I, Erzählende Schriften 28, Frau Beate und ihr Sohn. Novelle, Seite 72

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menschliche Bedeut= Hier stutzen wir. Verträgt sich wirklich Mütter¬
es doch wohl beabe lichkeit, Frauenzartheit und selbstlose Hingabe,
#ir dies Allgemein¬
überfeinerte Wiener
wie Schnitzler sie an dieser Vierzigjährigen schil¬
die Geschichte spielt
dert, in ein und demselben Herzen mit solcher
Heinold, die Wilwe
sinnlichen, oloß sinnlichen Auflösung, wie sie nun
tiers, giaubte schon
über diese Frau kommt? Ist es denkbar, daß
nicht schon früher, weit früher der Ekel vor die¬
fück und Lebensziel sem wochenlang Nacht für Nacht wabrenden
Zusammenhalt iu Verhaltnis sie würgl, bevor sie noch in einer
der eben anfängt,
peinlichen Lauscherszene aus dem Munde des
lite in das gefähr.
Begünstigten selbst erfährt, daß sie ihm nicht
befahren umlauerte mehr als ein Instrument der Lust und der jungen¬
nst so kindlich Ver¬
haften Renommage? Wir glauben der seinen,
hal fremd und ver# behulsamen Kunst eines Schnitzler vieles, aber
, sie weiß es in dieses glauben wir ihm nicht, um so weniger, als
irzen — die erste er es gerade an diesem Punkte, wo die äußerste
Aberzeugungskraft dichterischer Seelenkunst hätte
menkünste mit neuer Glut, neuer Sehnsucht und
aufgeboten werden müssen, an Sorgfalt und Ge¬
neuen Schmerzen genährt wurde, immer nur in
wissenhaftigkeit hat fehlen lassen.
so edelschönen Briefen ausströmen ließen? Denn
Freilich — wie Frau Beate außergewöhnlich
wenn auch die des Offiziers nicht auf uns ge¬
gefehlt und gesündigt hat, so weiß sie auch
kommen sind, wir lesen doch auch sie mit aus
außergewöhnlich zu leiden und zu fühnen. Wäh¬
den Antworten der Freundin. Der Inhalt sei¬
rend sie ihrer eignen Leidenschaft ausgeliefert
nes Lebens waren nicht die mancherlei Feld¬
war, hat sie ihren Sohn außer acht gelassen,
zuge, die Heinrich von der Lieth mitgemacht hat,
so daß er sich völlig in die schmutzigen Bande
sondern eben diese Liebe, die nie ihre Erfüllung
seiner Leidenschaft verstrickt hat und zugleich auf
gesunden hat. Er war von dem Augenblick an,
schamlose Weise, von den unsaubersten Lippen,
da ihm die an einen oberflächlichen, ungeliebten
in die Verirrung der Mutter eingeweiht worden
Mann verheiratete Freundin, nicht smutige
ist. Erst als dieses geschehen, als beiden vom
genug, ihren kranken Knaben der Möglichkeit
Ekel jedes reine Lebensgefühl verdorben ist,
ihrer Verbindung zu opfern, durch den Tod ent¬
finden Mutter und Sohn — in demselben see¬
rissen wurde, ein ernster, verschlossener Mann,
lischen Sumpfe, sozusagen — sich wieder. Beide
dem jeder anmerkte, daß er über dem Grabe
vermögen nun das Leben nicht länger zu er¬
einer Hoffnung, über einen unverschmerzlichen
tragen. Grausig geht der Frau und Mutter
Verlust trauerte. Er verlor seine Männlichkeit
diese Erkenntnis auf, nachdem sie noch eine Weile
nicht bei solcher Empfindsamkeit, wie seine Lotte
die Augen davor zu schließen versucht hat. Und
nichts von der Fülle und Wärme des weiblichen
nun, nach einer unheimlichen, tief verirrten
Herzens einbüßte durch die Entsagung, die sie
Stunde auf dem nächtlichen See, wo Mutter
übte und auch den andern üben lehrte.
und Sohn zu ihrem gegenseitigen verdoppel¬
Bar es moralische Selbstzucht, war es an¬
sohaga
ten Schmerze noch einmal zueinanderkommen,
nimmt Frau Beate Heinold den Sohn mit sich
in den Tod. Den Sohn? Ist er ihr in diesem
Augenblick nicht noch andres, noch mehr?
„Ruderlos glitt der Kahn fort, nach fernsten
Afern, und Beate war es, als küßte sie in dieser
Stunde einen, den sie nie gekannt hatte und der
ihr Gatte gewesen war, zum erstenmal.: Das
alte Paracelsus=Thema Schnitzlers klingt hier
wieder herauf: Es fließen ineinander Traum
und Wachen, Wahrheit und Lüge; Sicherheit
ist nirgend. Wir wissen nichts von andern, nichts
von uns ... Aber kann es frommen, kann es
fördern, solche abgründigen, düster=dämonischen
Geheimnisse, Schrecknisse und Furchtbarkeiten des
Menschenherzens so von obenher mil seinstem,
aber doch spielerischem Finger zu glossieren, an¬
statt sie mit allem Ernst, aller Wucht, aller nur
erdenklichen tragischen Verantwortlichkeit im
Kern und an der Wurzel zu packen?
Will man rollkommen ermessen, was dieses
Schnitzlersche Novellenbuch als Zeitdokument
der Gegenwart bedeutet, so braucht man nur
unmittelbar danach die Briefe zu lesen, die
Margarete Bölng nach Originalen aus
der Werther=Zeit herausgegeben hat, Briefe, in
denen sich der Liebesroman zwischen Lotte
von Brobergen, einer holsteinischen Edel¬
dame, und Heinrich von der Lietd. einem
hannoverschen Offizier, spiegelt. Ist es möglich,
daß erst 125 Jahre vergangen sind, seit dieser
sehnsuchtsvolle Bund zweier Herzen so in Keusch¬
heit, Reinheit und Entsagung sich gegen alle
Versuchungen des Blutes behauptete? Ist es
möglich, daß zwei phantasievolle, empfindungs¬
starke Menschen, wie diese beiden, Jahre hin¬
durch ihre Liebe, die durch gelegentliche Zusam¬
u.-hnitt guäger Tsgblatt, Prag

Ein neues Buch von Schnitzler.
„Frau Beate und ihr Sohn.“
Novelle von Arthur Schnitzler. S. Fischers Verlag
Berlin. Aus der weiten klangreichen und schrillen
Tonleiter der Gefühlsbeziehungen zeigt uns Schnitz¬
ler eine neue traurig=schmerzliche. Die Leidenschaft
eines Siebzehnjährigen zu einer Halbweltdame.
Die Beziehungen einer anständigen Frau, die erfüllt
ist von den Erinnerungen an eine glanzvoll=glück¬
liche Ehe, zu einem halbwüchsigen Jungen. Ohns
Liebe, ohne Verlangen fast. Nur weil draußen die
Sommernächte so heiß und dunstig über dem See
lagern und dunkel=rätselhafte Wünsche durch ihr
Blut rauschen und ihr dieser Junge zufällig in die
Arme läuft. In einer jener Stunden, wo die Sehn¬
sucht einen lockt, oder hinter einem steht und einem
merkwürdig wirre Dinge ins lauschende Ohr flüstert.
Mutter und Sohn. Sie beide betört der Ruf des

Lebens. Und beiden klingt er so anders. Den Knabe
führt er mit einem raschen Griff weithin
Land der Sünde. Beate will noch einmal a
Becher der Jugend trinken. Des Sohnes A
und Sehnen, sein Leid und Weh und Glü
kaum, wie eine dunkle Silhouette steht er h
hellen, klaren, reinen Bild der Mutter, die ihn
n will vor dieser Erfahrung, die sie mit ihrem
erinstinkte ahnt, gerade vor einer solchen und
gleitet ihr in eine weite namenlose Ferne. Schön ist
in diesem Buch das Wesen der Erinnerung, das
wie ein Spuk durch aller Leben geht. Auftaucht,
erlischt. Festhält und verführt. Worte werden
deren Sinn längst, längst verweht. Gerüchte
auf, unklar und dunkel, die Gesichte färb
lange, lange gelebt, ein Teil des Wesens sin
doch schillern, wechseln, sterben ...
Die Hemmungen in der Psyche der Frau, Peren
Ursprung in tausend Dingen liegen mag, im Inein¬
anderverwachsensein von Natur und Kultur, haber
der Liebe bis heute jenen tiefen Zauber erhalien
der sie hundertfach zum Schicksal werden läßt, sobell
und
die Hemmungen fallen, wird die Lisbe zum
Abenteuer. Frau Beate, die feinsühlige,
c
Frau wollte Glück schenten keusches,
eund
auch wenn es eines raschen Todes sierben in
erwacht zu einer furchtbaren Erkenni#ts als sie höri,
daß auch ihm Liebe nur ein Abenteuer newesen.
Mutter und Sohn, beide warmfühlend und echt,
gehen in den Tod. Leise, unauffällig segeln sie in
dunkler Abendstunde über den weiten düstern See.
Schwarz steht die mächtige Silhonette der Berge
im Hintergrung. Vom Seehotel Lichter und Lachen
und das Gläserklingen der Freunde und der kleine
Kahn gleitet tiefer in das dunkle Wasser und tiefer
lund Mutter und Sohn tauchen in die schweigende
Flut. Der Kahn treibt herrenlos weiter auf dem¬
Marie Holzer,
schwarzen See