I, Erzählende Schriften 23, Der Weg ins Freie. Roman (Die Entrüsteten), Seite 40

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Neue Bücher. Arthur Schnitzler: „Der Weg ins
[Freie“. (Berlin, F. Fischer.) Schnitzlers jüngster Roman ist echt
Wiener Gewächs und dennoch braucht es Zeit, ehe ihn der Leser auch
als echten Schnitzler erkennt. Schnitzler, der getreue Schilderer seiner
schönen Heimatstadt, hat sie diesmal an einer für ihn neuen Seite
gesehen, von der stillen, versonnenen. Schnitzler strahlte als
Oramatiker, wie als Novellist stets ein stärkes Temperament aus.
Seine Menschen strotzten von Lebenskraft und was sie taten, das war
gegenständlich und kräftig dargestellt. Ganz anders hielt es der
„Weg ins Freie“. Ueber den Vorgängen des Buches hängen düstere,
leis wehende Schleier, hinter denen wir die seltsame Gesellschaft, die
Schnitzler diesmal abkonterfeit, ein wenig müde agieren sehen, mit
abgedampfter Stimme und sanfter Resignation reden hören. Der
Roman hat einige mit Handlung durchflochtene Episoden, aber keine
Handlung. Sein Protegonist ist ein junger, aristokratischer Komponist,
der viel Besuche macht, viel plauscht, viel nachdenkt, viel liebt, aber
wenig komponiert. Er liegt in den Fesseln eines edlen, bürgerlichen
Mädchens, die ihm ein totes Kind gebart. Allmählich entwindet er
sich dieser unfruchtbaren Liebe und findet den „Weg ins Freie“. Die
Freiheit, das ist — eine Kapellmeister=Stelle in Detmold, mit der sich
hoffentlich der Held des Buches in Zukunft nicht genügen läßt. Mit
ganz besonderem Nachdruck beschäftigt sich diesmal Schnitzler mit der
gesellschaftlichen Judenfrage in Oesterreich. Fast unaufhörlich —
oft ohne jeden Anlaß — springen die Personen des Buches auf dieses
heikle Thema über und erörtern es von den verschiedensten Gesichts¬
punkten aus. Der Autor hütet sich aber, irgendwie Partei zu nehmen
oder etwa tendenziös zu polemisieren. Das ist künstlerisch sehr fein
gedacht, aber man weiß doch auch nicht recht, wozu dann diese fort¬
währenden, fatalen Erörterungen das sonst so zart empfundene Buch
mit ihrer Erdenschwere belasten. „Der Weg ins Freie“ wird bereits
in höchsten Tönen als ein Meisterwerk allerersten Ranges, als das
Meisterwerk des Erzählers Schnitzlers, gepriesen, wahrscheinlich
grade weil es sich so weltabgewandt sanft und abgeklärt gibt. Ich
kann mich dieser Ansicht nicht anschließen. Das Buch ist reich an
schönen, eindringlichen Momenten und voll von milder Lebensweis¬
heit aber für meinen Geschmack zerfließt es zu sehr in Einzelheiten,
hält seine sehr zahlreichen Charaktere in zu schlaffen, unpersönlichen
Linien und gibt darum weder ein genügend scharfes Kulturbild des
heutigen Wien, noch ein überzeugend an die Herzen greifendes Einzel¬
schicksal. Der Poet Schnitzler hat diesmal den Realisten Schnitzler
gänzlich verdrängt. Grade die innige Vereinigung dieser beiden
künstlerischen Elemente der Persönlichkeit Schnitzlers hat uns aber
seine besten Werke beschert.
Telephon 12801.
WTTEnm
2
O l. österr. behördl. konz. Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
Wien, I., Concordiaplatz 4.
Vertretungen
8
0 in Berlin, Budapest, Chicago, Christiania, Genf, Kopen¬
hagen, London, Madrid, Mailand, Minneapolis, New-Vork,
Paris, Rom, San Francisco, Stockholm, St. Petersburg.
(Quellenangabe ohne Gewähr.)
Ausschnict
L
eslauer Morgen Zeitung,
1 pam:
2-JUl. 1908
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Wiener Gewächs und denoch braucht es Zeit, ehe ihn der Leser auch
als echten Schnitzlerzerkennt. Schnitzler, der getreue Schilderer seiner
schönen Heimatstadt, hat sie diesmal ankeine: für ihn neuen Seit
gesehen, von der stillen, versonnenen. Schnitzler strahlte als
Dramatiker, wie als Novellist stets ein starkes Temperament aus.
Seine Menschen strotzten von Lebenskraft und was sie taten, das war
gegenständlich und kräftig dargestellt. Ganz anders hielt es der
„Weg ins Freie". Ueber den Vorgängen des Buches hängen düstere,
leis wehende Schleier, hinter denen wir die seltsame Gesellschaft, die
Schnitzler diesmal abkonterfeit, ein wenig müde agieren sehen, mit
abgedämpfter Stimme und sanfter Resignation reden hören. Der
Roman hat einige mit Handlung durchflochtene Episoden, aber keine
Handlung.=Sein Protegonist ist ein junger, aristokratischer Komponist,
der viel Besuche macht, viel plauscht, viel nachdenkt, viel liebt, aber
wenig komponiert. Er liegt in den Fesseln eines

Mädchens, die ihm ein totes Kind gebärt. Allm
sich dieser unfruchtbaren Liebe und findet der
Freiheit, das ist — eine Kapellmeister=Stel
hoffentlich der Held des Buches in Zukunft
ganz besonderem Nachdruck beschäftigt sich die
gesellschaftlichen Judenfrage in Oesterreich. Fast
soft ohne jeden Anlaß — springen die Personen des B
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spunkten aus. Der Autor hütet sich aber, irgendwie Par
soder etwa tendenziös zu polemisieren. Das ist künstlen
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mit ihrer Erdenschwere belasten. „Der Weg ins Freie“ 1
in höchsten Tönen als ein Meisterwerk allerersten Ranges
Meisterwerk des El„ählers Schnitzlers, gepriesen, wahr
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grade weil es sich so weltabgewandt sanft und abgeklärt gibt. Ich
kann mich dieser Ansicht nicht anschließen. Das Buch ist reich an
schönen, eindringlichen Momenten und voll von milder Lebensweis¬
heit aber für meinen Geschmack zerfließt es zu sehr in Einzelheiten,
hält seine sehr zahlreichen Charaktere in zu schlaffen, unpersönlichen
Linien und gibt darum weder ein genügend scharfes Kulturbild des
heutigen Wien, noch ein überzeugend an die Herzen greifendes Einzel¬
schicksal. Der Poet Schnitzler hat diesmal den Nealisten Schnitzler
gänzlich verdrängt. Grade die innige Vereinigung dieser beiden
küntlerischen Clemente der Persönlichkeit Schnitzlers hat uns aber
soine, besten Werke beschert.