I, Erzählende Schriften 26, Der Mörder. Novelle, Seite 15

26. Der Moerder
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Felix Draeseke hat den beiden Geigerinnen eine Mörder.“ Die Geschichte eines Erotomanen, der
Suite für zwei Violinen gewidmet, die an diesem seine Geliebte (wie die Sprache doch lügt!) ermordet,
Abend einen warmen künstlerischen Erfolg davon=s um das Mädchen zu erlangen, das er liebt. Ueber
trug. Das Werl, das die kontrapunktische und satz=der merkwürdigen Stilisierung vergaß man fast, daß
technische Meisterschaft Draesekes bis zur Virtnosität ein psychologisches Problem gestellt war. Nämlich
gesteigert zeigt, ist trotz seinerKompliziertheit äußerst wie der Schwache durch eine Brutalität den Ausweg
klangvoll, und bestrickt vor allen Dingen durch den erzwingt, aus dem Labyrinth der Leidenschaft; sich
wundervollen Eingangssatz, ein Grave von hebbeli= zugleich vortäuscht, diese Brutalität sei Kraft, und
schem Gehalt. Das ausgezeichnete Programm der daß das Märtyrertum einer „Tat“ einen Mord sogar
beiden Künstlerinnen, die durchaus auf Schlager halbwegs zu fühnen vermöge. Die Novelle hat
verzichtet hatten, brachte noch Mozarts Konzertante
nicht nur äußerliche Gewandreize gemein mit den
in D=Dur, das freilich etwas zu männlich rustikal, „Erzählungen“ klassischer und später Dramatiker.
sogen wir amerikanisch, angesaßt wurde.
Zum Schillers Sonnenwirt und Kleists Novellen sielen
Schluß spielten die Damen noch das D=Moll=Konzerts einem ein. Weil auch hier ein absoluter Dramatiker
von Bach, wobei sie von Mitgliedern des Mozart=erzählte, und durch die ungemein plastische Art des
vereins und Frl. Wallerstein begleitet wurden. Die Scenischen. (Das scheinbar nur beiläufig behandelt
Pianistin, die wir schon aus einem wertvollen Kon=wird.) Wie aus einem gar nicht sehr persönlichen
zert kennen, das sie in der vorigen Saison mit ihrem Tagebuche wird eine gar nicht sehr empfindsame
Bruder veranstaltete, spielte als Solistin Beethovens! Reise eines Menschen reproducirt, seine bürgerlichen
Waldstein=Sonate und zwei Schumannstücke in einer Verhältnisse und Zuständlichkeiten, wie ein Stück
fast unweiblichen Art, die aber erfreulich viel ge=„Vermischtes“, und mit Chronistentreue verzeichnet.
sundes und echtes musikalisches Empfinden
is man aus einem gewissenhaften Zuhörer zum
kundete. Der Abend brachte allen Mitwirkenden serregten Teilnehmer der furchtbaren Reise geworden
K. W.
große und verdiente Erfolge.
Das sind die Reize, die Schiller nie loskommen
scheinbare Objek¬
= Arthur Schnitzler ist im Vortragssaale ein ließen von dem „Pitaval“: die
seltener Gast. Man muß das nach seiner gestrigen, tivität, hinter der sich tausend Psychologenkünste ver¬
im Künstlerhause durch die Tittmannsche Buch= bergen. Schnitzler vergißt sich schließlich selbst, er¬
handlung veranstalteten Vorlesung bedauern. hitzt sich für seine Geschöpfe, vergißt, daß ein Mensch
Schnitzlers vornehme soiguirte Arl, mit wenig; kaum in halbem Schlaf eine tötliche Portion bitte¬
Kunst und ganz ohne Künstelei sich mitzuteilen, sren Morphiums als Wasser trinkt, daß der Baron,
macht seinen Vortrag außergewöhnlich sympathisch. der den Schuldigen erkennt und im Zweikampf
Der Dichter des „Grünen Cacadn“ aber war esfrichtet, ein deus ex machina ist, nicht würdig des
nicht, der gestern zu uns sprach. Vielmehr der! Dramatikers Schnitzler. Und der Zuhörer vergißt
Arthur Schnitzler der epischen Periode, die schon vor solche empfindliche Mängel über den Feinheiten
dem „Weg ins Freie“ eingesetzt hat und sich deutlichseiner Novelle, die so viel Kunst birgt in ihren
gewollten Alltagszufälligkeiten
Doch die Mehr¬
sogar in dem Drama des „jungen Medardus“ gel¬
tend macht. Man empfindet den Wunsch und den
zahl der Zuhörer saßte das Problem als
schien es). Das 1
Willen zu einer gewissen Unterordnung unter die
moralisches an
Objekte der dichterischen Phantasie. Fühlt im Sprachs bedauerlich. Weil die bittere Ironie dieser
lichen eine dem Dramatischen fern weilende Sehn= Chronik eines erotischen Verbrechers mit dem
sucht, mit dem Chronistenstil zugleich die unter der Ausgleich von Schuld und Sühne nichts mehr zu tun
Asche leuchtende Farbenglut alter Meister zu ere hat. Als ob der Dichter das Themat ein Mensch
reichen und — bangt zuletzt trotz allen neuen Reizen wählt zwischen zwei Menschenleben, im Scherzo
dieses überreichen, genialen Talentes um die Köst= pariieren wollte, las er dann den bekanntenM
olog
De
lichkeiten des Dramatikers Schnitzler. Von der vom Lentnant Gustl, der in der Concertg
Genialität der schweren, tragischen Einakter, dem von einem Bäckermeister derb zurechtgewies
d.
0.
Urtypischen der „Liebelei“ und der andern wiene=und wähnt, nur der Selbstmord könne die ni
ie¬
rischen Tragödien, der Grazie des „Reigens“ und gleich mit dem Säbel reparierte specifische Ehr
jenes Arthur der Anatols Intimster war, wollen wirderherstellen. Die Meditationen des Leutnants
auch beim üppigsten Abschiedssouper nicht scheiden...und die Nachtstimmung im Prater sind gewiß amü¬
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Mopolog all¬
Schnitzler las gestern eine neue Novelle: „Der lant und teisweise sehr fein, Doch de¬ ###
zulang und die Lösung (durch einen tötlichen Schlag¬
anfall des Bäckermeisters) mehr bequem, denn sati¬
Ada Vonb PO W
risch. Immerhin verspürt man Schnitzlers Grazie
des Dialogs auch in diesem Selbstgespräch. Nur leider!
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zu wenig von dem früheren Arthur Schnitzler.
Aber den finden wir wohl bald wieder in seiner
lebendigen Welt, die so vielen heute nur ein Schau¬
gerüst bedeutet.
F. W.