I, Erzählende Schriften 23, Der Weg ins Freie. Roman (Die Entrüsteten), Seite 22

Der Nei
ins Frei
box 3/1
23. Mef uhasie
gesproche
schiedenen Zeiten entstandene Kunstwerke scheinen winkürlich ver¬
und gera
flochten. Aus den Reiseführern kann man bestimmte Kapitel mit
An so
einem Schnitt zum bequemeren Gebrauch herauslösen, ohne den
Arthur
Band zu zerstören. Aehnlich darf der Leser hier vorgehen. Ein
vor allen
Riß, und er behält zunächst einmal die Liebesgeschichte in der Hand, 1
Wi
die Erzählung, wie Georg von Wergenthin den „Weg' ins Freie“ fand.
Eine einfache Wiener Alltagsgeschichte. Sie berichtet, wie ein
bem
junges Paar — ein adliger Komponist und eine Musiklehrerin aus
solider Kleinbürgerfamilie — sich findet, sich verliert. Georgs Ge¬
liebte, Anna, lebt bei ihren Eltern im Bannkreise des Philisteriums,
das beim Schein der Hängelampe seinen Kreuzersorgen, seinen
Urahne
Guldenträumen nachhängt. Sie selbst aber hat sich von den
Gellin
Schnitzlers Koman.
am allge
Gesetzen, die hier gelten, befreit. Nicht vie ein Wiener Bürger¬

[Nachdruck verboten.]
mädel, sondern wie eine Amerikanerin verfügt sie selbstherrlich
die Men
über ihr Leben, ohne den Zusammenhang mit der Familie
Monty Jacobs.
0 55
Seltenhei
aufzugeben. Sie gibt sich in unbesangener Großmut dem Freunde
Zum ersten Male, nach fünf Novellenbänden schickt Arthur Schnitzler
neuen
hin, sie erhebt keine Klage, keinen Anspruch, als sie sich Mutter fühlt.
einen Roman in die Welt: Der Wegins Freie. (S. Fischers
ie nie
Ein Kind kommt zur Welt, dem das Schicksal nur einen Atemzug
Verlag.) Ein Werk, zwiespältig in seinem Wuchs, zwiespältig in seiner
vergönnt. Mit einer schier unheimlichm Selbstbeherrschung unter¬
Wirkung, vertraut und neuartig, frostig und warm zugleich.
drückt Anna auch jetzt jedes Wort der Enttäuschung, des Kummers.
Zwei Dinge, die miteinander blutwenig zu schaffen haben, paart
Früher als Georg selbst erkennt sie seinen Wunsch, um jeden Preis
dieses Buch ohne viel Federlesen: eine Liebesgeschichte und eine
frei zu sein. So leicht wie die Eroberung, macht sie ihm den Rück¬
Herzenserleichterung. Der Held der Liebesgeschichte heißt Georg, und
zug. Wie sie mit wissendem Lächeln in ihrer Schmerzenszeit seine
Sie Kunst des Autors muß aufgeboten werden, um uns für ihn zu
Untreue durchschaute, so öffnet sie ihm jetzt, in mütterlicher Fürsorge
interessieren. Dem Helden der Herzenserleichterung aber gehört
die Tür zum Abschied, zum Weg ins Freie, zu seiner Bestimmung,
vo
unsere Teilnahme von vornherein. Denn er heißt Arthur Schnitzler
ko
„unbedenklich und kühn durch die Welt zu treiben“.
und darf als Schöpfer Christines, Beatrices, Anatols auf die Dank¬
Gleichsam in dreifache Schleier ist diese Romanheldin eingehüllt.
barkeit seiner Landsleute rechnen, die er beschenkt, gerührt, erheitert
Jede Aussprache, jede Träne, jeder Gefühlsausbruch ist ihr verwehrt.
hat. Je spröder er bisher als Künstler mit persönlichen Bekenntnissen
Männer
Ihre Lippen bleiben unerbittlich geschlossen, und wie sie ohne Freundin
zurückhielt, desto aufmerksamere Zuhörer findet er nun, da er einmal
je länger
durchs Leben schreitet, so wird auch der Leser nicht in ihr Vertrauen
aus sich heraus geht. Wes das Herz voll ist, des gehet der Mund
gezogen. So offenherzig ihr Liebhaber Georg sich als ein frischer,
über. Schnitzlers Herz ist voll von Bitterkeit, und bitter spricht er
kühles Fr
freimütiger Junge gibt, so ängstlich protestiert Anna gegen jeden
als Oesterreicher über seine Heimat, als Jude über seine Schicksals¬
rm rüt
Einblick in ihre Karten. Das künstlerische Ziel des Romans heißt
genossen.
fällig ein
eben: die Welt, vom Manne aus gesehen. Der Frau bleibt das
Ein sozialer Roman also, der seine Konflikte aus den Nöten der
Geheimnis, aber auch der Reiz des Mysteriams. Ein Mona Lisa¬
Zeit schöpft? Keineswegs, sondern eine breit ausgesponnene Novelle,
zuwei
Lächeln umspielt Annas wortkargen Mund, und selbst ihr Herzens¬
behängt, beschwert, gehemmt durch eine Fülle von Reflexionen über
Sie leite
freund sieht in all seiner Harmlosigkeit, wie sich feelische Untiefen,
die Rassenfrage. Immer aufs neue kehren die Gedanken des Be¬
Problems
ungeahnte Mächte darin auftun. Je sparsamer seine Geliebte ihrem
kenners zu seinem Lieblingsthema zurück. Der Erzähler aber wagt
sitzen, so
Gefühl Ausdruck leiht, desto ergreifender wirkt es, wenn es sich ein¬
sich nicht daran, die Verbindung herzustellen, das innere Erlebnis
Schillers
mal hervorwagt. Eine stumme Szene verbürgt diesen Eindruck:
seines Helden mit seinem eigentlichen Problem zu verknüpfen. So
wird allerorten das Gleichgewicht des Wichtigen und des Georg findet dunkelrote Rofen, seine Abschiedsgabe für Anna, auf Interessel
Unwichtigen gefährdet. Zwei voneinander unabhängige, zu ver= dem Grabe seines Kindes, des Kindes, von dem die Mutter niemals 1 malmend