Schäfer
sinnvoll auswachsen, sei dieses erwähnt. Brahm erzählt, daß Stauffer
„nach gewitterschwerem Morgen“ zur Welt kam. Auch Schäfer hebt
Georg müller, Miluchen (Il 5.50).