I, Erzählende Schriften 23, Der Weg ins Freie. Roman (Die Entrüsteten), Seite 57

23.
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Bildex=von Natur und Menschenleben sind von Stimmung durch¬
träutk. Eine weiche Empfindung lauscht hinaus und fragt ins
Unbekannte, verschwebt vom ästhetischen Genuß zu melancholischen
„Rätseln menschlicher Beziehungen und wiederholt weiche Töne
wie Leitmotive — wir erkennen die Art der Wiener Künstler,
denen das Eisen im Blut fehlt. Die Dichterhand weiß nicht
fest zu fassen und zu formen. Das Ganze wie die einzelnen
Szenen sind mehr Mosaik als Einheit, ein Pointillismus, der
seine Farben auf der Netzhaut mischen möchte. Der Dichter
weiß eine ganze Menge Menschen zu bilden, etwas schattenhaft
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zwar, doch genügt es für die Nebenfiguren. Aber merkwürdig,
bei Altenberg, Schnitzlex und Hartleben“5
je länger er einer seiner Figuren ins Gesicht sieht, um so mehr
verschwimmen die Umrisse,
Peter Altenberg, Die Ausnaft ans meiten Büchern, 1z1 2. 3 geb. z mi.
was übrig bleibt, ist keine Per¬
Arthur Schnitzler. Der Weg ins Freie, Roman, 401 S. 5 geb. 6 Mk.
sönlichkeit mehr, sondern, um mit den Worten seines Lands¬
Otto Erich hartleben. Briefe an seine Frau. Mit 10 Abbildungen.
manns zu reden, „wie der wesenlose Regenbogen spannt sich
495 S. 5, gebunden 6 Mk. — Alle drei Berlin, S Fischer 1908.
unsere Seele über den unaufhaltsamen Sturz des Daseins.“
Da werden mir drei Bücher zugleich auf den Tisch gelegt;
Nach althergebrachter Moral könnte sein Held als Wüstling
sie sind verschiedener Art, und doch beginnen Fäden sich von
gelten; aber kann man diesen Maßstab noch anlegen bei einem
einem zum andern zu spinnen; Töne, die hier angeschlagen
Men'chen, der nur eine Summe von Sensationen und Stimm¬
werden, finden dort ihre Antwort und vereinigen sich zu einer
ungen ist? Eigentlich erweckt er keine lebendige Teilnahme,
Melodie, die fein und kunstreich ist — und wehmütig zugleich.
dieser Wiener Baron, der in Detmold Kapellmeister wird. Denn
Peter Altenberg und Arthur Schnitzler sind 1862 in Wien
das ist das Eigentümliche, daß Schnitzler ihn kaum in Aktion
geboren. Otto Erich Hartleben 1864 zu Clausthal, gestorben
treten lassen kann; am liebsten und bequemsten macht er ihn
1905 in seiner Villa am Gardasee.
zum Zuhörer von Gesprächen, läßt Melodien in ihm aufrauschen
Altenbarg hat vier Bücher herausgegeben, die er für Ex¬
oder läßt ihn sich wundern über die seltsamen Beziehungen des
trakte seines eigenen Innenlebens und eigentlich des Lebens über¬
Lebens. In der Menschenbildung ist dieser Nachjahre Grillparzers
haupt hält. Nun hat er sich überzeugt, daß man daraus noch
ein Epigone. Da nun der Held etwas Gewissenloses, Leicht¬
ungeinen Extrakt herstellen kann, indem man die „wert¬
fertiges, dabei beinah Unpersönliches hat, da die Raisonneure
vollsken“ Perlen herausfischt und sie „aus Menschenfreundlichkeit
und Dialektiker des Romans die Ideale als allzumenschlich und
uld Gewinnsucht zugleich“ darbietet. Es ist eine Spielart
unzulänglich entlarven und die Idealisten vom Dichter in gleicher
noderner Romantik. Wenn die Romantik ästhetischer Genuß
Weise demaskiert werden, so legt sich eine Melanckolie auf die
der Subjektivität ist, so ist Altenberg Romantiker; wenn einer
Seele des Lesers, die ihn um so emsiger nach dem ästhetischen
die Romantik die Flucht vor dem Trivialen genannt hat, so
Genuß an Ausdrik und Geste suchen läßt; so konmt der Leser
wird er auch diesen Dichter dazu zählen. Aber dieser sucht keine
selbst in diese Wienerische Stimmung hinein, falls er sich dem
blaue Blume, kein Mittelalter, kein Hellas — er findet im all¬
Autor willig hingibt und nicht durch die mannigfachen Breiten
täglichen Leben, im Café, im Biergarlen, in der Familie, im
ober durch eine Verschiedenheit in der Bewertung des Menschen¬
Daseins von der Lektüre abgeschreckt wird.
Salon Szenen und Bilder, über die es wie verzitterndes Seelen¬
leben huscht; das hängt er auf im kunstvoll geschliffenen Spiegel
kleiner Skizzen:
Otto Erich Hartlebens Buch führt aus der Romantik und
dem Phantasiereich in das Leben. „Das Knospen und Wachsen
Die Romantik, die Poesie des Tages und der Stunde näher¬
rücken den Allzubeschäftigten, daß auch sie einfach aufhorchen,
der Liebe zweier Menschen zu einander“, sagt der Herausgeber
sobald etwas Merkwürdiges, Feines, Besonderes in ihrem Dasein sich
F. F. Heitmüller, „die immer eine Ehe war und niemals auf¬
begäbe! Das sollten die Beschäftigungslosen! Die Dichter!
hörte, Liebe zu sein — das ist der Inhalt dieser =Novellen in
Das tut er mit einer altklugen Kindlichkeit und einer
Briefforme.“ Wer Hartlebens Novelle „Liebe kleine Mama“
graziösen Feinheit, daß ihm Seelenbilder gelingen. Freilich
kennt, wird ihn als Briefkünstler schätzen. Auf diesen Briefen
wird Anderes durch verschrobene Manieriertheit oder feierliche
und Postkarten liegt der besondere Reiz der frischen Unmittel¬
Banalität unerträglich oder komisch, so daß man wünschte, diesen
barkeit. Von der Studentenzeit bis zum Tode des Dichters
Komparativ von Extrakt zu einem Superlativ zu sichten. Sein
reichen sie; sie sind nicht ideenreich, aber immer lebensvoll;
jüngerer, aber reicherer Landsmann Hofmannsthal hat eine
zuerst reden sie noch von Idealen, dann gehen sie immer mehr
einem Epikuräismus nach, der in Kunst, Weibern und Alkohol
wunderhübsche Besprechung eines Buches von Altenberg ge¬
schrieben, darin sagt er:
sich sättigt, und der Schreiber ist ein liebenswürdiger, nobler,
im Grunde selbstsüchtiger Schwerendter, von burschikosem Humor
Seine Geschichten sind wie ganz kleine Teiche, über die man sich
und Leichtsinn, und dabei von dem Adelsstande der deutschen
beugt, um Goldfische und bunte Steine zu sehen, und plötzlich un¬
deutlich ein menschliches Gesicht aufsteigen sieht. So ist das Gesicht
Tichter. Und Alles ist so tief menschlich! Auf einmal klingt
des Dichters schattenhaft in die hundert Geschichten eingesenkt und
bann durch allens leichten Lebensgenuß eine so herzzerreißende
schwebt empor. Ein sehr stilisiertes Gesicht, mit einer großen, raffi¬
Klage hindurch:
nierten Einfachheit ... Aber das macht wieder die Seltsamkeit des
Buches aus, daß er das ganze Leben, aber wirklich das ganze, für
Jetzt, wo ich allein bin, ohne meinen Reisegeführten, der meine
den Lustgarten der Poesie ansieht und mit seiner allzusüßen, verliebten
Gedanken immer noch ablenkte, fühl ich erst, wie tief traurig ich eigent¬
Musik in alle Klüfte des gewöhnlichen Lebens hineindringt.
lich bin. Ich muß sehr viel trinken, um nicht einsach verrückt zu
werden. Des Morgens, wenn ich aufwache, habe ich ein Angstgefühl,
So wirkt Altenberg auf einen ähnlich organisierten Menschen.
das ich Dir nicht beschreiben kann, und das erst nach einigen großen
Grisern Wermuts wieder weicht. Ich habe die Empfindung, als ob
Arthur Schnitzler kennen wir bisher als Novellisten und
mir wohler würde, wenn ich mich einmal vor Dir auf den Knieen
gründlich ausweinen könnte — meine Nerven sind in einer Ueber¬
Dramatiker. In seinem ersten großen Roman erzählt er die
spannung, wie ich sie niemals früher gekannt habe.
Liebesgeschichte zwischen einem musikalischen Baron und einer
habe Du doch Mut, Du bist die Stärkere von uns beiden:
Musiklehrerin. Den Hintergrund bildet ein reicher Ausschnitt
ich gehe ja einfach in Scherben, wenn Du mich nicht halten willst.
aus der Wiener Gesellschaft: Aristokraten, reiche und verarmte
Dein Erich.
Juden, Abgeordnete, Dichter und Journalisten. Da wird manch
Dieser Klang vom Jahre 1896 bleibt nicht vereinzelt.
feiner oder originell gewandter Gedanke gesprochen. Schnitzler
Dann sieht man in die Seele der Frau, die ihn geliebt
liebt, sprechen zu lassen, wie Fontane, aber ohne dessen Durch¬
hat bis zuletzt, die er grenzenlos glücklich und grenzenlos elend
seelung. Fontane braucht nur Menschen. Schnitzler braucht
gemacht hat; sie ist eine stärkere Natur als er, aus edlerem
Probleme; so wird die Judenfrage immer wieder Thema. Aber
Stoffe gebildet, ein hingebendes, sorgendes, liebendes, impulsiv
er versteht den Dialog, und noch eins — die Stimmung: und leidenschaftlich empfindendes Weib. Ein Gefühl des Elendes
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