I, Erzählende Schriften 23, Der Weg ins Freie. Roman (Die Entrüsteten), Seite 66

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„Der Weg ins Freie.“ Berlin, S. Fischer, 1908.)
Anatol ist alt geworden und weise. Er genießt
licht, was ihm so aufstößt, er wählt und denkt im
Genusse. So wird ihm ein Abenteuer zum Ereignis,
beinahe führt ihn ein Kind, das seinem Bunde mit einem
sitisamen Mädchen entstammt, in die Ehe.
Dieses „Beinahe“ ist der Inhalt von Schnitzlers
neuestem Romane. In diesem „Beinahe“ liegen Ver¬
tiefungen des alten Liebelei=Motivs, wie sie nur inner¬
liches Erleben und verarbeitendes Empfinden lehren. Mit
sichtlicher Tendenz wird das sinnliche Moment des Ver¬
hältnisses zurüelgedrängt, und von einem süßen Mädel
hat die kluge, bedachtsame Anna keinen Zug. Sie bleibt

auzusehr im Schatten, alles Licht fällt auf den jungen
Mann, den „beinahe“ das ernste Schicksal, Vater zu
sein, erreicht, das sich aber glücklicherweise durch den
raschen Tod des Sprößlings, nur in ein Vaterwerden
löst. Georg ist Anatol, in seiner Leichtfertigkeit des An¬
knüpfens, seinem Hinwegsetzen über äußere und innere
Bande, seinem Dilettantismus: denn gerade jene Er¬
hebung zum Künstler und Berufsmenschen, die ihm der
Dichter geben will, glaube ich nicht. Aber daß er seelische
Prozesse durchmacht, daß sie ihn bilden über das kleine
Erlebnis hinaus, das stellt ihn über den Lebenskünstler
aus Schnitzlers Frühzeit. Noch keinem Buche hat der
Dichter so viel Selbstgedachtes und Empfundenes ge¬
geben, ja, wie seine letzten Dramen, erscheint auch das
neue Buch überladen mit innerlichem, nicht restirs be¬
wältigtem Materiale. Dieser Ueberfluß strömt nicht aus
der Handlung, sondern aus den zahlreichen Nebenfiguren,
die unzählige Sprachrohre des Verfassers bilden. Es ist
der Hauptvorwurf, den ich dem Werke machen möchte,
daß sein geistiger Inhalt allzuwenig aus dem Stoffe,
sondern aus einer Unsumme von Dialogen fließt, von
Gestalten vorgeführt, die nur schwach den beabsichtigten
Kontrastwirkungen dienen, sondern nur als Redner wirken.
So entzückende Bilder von Wien in sanften Andeutungen
entworfen werden, ein Wiener Roman ist das Buch nur
zum Teil, wo es nur einen Ausschnitt der Gesellschaft,
und diesen in einer ganz bestimmten Beleuchtung gibt.
Man vergleiche nur „Jettchen Gebert“; wie fließt da
Berlin und Judentum unabsichtlich aus den Gestalten
und Situationen. Diese organische Verbindung fehlt hier,
wo der Dichter und immer nur der Dichter spricht.
Aber wie spricht er! Alle Bedenken mögen zurück¬
treten vor der Bewunderung einer darstellerischen Kunst,
die nicht leicht ihresgleichen hat. Was Fluß der Erzäh¬
lung, stille, aber zwingende Kraft des Ausdruckes, musi¬
kalische Harmonie des Satzbaues ist, das mag man hier
studieren. Zuweilen scheint einem wohl jede Aeußerung
des Temperaments allzusehr zurückgedämmt, aber einem
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aufmerksamen Ohre wird die verhauene Matt der Leiden¬
schaft viel zu sagen haben.Ekwus von der Kunst der
Goetheschen „Wahlverwandtschäften“ lebt in diesem klaren
und doch tiefen Werke, etwas Menschliches, das weit
über dem Inhalt und der Form steht. Das Freie felbst
Schnitzter hät es noch nicht erreicht, noch liegt er
in den Banden seines ringenden Ich; aber einen schönen
„Weg ins Freie“ ist er gegangen.
A. v. A24.
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Ausschnitt auses Litterarisene Bohe, Baran
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E vom:
Zur Besprechung zeitgenössischer Autoren und
Werke geben ausnahmslos nur neu erschienene Bücher
den Anlaß. Hans Bethge hat seinen vor sechs Jahren
im LE erschienenen, seitdem schon häufiger an ver¬
schiedenen Stellen gedruckten Aufsatz über J. J.
David jetzt wieder im „Homb. Fremdenbl.“ (156)
anläßlich der bei Georg Müller erscheinenden Ge¬
samtausgabe untergebracht und schreibt in der „Bresl.
Ztg.“ (469) über Peter Altenberg, der kürzlich
eine einbändige Auswahl aus seinen Büchern heraus¬
gegeben hat. — Nicht ohne kritische Einwände, aber
im ganzen mit vieler Anerkennung bespricht Richard
M. Meyer Jakob Wassermanns „Kaspar Hauser“.
(Voss. Ztg., Sonnt.=Beil. 28). — Der neue Ro¬
man von Schnitzler war in den „Münch.
N. Nachr.“ schön vo Dr. Ludwig Bauer kri¬
tisch gewürdigt worden: einen zweiten Kri¬
tiker findet er hier (Beilage 5) in Joseph Hos¬
miller, der besonders die Reinheit der Mittel
und das künstlerische Maß an dem Buche hoch be¬
wertet. „Ein Werk von fast fünfhundert Seiten, so
gleichmäßig und künstlerisch im Ton, so vornehm und
sorgsam in der Mache, so von Anfang bis zu Ende
festhaltend, so gänzlich auf das Herausarbeiten
brillanter Einzelheiten verzichtend, so durchaus als
Ganzes angelegt und als Ganzes wirkend, will immer¬
hin etwas besagen. Es hat Stil. Was ihm fehlt,
ist Entwicklung.“ — Mit Schnitziers Werk hat das
jüdische Milien Augusie Hauschners neuer Roman
„Die Familie Lowositz“ gemein. Ihre große Kunst
der Milieuschilderung hat diese Verfasserin bisher
hauptsächlich in ihrer Meisternovelle „Daatjes Hoch¬
zeit“ und dem in einer mährischen Fabrikgegend spie¬
lenden Roman „Zwischen den Zeiten“ offenbart.
„Diesmal“ bemerkt Alfred Klaar (Voss. Zig. 201),
„stellt sie sich eine besonders schwierige Aufgabe: sie
greift mitten hinein in das nationale Gewirre ihrer
Vaterstadt Prag, in das wunderlich zerklüftete soziale
Gemeinwesen, dessen Eigenart, dessen kulturelle Viel¬
farbigkeit, dessen Reiz und Unerquicklichkeit sich aus
einer Fülle sich. kreuzender historischer und politischer
Strömungen entwickelt hat. In langjährigem ver¬
liner Leben und Schaffen hat sie Distanz zu jenen
Erinnerungen gewonnen, vielleicht zu viel Distanz, um
den Zug der großen Fragen, die da selbst das Kleine
und Kleinliche durchdringen, fest im Auge zu be¬
halten; aber gerade genug, um die lebendig ge¬
bliebenen Bilder gewisser Seiten des gesellsch iftlichen
Lebens mit frappierender Objektivität darzustellen.“
Der selbe Kritiker hestätigt an aleichee #t.fi