I, Erzählende Schriften 25, Die Hirtenflöte. Novelle, Seite 7

Hirtenfloete
25.
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schnitt aus:
Srires Wiener Prinhlah
Wien
90KT19½
(Schnitzler=Vorlesung.) Die Dichtkunst zollte
gestern der“ grimmen Zeit edlen Tribut: Artur
Schnitzler stellte seine Muse opferwillig in den
Dienst det Kriegswohltätigkeit und der gesamte Rein¬
ertrag seiner gestrigen Vorlef#ug in großen Saale der
„Uraniaf fließt zu gleschen Deilen der Verwundeten¬
hilfsaktion der Retkungsgesellschaft und dem Witwen¬
und Wäisenhilfsfonds der bewaffneten Macht zu. Vor
ausverkauftem Hause las der Dichter aus eigenen
Werken und die Schnitzlersche Poesie, die Liebe und
Tod innig umschlingt, glich sich feinfühlig den durch
alle Nerven bebenden Stimmungen dieser Tage an.
Schnitzler las die Novelle „Die Hirtenflöte“
in deren trotz Abenteuerglut raum= und zeitfernes
Träumen der Kriegslärm wie durch dichte Nebelgedämpft
hinein klirrt, Dionysias Schickfal, das durch Erasmus'
Verkennen durch Liebe, Blut und Tod hindurchirrt,
um spurlos zu verklingen, gelangte durch Schnitzlers
schlichten, klug moderierten Ton geistvoll stilisiert zu
harmonischer Wirkung. Schließlich die Wirtshausszene
aus dem „Medardus“, deren Kriegsgesang und über¬
hitzte Fröhlichkeit, von Abschiedsstimmung durchweht,
vom kalten Tod ein grausig düsteres Ende gesetzt wird.
Der in schauernde Tragik abgleitende Ton geräusch¬
vollen Lärmens kam auch in den sparsamen An¬
deutungen des vorlesenden Dichters knapp und wuchtig
zur Geltung. Das Auditorium dinkte durch reichen
Beifall; nicht nur für den schönen Drang des Dichters,
zu helfen und zu lindern, auch für die erhebende
Befreiung durch das Dichterwort, das die Kraft hatte,
die dumpfe Nervosität der Zeit poctisch zu verklären.
Ausschnitt ausNeue Freie Presse, Wien
9-0K1.19½
vom:
1
Theater= und Kunstrlächrichten.
Wien, 8. Oktober.
[Artur Schnitzler=Vorlesung.] Im dicht¬
gefüllten Saale der Alrania“ las Artur Schnitzler heute
Kriegsfürsorgezwecken aus eigenen, bereits bekannten
Dichtungen, die durch freilich nur gedämpfte Zusammenhänge
nit den großen Fragen des Tages in der diskreten
Interpretation des Dichters an einem gewissen persönlichen"!
Reiz noch gewonnen haben. Schnitzler hat in seinen Er¬
zählungen irgenowo, wie etwa Lilieneron in den sprühend
lebendigen Kriegsnovellen, den Krieg selbst zum Thema seiner
zart getönten, dichterisch umsponnenen Schilderung genommen.
Aber als Episode, im Hintergrund der heute wieder ver¬
nommenen Schnitzlerschen Novelle „Die Hirtenflöte“, die sonst
wesentlich anderen philosophischen Zielen der Lebens= und
Frauenerkenntnis zustrebt, leuchtet ein Kriegsgemälde von ein¬
dringlicher Kraft, von zwingendem Reichtum der Farben. Wegen
dieser gelegentlichen Kriegsanklänge hatte Schnitzler wohl für
seine Vorlesung gerade diese im übrigen völlig gegenwarts¬
fremde Novelle gewählt, ein Werk edelster Sprachkunst, voll
psychologischer Finessen, doch für die breite Oessentlichleit nicht
eben dankbar. Mit jener geistreichen, ein wenig ironischens
Seelenkenntnis, die seine besondere Domäne bleibt, in maß
voll stilisierter, überaus plastischer Sprache schildert Schnitzle
hier, wie ein allzu verstehender Gatte das Wesen seiner Frau
darin am tiefsten mißversteht, daß er sie allen Lockungen ihrr
Phantasie kampflos preisgibt, statt sie mit männlicher Kraft
in den Kreis ihrer Pflichten zu zwingen. Erasmus hofft,
Dionysia für immer an sich zu binden, wenn er sie ohne
Widerstreben Gefahren und Abenteuern buntester Art überläßt.
Erasmus ist ein Schwächling und hat sein Schicksal, verlassen
zu werden, verdient. Nur der tapfer und männlich Gesinnte
vermag das Schicksal zu zwingen. Diese Wahrheit schimmert
gegen das Ende durch und gewährte der Tichtung noch eine
gewisse, freilich verborgenere Aktualität. Sichtbarer und darum
wirksamer trat dieser Zusammenhang in einigen Szenen des
„Jungen Medardus“ hervor, besonders in den Worten, die
thier von Erzherzog Karl über die einigen Interessen Oester¬
reichs und Deutschlands berichtet werden. Auch die Worte des
Dichters über die „Masse als Helden“ weckten tiefes Mit¬
versteken, das stcht zum Schluß i# lebhaftem Meifall äußerte. I.
box 4/2
Ausschnitt aus: —
9- OKWDBER 191Gies Wioner Journal, Wier
vom:
(Vorlesung Artur Schnitzters.) Der Stimmung
ldieser Tage angepaßt, war das Programm, das Schnitzler seiner
gestrigen, kriegswohltätigen Zwecken gewidmeten Vorlesung in der
Urania zugrunde legte. Dieser feinsinnigste und markanteste
unter den Wiener Poeten erscheint nur selten am Vor¬
lesetisch, und durch die Qualität des Gebotenen be¬
deutete der gestrige Abent der großen Gemeinde seiner
Verehrer ein literarisches Ereignis. Diskret wie seine Kunst
ist auch Schnitzlers Vortragsart. Es ist kein Kolettieren mit demst
Zuhörer, keine Sucht nach wirksamen Pointierungen. Durch
Mänme und Einfachheit ist alles auf das Intime, auf einen
innigen Kontakt mit den Lauschenden gestimmt. Schnitzler las eine
größere, einem seiner letzten Bücher entnommene Novelle, „Die
Hirtenflöte“, die in der ruhigen schmucklosen Epik klassischer
Erzählungen gehalten ist und in deren märchenhafte Begeben¬
seiten tiefe Lebensweisheit gesaßt ist. Eine Lieblingsfigur
es Dichters steht auch hier im Mittelpunkt der Geschehnisse: der
Buppenspieler, der mit Seelen experimentiert. Hier ist es ein
saturforscher, der der schlummernden Sehnsucht seines Weibes
lach einem großen Erleben die Freiheit gibt. Sie geht, gelockt
ion den fern erklingenden Tönen einer Hirtenflöte, und erlebt
ann in vielen Abenteuern das Schauerlichste, was ein Menschen¬
serz nur fassen kann. Mit derselben Liebe wie früher empfängt
die heimkehrende Gattin, aber fremd und entsetzt
iber sein begreifendes Verzeihen wendet sie sich von ihm ab, um
hn für immer zu verlassen. Dieser tieffinnigen Erzählung schloß
Schnitzler den Vortrag seines Vorspieles aus dem „Jungen
Nedardus“ an, das er in fein nuancierter und lebendiger Weise
as. Stärker als die psychologischen Finessen der „Hirtenflöte“
virkten diese Szenen, deren Ereignisse mit einem leisen Anklang
in die jetzigen vaterländischen Geschehnisse erinnerten und eine
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innige Resonanz beim Publikum fanden.
isschnitt ausges Wiener Tagblatt. Wien
i: 30f 11974

* (Artur Schnitzler in der Urania.) Deh
Anblick des gestern bise Platz gefüllten
Froßen Saales in der Urania legte schon an sicht,
Zeugnis für die Beliebtheit Artur Schnitzlers
in der Wiener Gesellschaft ab. Er erscheint selten in
der Oeffentlichkeit und ist auch kein Rhetoriker,
sondern liest schlicht, natürlich und anspruchslos aus
seinen Büchern vor; seine Erzählungen vollends
sind mit irer Vertiefung ins verborgenste Gefühls¬
leben nicht auf äußeren Effekt angelegt, sie gewinnen
bei der stillen Lektüre. Aber das Publikum freuten
sich, den begabtesten und erfolgreichsten der modernen
Wiener Dramatiker auch persönlich kennen zu lernen,
und folgte seiner Vorlesung mit geradezu andächtiger
Aufmerksomkeit. Zuerst las Schnitzler seine Er¬
zählung „Die Hirtenflöte“ die mit reicher, märchen¬
hafter Symbolik wieder einmal sein Lieblingsthema
vom Verhältnis der Geschlechter zueinander poesievoll
behandelt. Nach einer Pause, in welcher die hier
eindringenden Extraausgaben des „Neuen Wiener
Tagblatt“ aus dem Märchenlande in die mächtige
Gegenwart zurückriefen, las Schnitzler das prächtige
Vorspiel zu seinem „Jungen Medardus“ vor, das mit
seiner Soldatenszene aus dem Jahre der Wiener
Franzoseninvasion, von 1809, ganz wohl zur
Stimmung des Augenblickes paßte und auch warm
und läut akklamiert wurde.