I, Erzählende Schriften 28, Frau Beate und ihr Sohn. Novelle, Seite 79

Sohn
Frau Beate un
r
2 bos 4/5
Dacher
538
storbenen zum ersten Male, wenn sie Hugo betrachtet. Wir werden das
Betonen dieser Ahnlichkeit als den Ausdruck der ldentität der Gefühle,
welche Beate beiden Personen widmet, erkennen. Der Inzestwunsch Beatens
findet seine Realisierung, nachdem Hugo im Pubertätsalter Aufklärungen
über die sexuelle Betätigung seiner Mutter erhält. Wir sehen eine solche
Szene kindlicher Sexualaufklärung vor uns, wenn Rudi und Hugo vor den
Fenstern Beatens über ihr Sexuaileben sprechen.
Es bestätigt die von Freud angegebene Art der Psychogenese des
Vergleiches zwischen Mutter und Dirne, wenn die lauschende Beate wünscht,
Mutter zu sein, swert jenes Sohnes und nicht ein Frauenzimmer, über das
verdorbene Buben unflätig schwatzen durften, wie über die erste beste
Dirne““. Wir wissen, welche seelischen Folgen die kindliche Sexualauf¬
klärung des Vorpubertätsalters in der Entwicklung einer typischen Objekt¬
wahl des Mannes hat. Der unbewußt gezogene Dirnenvergleich erwächst
auf affektiver Basis: die Aufklärung hat in dem Knaben Erinnerungsspuren
an seine frühinfantilen Eindrücke belebt und die inzestuose Neigung zur
Mutter wieder aufleben lassen.
Wollten wir den Abzweigungen und Ausläufern des Inzestmotivs
in der Novelle nachgehen, so würden wir bald die Überzeugung gewinnen,
daß die Baronin und Beate, Fritz und Hugo ein und dieselbe Person sind,
durch den Spaltungsmechanismus vervielfacht. Dafür spricht nicht nur, daß
Beate auf dasselbe Niveau wie Fortunata gelangt, sondern auch die Be¬
ziehung beider alternden Frauen zu zwei jungen Burschen'. Beate ist für
Fritz ebenso Ersatzpersen der Mutter, wie Fortunata ein Muttersurrogat
für seinen Freund ist. Es fehlt nicht an Stellen, welche diese Beziehungen
klarer hervortreten lassen. Die Baronin spricht es aus, daß sie sich für ihren
Sohn kein besseres Liebesdebüt wünschen könnte, als eine Liebschaft mit
Beoce, es wäre klüger gewesen, meint sie, wenn Beate ihr den Sohn sozu¬
sagen ans Herz gelegt hätte. Eine Doublette desselben Motives ist
es, wenn Beate einen Augenblick daran denkt, der Baronin Fritz als Er¬
satzperson für den eigenen geliebten Sohn anzubieten, Fritz, den sie dann
selbst zum Geliebten nimmt und der den Sohnestyp repräsentiert.
Es erscheint wichtiger, die Inzesttendenzen in ihren verborgeneren
Formen aufzusuchen als dort, wo sie so offen zutage liegen, wie am Ende
der Novelle. Eine dieser Formen ist die Objektverschiebung von der
Mutter auf die Tante. Beate lehnt es ab, rFritze statt *Herr Webere zu
sagen, da sie nicht die Tante des jungen Mannes ist. Fritz entgegnet galant,
daß er sich so eine Tante gefallen ließe. So wie hier Beate die offerierte
Tantenstellung mit der Geliebten vertauscht, drängensich wider Willen Frau Berta
Garlan in einer früheren Novelle des Dichters Vergleiche zwischen ihrem
Geliebten und ihrem kleinen Neffen Richard auf. Bei den Küssen Emils
muß sie an andere Liebkosungen denken: -Woran nur? ... An die Küsse
ihres jungen Mannes?.. Nein.. Und plötzlich hel es ihr ein: geradeso
hatte ihr kleiner Neffe sie neulich geküßte. Noch unverhüllter tritt uns das
Verhältnis von Tante und Neffe als Inzestersatz in Schnitzlers Jugend¬
drama, Das Vermächtniss entgegen. Emma war, wie Losatti ausspricht,
die Geliebte Hugos gewesen.
1 Freud, Beiträge zur Psychologie des Liebeslebens! — Jahrbuch für psycho¬
analytische Forschungen. Bd. III, S. 389f.
2 Man wird diese Vermutung auch dadurch stützen können, dah man auf
die nicht sehr gebräuchlichen Namen der beiden Frauen (Beate und Fortunata)
hinweist, die gleichsinnig sind.