Das Tagebuch der Rede
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caelcg
nalist nicht sterben kann, bis er dem als großer Schrift¬
Arthur Schnitzler.
steller arrivierten Jugendfreund die bittere Wahrheit
ins Gesicht geschleudert hat und im entscheidenden Mo¬
IV. Literarischer Vortragsabend des Quodlibet.
ment dann doch selbst der Enttäuschte und Bestegte sein
13. Januar.
muß; wie sich, gleichsam als Begleitfigur ins Jenseits
Kl. Der gestrige Vortragsabend hat uns die reprä¬
hinüber, der Schauspieler Florian dazwischenschmiegt,
sentative literarische Gestalt aus dem Wien der Vor¬
der, selbst dem Tod verfallen, den Lebensroutinier mar¬
kiert, während die menschlich gütige Gestalt des Sekun¬
kriegszeit an den Vortragstisch gebracht: Arthur
Schnitzler. Theaterabende steigen vor uns auf, wie
darius leise durch das Widerspiel schreitet, das ist glän¬
der rüstige Dreiundsechzigjährige vor uns hintritt, Abende
zend ausgestaltete Dichtung. Die rohe Tragik des Ster¬
voll seiner Stimmung bei seinen kleinen Stücken, in
bens wird mit einem seinen Schleier leis überdeckt, wir
denen er ja sein Bestes, sein Typischstes gegeben hat,
müssen wissen, daß wir in die letzten Gründe des Schick¬
bei jenen Stücken vom „Anatol“ über die „Liebelei“
sals nicht Andringen können, weil jedes wieder anders
zum grotesken „Grünen Kakadu“, zu den „Lebendigen
gestaltet ist und der Zufall uns oft vom Wege abführt.
Stunben“ und andern. Abende, an denen meist eine leise
Damit die ironische, humorvolle Note im Abend
Wehmut sich mit einem heitern Lächeln mischte, an
nicht fehle, bot der Dichter zum Schluß die Komödie
denen die Zwiespältigkeit des Lebens mit Anmut vor
„Große Szene“ Zwar erscheint sie vielbeicht bra¬
uns sich austat, wie sonst bei keinem andern Dichter.
matisch am wenigsten gelungen, der Konflikt ist etwas
Die Tragikomödie ist Schnitzlers Hauptgebiet, in ihr
stark in die Länge gezogen, die Straffheit fehlt ihr. Da¬
kann er seine eigenartige Gabe, das was wir wohl als
für ist sie wieder typischer Schnitzler.
das typisch Wienerische an seiner Kunst betrachten dür¬
Diese Aussprache des Hofschauspielers, der, schon
sen, entfalten, und das, ins Epische variiert, uns auch
über die Vierzig, von seinen Herzen brechenden Spielen!
aus seinen kleinen Novellen entgegentritt. Denn der
nicht lassen kann, mit seiner Frau, die ihm davongegan¬
gen, nachdem es wieder mal zu einem ganz krassen Fall
große Wurf ist ihm versagt, im Drama wie im Epischen.
Auch ist es ja nicht eine frischgesunde Welt, in die er
gekommen, ist von einer Lebendigkeit, aber auch da. wol
SL
der beleidigte Bräutigam auftritt, von einer eindring¬
uns führt; auf dem Boden der Großstadtkultur wachsen
lichen Tiefe, die aufs stärkste fesselt. Wie sich der alte
keine Gestalten, in ihrem Banne müssen sie leben. im
Schwerenöter durch alle Schwierigkeiten durchlügt,
Umkreis ihrer Gewalten lieben, leiden und untergehen.
um wieder zu seiner Frau, die ein Stück seiner selbst,
Leid und Liebe in enger Verknüpfung sind die Angel¬
eine Notwendigkeit für ihn ist und die er darum nicht
punkte seiner Stücke und seiner Novellen, Leid und
—
lassen kann, das ist mit großer Geistreichheit aufgebaut.
Liebe gemischt zu jenem eigenartigen Spiel des Schick¬
Und darein verflochten die prächtig komischen Auftritte der
sals, das nie grob zugreift, sondern tändelnd die Lose
7120
verteift.
Kunstjüngerin und des allen Schwierigkeiten gewach¬
Von diesem Schicksal kündeten auch die drei Stücke,
senen Direktors und darüber ausgegossen die ganze
wienerische Anmut.
die uns gestern der Dichter in seiner außerordentlich
lebendigen und glänzend charakterisierenden Vortrags¬
Es waren also lauter alte Sachen, die uns Schnitz¬
—
art darbot: Zwei Szenenstücke und eine Novelle. Die
ler gebracht, alt im Sinne des Erscheinens und im
r Rede¬
letztere voraus: „Das Tagebuch d
Sinne der Literaturgattung. Denn nicht von vorwärts¬
gonda“. Wie die aus dem Gesellschaftsklatsch auf¬
weisenden Kräften kündet uns der Dichter, sondern er
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getauchte Ehebruchs= und Duellgeschichte sich im Erzäh¬
tritt zu uns eher aus einer absterbenden Welt heraus.
ler zum ganz neuartigen Erlebnis formt, wie jeder der
Aber seine überaus seine Art weiß uns so manche
Beteiligten die Motive der Handlung anders und eigen
bittere Wahrheit des Lebens in liebenswürdigster Art
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erlebt, wie der Schluß ins Visionäre verwebt und in
hinzulegen, die Durchblicke aus seinen Dialogen sind
seine Ironie ausklingt, das ist meisterhaft gezeichnet.
oft von so überraschender Art, daß wir dem Meister die¬
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In den „letzten Masken“ greift Schnitzler zu=ser Kunst unsere Huldigung darbringen. Und der Saal
tiefst ins menschliche Leben und Schicksal. In ergrei¬
gestern, in dem kein Stehplätzlein mehr übrig geblieben
sender Weise läßt er, der Arzt, da uns den Blick tun
war, ertönte denn auch laut von dieser Huldigung. Und
ins große Krankenhaus, wo die Lebensschicksale enden. im Hünausschreiten siel uns ein Vers aus Schnitzlers!
Wie der in der Riederung gebliebene todkranke Jour= Drama „Parazelsus“ ein, dessen Ort der Dichter ja un¬
sere Stadt sein läßt, und der uns die ganze zwiespältige
Welt seiner Dichtung und damit auch dieses Abends
nochmals zusammenhält:
„Es fließen inelnander Traum und Wachen,
Wahrheit und Lüge, Sicherheit ist nirgends.
Wir wissen nichts von andern, nichts von uns
Wir spielen immer, wer es weiß, ist klug!“
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nalist nicht sterben kann, bis er dem als großer Schrift¬
Arthur Schnitzler.
steller arrivierten Jugendfreund die bittere Wahrheit
ins Gesicht geschleudert hat und im entscheidenden Mo¬
IV. Literarischer Vortragsabend des Quodlibet.
ment dann doch selbst der Enttäuschte und Bestegte sein
13. Januar.
muß; wie sich, gleichsam als Begleitfigur ins Jenseits
Kl. Der gestrige Vortragsabend hat uns die reprä¬
hinüber, der Schauspieler Florian dazwischenschmiegt,
sentative literarische Gestalt aus dem Wien der Vor¬
der, selbst dem Tod verfallen, den Lebensroutinier mar¬
kiert, während die menschlich gütige Gestalt des Sekun¬
kriegszeit an den Vortragstisch gebracht: Arthur
Schnitzler. Theaterabende steigen vor uns auf, wie
darius leise durch das Widerspiel schreitet, das ist glän¬
der rüstige Dreiundsechzigjährige vor uns hintritt, Abende
zend ausgestaltete Dichtung. Die rohe Tragik des Ster¬
voll seiner Stimmung bei seinen kleinen Stücken, in
bens wird mit einem seinen Schleier leis überdeckt, wir
denen er ja sein Bestes, sein Typischstes gegeben hat,
müssen wissen, daß wir in die letzten Gründe des Schick¬
bei jenen Stücken vom „Anatol“ über die „Liebelei“
sals nicht Andringen können, weil jedes wieder anders
zum grotesken „Grünen Kakadu“, zu den „Lebendigen
gestaltet ist und der Zufall uns oft vom Wege abführt.
Stunben“ und andern. Abende, an denen meist eine leise
Damit die ironische, humorvolle Note im Abend
Wehmut sich mit einem heitern Lächeln mischte, an
nicht fehle, bot der Dichter zum Schluß die Komödie
denen die Zwiespältigkeit des Lebens mit Anmut vor
„Große Szene“ Zwar erscheint sie vielbeicht bra¬
uns sich austat, wie sonst bei keinem andern Dichter.
matisch am wenigsten gelungen, der Konflikt ist etwas
Die Tragikomödie ist Schnitzlers Hauptgebiet, in ihr
stark in die Länge gezogen, die Straffheit fehlt ihr. Da¬
kann er seine eigenartige Gabe, das was wir wohl als
für ist sie wieder typischer Schnitzler.
das typisch Wienerische an seiner Kunst betrachten dür¬
Diese Aussprache des Hofschauspielers, der, schon
sen, entfalten, und das, ins Epische variiert, uns auch
über die Vierzig, von seinen Herzen brechenden Spielen!
aus seinen kleinen Novellen entgegentritt. Denn der
nicht lassen kann, mit seiner Frau, die ihm davongegan¬
gen, nachdem es wieder mal zu einem ganz krassen Fall
große Wurf ist ihm versagt, im Drama wie im Epischen.
Auch ist es ja nicht eine frischgesunde Welt, in die er
gekommen, ist von einer Lebendigkeit, aber auch da. wol
SL
der beleidigte Bräutigam auftritt, von einer eindring¬
uns führt; auf dem Boden der Großstadtkultur wachsen
lichen Tiefe, die aufs stärkste fesselt. Wie sich der alte
keine Gestalten, in ihrem Banne müssen sie leben. im
Schwerenöter durch alle Schwierigkeiten durchlügt,
Umkreis ihrer Gewalten lieben, leiden und untergehen.
um wieder zu seiner Frau, die ein Stück seiner selbst,
Leid und Liebe in enger Verknüpfung sind die Angel¬
eine Notwendigkeit für ihn ist und die er darum nicht
punkte seiner Stücke und seiner Novellen, Leid und
—
lassen kann, das ist mit großer Geistreichheit aufgebaut.
Liebe gemischt zu jenem eigenartigen Spiel des Schick¬
Und darein verflochten die prächtig komischen Auftritte der
sals, das nie grob zugreift, sondern tändelnd die Lose
7120
verteift.
Kunstjüngerin und des allen Schwierigkeiten gewach¬
Von diesem Schicksal kündeten auch die drei Stücke,
senen Direktors und darüber ausgegossen die ganze
wienerische Anmut.
die uns gestern der Dichter in seiner außerordentlich
lebendigen und glänzend charakterisierenden Vortrags¬
Es waren also lauter alte Sachen, die uns Schnitz¬
—
art darbot: Zwei Szenenstücke und eine Novelle. Die
ler gebracht, alt im Sinne des Erscheinens und im
r Rede¬
letztere voraus: „Das Tagebuch d
Sinne der Literaturgattung. Denn nicht von vorwärts¬
gonda“. Wie die aus dem Gesellschaftsklatsch auf¬
weisenden Kräften kündet uns der Dichter, sondern er
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getauchte Ehebruchs= und Duellgeschichte sich im Erzäh¬
tritt zu uns eher aus einer absterbenden Welt heraus.
ler zum ganz neuartigen Erlebnis formt, wie jeder der
Aber seine überaus seine Art weiß uns so manche
Beteiligten die Motive der Handlung anders und eigen
bittere Wahrheit des Lebens in liebenswürdigster Art
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erlebt, wie der Schluß ins Visionäre verwebt und in
hinzulegen, die Durchblicke aus seinen Dialogen sind
seine Ironie ausklingt, das ist meisterhaft gezeichnet.
oft von so überraschender Art, daß wir dem Meister die¬
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In den „letzten Masken“ greift Schnitzler zu=ser Kunst unsere Huldigung darbringen. Und der Saal
tiefst ins menschliche Leben und Schicksal. In ergrei¬
gestern, in dem kein Stehplätzlein mehr übrig geblieben
sender Weise läßt er, der Arzt, da uns den Blick tun
war, ertönte denn auch laut von dieser Huldigung. Und
ins große Krankenhaus, wo die Lebensschicksale enden. im Hünausschreiten siel uns ein Vers aus Schnitzlers!
Wie der in der Riederung gebliebene todkranke Jour= Drama „Parazelsus“ ein, dessen Ort der Dichter ja un¬
sere Stadt sein läßt, und der uns die ganze zwiespältige
Welt seiner Dichtung und damit auch dieses Abends
nochmals zusammenhält:
„Es fließen inelnander Traum und Wachen,
Wahrheit und Lüge, Sicherheit ist nirgends.
Wir wissen nichts von andern, nichts von uns
Wir spielen immer, wer es weiß, ist klug!“