I, Erzählende Schriften 24, Die dreifache Warnung, Seite 48

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Dr. Man Goldschmiet
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Autbalruse Sentimentalität, jene sensitive Keckheit, die
immer zwischen zärtlicher Anmut und skeptischer Melan¬
Ueber Arthur Schnitzler
cholie beseelt hin und her pendelt; die Liebelei eines
Von Dr. Rudolf Otainser.
ironischen Dichters und der kindliche Lebensernst eines
Klinikers lauern dahinter.
Er war uns schon ein wenig ferngerückt, dieser
Paul Baurgel sagte einmal. Musset und Byron seien
Arthur Schnitzter, umleuchtet von der blassen Glorie des
bereits mit fünfundzwanzig Jahren Genies gewesen.
ancien régime. Selbst Julius Bab, ein gewiß duld¬
Schnitzler hat jedenfalls mit noch nicht dreißig Trhren
samer Herr, hatte ihm schon den Laufpaß gegeben. Da
seine berühmten „süßen Mädels“ entdeckt. 1890 entstan¬
erschien im Oktoberheft 1924 der „Neuen Rundschau“
den die Anatol=Szenen. Der faszinierende Stimmungs¬
seine Novelle „Fräulein Else“, und wir wußten über
künstler ward geboren, der famose Dialogfechter erstand,
alle modernen Abgründe hinweg, daß hier ein Mann
Schnitzlers dichterisches Wesen ward klar umzirkelt. Er
steht, den das Wart noch zur größten Kunsthöhe empor¬
blieb dieser träumerische Lebensanwalt. Er stellte sich
führt. Die Modernen haben oftmals den Klang, den
in den geduldigen Dienst der Frauenliebe, die aber nie
Rhythmus der Sprache zu einem entfleischen Gerippe
so recht ins Paradies führen sollte, die stets dafür ge¬
gemacht und haben in gar vielen Fällen uns nicht eine
nießerischen Wert auf nervenweiche Abwege legte. Als
neuartige Physiognomie des Geistes demonstriert, son¬
Impressionist liebte er wie der unvergleichlich kultivierte
dern nur ein bißchen mit Grammatizität, mit neutöneri¬
Hermann Bang die geistreichen Zwischengefühle, die be¬
schen Böschungen hantiert, ein abstraktes Volapük in
täubenden verwirrenden Lustspallungen, die heimlichen
allerlei Kniffen und satzbaulichen Grimassen kurzatmig,
Indiskretionen. Er besaß den Glauben, aber zugleich als
launisch, selbstsüchtig gemeistert. Ist der Baugrund der
zweifelnder Kenner die Hoffnungslosigkeit. Alle Spiel¬
Sprache morsch, so soll sie fallen. Auf Klopstock oder
arten der Liebe verknäueln sich bei ihm tragikomisch.
Herder etwa heute zu pochen, hieße unsere Marschroute
Von dem chaud-froid Stendhals über die Education sen¬
verkennen.
timentale Flauberts zu Schnitzler geht diese geheimnis¬
Arthur Schnitzler ist an der Uebergangsschwelle

volle Linie, die mit Hartnäckigkeit auf Lösung dringt, die
postiert. Manche sind inzwischen schon weiter ges##en.
aber für den Empfindsamen beim letzten Tiefblick auf
Arthur Schnitzler einen Konservativen zu nennek, be¬
Widerstand, auf Desillusion stößt. Für diese grausamen
wiese nur, daß man die letzten zehn Jahre als das Fazit
Dinge hat sein fehillerndes Temperament eine unsagbar
aller Intellige## betrachten wolle. Die Kleinlichkeit des
feine Witterung, och mehr, gleich Maupassant (ein deut¬
Tages aber hät zu schweigen. Zumal es sich hier um
scher Vergleich ist mir nicht zur Hand) hat er die bewun¬
einen ehrbaren Fall handelt, dem ein europäisches Profil
dernswerte Kraft novellistischei Formung. Er schreibt
zukommt. Lapidar gesprochen: Arthur Schnitzler mani¬
eine helle Prosa, vom gedanklichen Fluch unbelastet, die
festiert ein erotozentrisches Europäertum.
beglückt, lächel, Karessantes illuminiert und erschüttert.
Der krasse, an sich sehr bürgerliche Fall der Weibchen¬
parade im „Reigen“ (künstlerisch keine Gipfelleistung), Er ist der typische homme à kemme der Literatur. Das
und der Moralist Wedekind liegen auf einem kostspieligen, ist seine Wissenschaft, sein Kult, seine Melodie. Das
abendländischen Kul urhorizont, wenn auch heute darüber Schauspiel der „Einsame Weg“, der Roman „Der Weg
ins Freie“ oder die verwegenere Dichtung „Casanovas
die Sonne im Spätherbst versinkt.
Dieser Oesterreicher wurde am 15. Mai 1862 inHeimfahrt“ umkreisen varierend das Gelände liebender

Wien geboren. Er wurde Arzt und ist es im Grunde ge=Dissonanzen, ein Flackern hebt an, die psychologische
nommen immer geblieben Den diagnostischen Blick hat Analyse triumphiert und der österreichische Formwillen
er auch als Dichter, gerade als Künstler nie verloren. ssiegt. Schnitzlers Oeuvre ist breit ausgewalzt, sein Ideen¬
Alle seine Menschengeschöpfe, die er schuf, diese leiden= gehalt hat nicht den Radius großer Problematiker, er
schaftlich schöne Skala ergreifender, kränkelnder, weh= liebt die Ealanterie der schönen, verklingenden Aben¬
mütger, dämmerig berauschter. dekadenter Figuren haben teuer, die gigantische Vision ist nicht Sache eines liebens¬
stets etwas von der Mitgift eines verstehenden Arz'es würdigen Kavaliers; wer sich an Vergänglichkeitsmot ve#
mitbekommen. Nicht die naturalistischen Effekte entschei= klammer; bedarf der metaphysischen Ambitionen nicht.
den, nicht die Details hanaler Konturen formen jenes übermächtig lockt ihn sogar oftmals der Durchschnitts¬
schmiegsame, leichtsinnig wienerisch epikuräische Relief, mensch — nicht der geistige Pirat — ja vielleicht manche
jene funkelnde esprilvolle Erotik, jene merkwürdige Belangkosigkeit umschmeichelt sein. Dichterherz, aber der

verführerische, peinlich gepflegte Zauber seiner Wortkung
ist erfüllt von echter erlebter Seligkeit. Daß auch er gei¬
stige Entscheidungen mutvoll in hohe Menschlichkeit zu
bannen vermag bewies sein „Professor Bernhardi“, m#
ein dummes Philistertum ihn als Missetäter zu ent
larven suchte. Doch nicht das Peitschen dialektischer, blut
bewegter, Drastik wurzelt in seiner güigen Stimme
Geiststrenge würde eine härtere Sprache erfordern, was
er im Uebermaß uns ist: der Pilot, der Sprecher musika
lischer Tönungen.
In der nächsten Zeit wird Arthur Schnitzler in
Rahmen der Kulturabende der Buchhandlung Neff in
Stuttgart sprechen. Eine scharfumrissene Gestalt öster¬
reichischer Kul ur wird so als der beste Exekutor für ihm
künstlerische Mission wirken.