ins Freie
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23. Der Ne¬
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Arthur Schnitzler ist unzweifelhaft dekadent, und das würde ihm
mit Recht die strengste Aburteilung von seiten Adolf Bartels' ein¬
tragen müssen. Aber diejenigen, die weniger rigoros und den
Eindrücken eines formvollendeten. reizvollen, graziösen Aestheten¬
tums mehr preisgegeben sind, konnten ihn immerhin noch gelten
lassen. Wenn er in dem zu seiner Zeit so erfolggesegneten
Theaterstücke „Liebelei“ oder in der Dialogsammlung „Anatol“
oder in den Novellen „Frau Berta Garlen“ und „Sterben“ das
Milien Wiener Lebemannskreise graziös und zugleich tiefernst¬
sentimental darstellte, so konnte man ihn als einen eleganten, geist¬
reichen und zuverlässigen Schilderer gewisser echt — österreichischer
Lebenskreise wohl anerkennen.
Aber diese verhältnismäßig günstige Beurteilung muß
Schnitzler aufs äußerste beeinträchtigen, wenn er sich — eigentlich
in einem unbegreiflichen Gegensatze zu seiner sonnigen Aestheten¬
und Lebemannsnatur — demokratischen, antimilitaristischen Ten¬
denzen ergibt. In dem Drama „Freiwild“ schon war eine ge¬
hässige Tendenz gegen den österreichischen Offiziersstand unange¬
nehm aufgefallen, wenngleich sie damals noch durch den einwands¬
freien, straffen Aufbau des Theaterstückes einigermaßen in den
Hintergrund gedrängt war. Aber dann in der Novelle „Leutnant
Gustl“ hatte Schnitzler das österreichische Offizierkorps geradezu
abscheulich tendenziös geschmäht. Und in den Kreisen des öster¬
reichischen Offiziersstandes und der österreichischen Beamtenschaft
konnte er wohl nicht mehr anders angesehen werden, als bei uns
etwa sozialdemokratische Schmähschreiber oder die Herrschaften der
Montagsblätter oder Maximilian Harden in nationalen Kreisen
empfunden werden.
Jetzt, in seinem neuesten Roman „Der Weg ins Freie“, fügt
der einst so Lebenslustige unn lebemännisch Unbekümmerte unbe¬
greiflicherweise eine neue Tendenz hinzu: die des kritischen Juden.
Er schildert seine Menschen nicht mehr als Wiener schlechthin;
sondern er scheidet sie — was doch nicht mehr als recht und billig
ist — in Juden und Christen. Die stärksten Talente unter den
jüdischen Schriftstellern werden sich, sobald sie ehrlich und wahr¬
heitsliebend sind, doch immer bald gedrängt sehen, bis zum Kerne
des Menschen vorzudringen und Rasse, Milieu, Religion nicht
außer acht zu lassen. Früher schon hette Georg Hirschfeld aus
naturalistischem Wahrheitsdrange seinen Gestalten die besondere
jüdische Färbung gegeben: jetzt fängt Arthur Schnitzler an, das¬
selbe zu tun. Gerade den Deutschen aber, die eine stärkere Be¬
tonung des Nationalen und Christlichn in der eigenen, deutschen
Literatur sehnlichst wünschen, kann e nur erwünscht sein, wenn
die jüdischen Schriftsteller, von Schalom Asch bis zu Georg Hirsch¬
feld, Jakob Wassermann, und Arthur Schnitzler sogar, das, was sie
leisten, als jüdische und nicht als pfeudo=deutsche, talmi=deutsche
Schriftsteller leisten.
Aber ist dieser Roman von grundsätzlichen Gesichtspunkten aus
also durchaus anzuerkennen, so kann man ihn doch als Einzel¬
erscheinung, als Kunstwerk keineswegs gelten lassen. Vor allem
muß die unglaublich ungefüge, ganz zusammenhanglose Kom¬
position dieses Romans die etwaigen Vorzüge völlig aufheben.
Der Roman erzählt von der Liebe eines Wiener Freiherrn Georg
von Wergenthin zu der rührend schlichten und gutherzigen Kleine
Bürgerstochter Anna Rosner, welche an die ähnlich rührende und
poetische Gestalt der Christine aus Schnitzlers „Liebelei“ erinnert:
der junge Aristokrat liebt sie wirklich herzlich; aber sein Bedürfnis,
von allen lästigen Verpflichtungen frei zu bleiben, ist größer als
seine Liebe, und obwohl Anna durch ihn Mutter eines, freilich
gleich bei der Geburt toten, Kindes geworden ist, kann er es nicht
über sich gewinnen, sie zu heiraten. Jedoch was hat diese klar und
rein erzählte Tragödie mit dem Problem der Judenfrage und mit
den zahllosen jüdischen Nebengestalten des Romans zu tun? Zwar
gewinnt von diesen jüdischen Nebengestalten die eine, der Schrift¬
steller Heinrich Beermann (wohl die, allerdings beinahe zu deut¬
liche, Schlüssel=Figur des Wiener Schriftstellers Heinrich Beer¬
Hofmann?) nach und nach einen außerordentlichen seelischen Ein¬
fluß auf den Freiherrn; aber dieser Einfluß wird niemals in
Handlungen des Freiherrn wirksam, sondern Heinrich Beermann
ist eher so etwas wie der Vertraute aus den Tragödien der fran¬
zösischen Klassiker, Partner für die Dialoge, die eigentlich ver¬
kappte Monologe sind. Es wird kaum möglich sein, mit noch so
spitzfindiger Dialektik, einen Zusammenhang zwischen dem jüdischen
Milien und dem eigentlichen, dem Liebesroman des christlichen
Freiherrn und der christlichen Bürgerstochter zu konstruieren; diese
beiden Teile des Romans klassen, durch nichts überbrückt, aus¬
einander.
Dazu kommt noch, daß der Vertreter des deutschen Teiles, der
junge Freiherr Georg v. Wergenthin, weniger glaubhaft gestaltet
ist als die jüdischen Gestalten des Romans. Die Ebner=Eschen¬
bach stellt das Reale, Leibhaftige der österreichischen Aristokratie
dar, Schnitzler eine gedachte, konstruierte. Die Ebner=Eschenbach
stellt einzelne Aristokraten leibhaftig dar; Schnitzler, der — merk¬
würdigerweise — lange für einen Naturalisten gehalten wurde,
reflektiert mehr über sie, als daß er sie darzustellen vermöchte.
Er sagt von seinem aristokratischen Helden einmal: „Gewöhnlich
ging er bald wieder fort, nicht ohne für Else einen herben Duft
von uralter Vornehmheit, kaltblütiger Verführung und eleganter
Todesverachtung zurückzulassen.“ Nun denke man an die wunder¬
voll lebendigen und überzeugenden aristokratischen Gestalten der
Ebner=Eschenbach und Theodor Fontaues! Hier aber wird man
eher an die gelegentlichen, gleichfalls so mühsam im Kopf kon¬
struierten, aus den Romanen etwa der Emmy v. Egidy denken
müssen. Es ist ein etwas keckes Unterfangen, wenn Schnitzler
einen Teil seiner Romangestalten als österreichische Aristokraten
ausgibt, da wir die wirkliche österreichische Aristokratie doch eben
aus den Dichtungen der Ebner=Eschenbach reichlich genau kennen.
Selbst der Graf aus der Eingangsszene von Anzengrubers „Pfarrer
von Kirchfeld“ ist glaubhafter, mehr von warmem, roten Blut
durchströmt als dieser Freiherr v. Wergenthin. Diese „Aristo¬
kraten“ Arthur Schnitzlers stehen, wenigstens in bezug auf boden¬
ständige Echtheit, nicht gar so hoch über den diversen „Aristokraten“
der Oskar Blumenthal, Paul Lindau und Fritz Mauthner.
Vollends unglaubhaft wird die Gestalt des jungen Aristo¬
kraten durch die Spitzfindigkeit der Psychologie, die für ihn (wie
für die anderen Gestalten alle) aufgeboten ist durch eine Art von
— Ueberpsyhologie. So heißt es von dem jüdischen Abgeordneten
Dr. Steuber einmal: „Er war nicht ganz er selbst, wenn er zu
ihr, oder in ihrer Gegenwart sprach. Auch heute war er nicht mit
sich zufrieden. Mit einem Aerger, der ihm selbst kleinlich vorkam,
ward er sich bewußt, daß er seine Begegnung im Büfett mit
Jalnudek nicht wirksam genug vorgetragen hatte und daß er seinen
Ekel vor der Politik viel glaubhafter hätte darstellen können.“
Oder der jüdische Schriftsteller Heinrich Beermann sagt einmal
zu dem Freiherrn Georg v. Wergenthin: „Bei einem andern wär
es vielleicht Schuld gewesen. Aber bei Ihnen, der von Natur
aus — Sie verzeihen schon — ziemlich leichtfertig und ein bißchen
gewissenlos angelegt ist, — war es gewiß nicht Schuld. Soll ich
Ihnen was sagen? Sie fühlen sich nämlich gar nicht schuldig in
Hinsicht auf das Kind, sondern das Unbehagen, das Sie spüren,
kommt nur daher, daß Sie die Verpflichtung zu haben glauben,
sich schuldig zu fühlen. Sehen Sie, ich, wenn ich irgendwa, in
der Art Ihres Abenteuers erlebt hätte, wäre vielleicht schuldig
geworden, weil ich mich möglicherweise schuldig gefühlt hätte.
Das ist für jede echte Poesie ein so sicher wirkendes Gift, wie es
die in den Zeitungen angepriesenen Mittel für das Ungeziefer
sind. Vor allem aber muß diese Ueberpsychologie (man kann dabei
an Georg Hirschfeld denken) langweilend wirken. Für die unbe¬
kümmerte Langweiligkeit, mit der dieser Roman geschrieben ist,
ist er schließlich doch wohl nicht bedeutend genug.
Das Judenproblem, welches den geistigen Gehalt dieses
Romans darstellen soll, bleibt in ihm gänzlich verworren und
wird nicht im mindesten deutlich herausgeschält. Einerseits stellt
Arthur Schnitzler die mannigfachen Erscheinungsformen des öster¬
reichischen Antisemitismus und ihre psychologischen Wirkungen auf
die Seelen der Israeliten dar. Andererseits möchte er auch wieder
das ganze Problem gar nicht gelten lassen. Er selbst möchte sich
seltsamerweise gewiß am liebsten mit dem christlichen Freiherrn
Georg v. Wergenthin identifiziert sehen; von diesem Freiherrn
aber heißt es einmal: „Georg lächelte liebenswürdig. In Wirk¬
lichkeit aber war er eher enerviert. Seiner Empfindung nach
bestand durchaus keine Notwendigkeit, daß auch der alte Doktor
Steuber ihm offizielle Mitteilung von seiner Zugehörigkeit zum
Indentum machte. Er wußte es ja, und er nahm es ihm nicht
übel. Er nahm es überhaupt keinem übel; aber warum fingen
sie denn immer selbst davon zu reden an? Wo er auch hinkam,
er begegnete nur Juden, die sich schämten, daß sie Juden waren,
oder solchen, die darauf stolz waren und Angst hatten, man könnte
glauben, sie schämten sich.“ Und noch ein zweites Mal heißt es:
„Georg zuckte leicht zusammen. Er wußte, daß Heinrich insbe¬
sondere bei Gelegenheit seines letzten Stückes von konse: vativen
und klerikalen Blättern persönlich aufs heftigste angegriffen wor¬
den war. Aber was geht das mich an, dachte Georg. Schon wieder
einer, den man beleidigt hat! Es war wirklich absolut ausge¬
schlossen, mit diesen Leuten harmlos zu verkehren.“
So ist das Problem nicht im mindesten herausgeschält. Und
am wenigsten kann der, übrigens in keiner Weise recht deut¬
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Arthur Schnitzler ist unzweifelhaft dekadent, und das würde ihm
mit Recht die strengste Aburteilung von seiten Adolf Bartels' ein¬
tragen müssen. Aber diejenigen, die weniger rigoros und den
Eindrücken eines formvollendeten. reizvollen, graziösen Aestheten¬
tums mehr preisgegeben sind, konnten ihn immerhin noch gelten
lassen. Wenn er in dem zu seiner Zeit so erfolggesegneten
Theaterstücke „Liebelei“ oder in der Dialogsammlung „Anatol“
oder in den Novellen „Frau Berta Garlen“ und „Sterben“ das
Milien Wiener Lebemannskreise graziös und zugleich tiefernst¬
sentimental darstellte, so konnte man ihn als einen eleganten, geist¬
reichen und zuverlässigen Schilderer gewisser echt — österreichischer
Lebenskreise wohl anerkennen.
Aber diese verhältnismäßig günstige Beurteilung muß
Schnitzler aufs äußerste beeinträchtigen, wenn er sich — eigentlich
in einem unbegreiflichen Gegensatze zu seiner sonnigen Aestheten¬
und Lebemannsnatur — demokratischen, antimilitaristischen Ten¬
denzen ergibt. In dem Drama „Freiwild“ schon war eine ge¬
hässige Tendenz gegen den österreichischen Offiziersstand unange¬
nehm aufgefallen, wenngleich sie damals noch durch den einwands¬
freien, straffen Aufbau des Theaterstückes einigermaßen in den
Hintergrund gedrängt war. Aber dann in der Novelle „Leutnant
Gustl“ hatte Schnitzler das österreichische Offizierkorps geradezu
abscheulich tendenziös geschmäht. Und in den Kreisen des öster¬
reichischen Offiziersstandes und der österreichischen Beamtenschaft
konnte er wohl nicht mehr anders angesehen werden, als bei uns
etwa sozialdemokratische Schmähschreiber oder die Herrschaften der
Montagsblätter oder Maximilian Harden in nationalen Kreisen
empfunden werden.
Jetzt, in seinem neuesten Roman „Der Weg ins Freie“, fügt
der einst so Lebenslustige unn lebemännisch Unbekümmerte unbe¬
greiflicherweise eine neue Tendenz hinzu: die des kritischen Juden.
Er schildert seine Menschen nicht mehr als Wiener schlechthin;
sondern er scheidet sie — was doch nicht mehr als recht und billig
ist — in Juden und Christen. Die stärksten Talente unter den
jüdischen Schriftstellern werden sich, sobald sie ehrlich und wahr¬
heitsliebend sind, doch immer bald gedrängt sehen, bis zum Kerne
des Menschen vorzudringen und Rasse, Milieu, Religion nicht
außer acht zu lassen. Früher schon hette Georg Hirschfeld aus
naturalistischem Wahrheitsdrange seinen Gestalten die besondere
jüdische Färbung gegeben: jetzt fängt Arthur Schnitzler an, das¬
selbe zu tun. Gerade den Deutschen aber, die eine stärkere Be¬
tonung des Nationalen und Christlichn in der eigenen, deutschen
Literatur sehnlichst wünschen, kann e nur erwünscht sein, wenn
die jüdischen Schriftsteller, von Schalom Asch bis zu Georg Hirsch¬
feld, Jakob Wassermann, und Arthur Schnitzler sogar, das, was sie
leisten, als jüdische und nicht als pfeudo=deutsche, talmi=deutsche
Schriftsteller leisten.
Aber ist dieser Roman von grundsätzlichen Gesichtspunkten aus
also durchaus anzuerkennen, so kann man ihn doch als Einzel¬
erscheinung, als Kunstwerk keineswegs gelten lassen. Vor allem
muß die unglaublich ungefüge, ganz zusammenhanglose Kom¬
position dieses Romans die etwaigen Vorzüge völlig aufheben.
Der Roman erzählt von der Liebe eines Wiener Freiherrn Georg
von Wergenthin zu der rührend schlichten und gutherzigen Kleine
Bürgerstochter Anna Rosner, welche an die ähnlich rührende und
poetische Gestalt der Christine aus Schnitzlers „Liebelei“ erinnert:
der junge Aristokrat liebt sie wirklich herzlich; aber sein Bedürfnis,
von allen lästigen Verpflichtungen frei zu bleiben, ist größer als
seine Liebe, und obwohl Anna durch ihn Mutter eines, freilich
gleich bei der Geburt toten, Kindes geworden ist, kann er es nicht
über sich gewinnen, sie zu heiraten. Jedoch was hat diese klar und
rein erzählte Tragödie mit dem Problem der Judenfrage und mit
den zahllosen jüdischen Nebengestalten des Romans zu tun? Zwar
gewinnt von diesen jüdischen Nebengestalten die eine, der Schrift¬
steller Heinrich Beermann (wohl die, allerdings beinahe zu deut¬
liche, Schlüssel=Figur des Wiener Schriftstellers Heinrich Beer¬
Hofmann?) nach und nach einen außerordentlichen seelischen Ein¬
fluß auf den Freiherrn; aber dieser Einfluß wird niemals in
Handlungen des Freiherrn wirksam, sondern Heinrich Beermann
ist eher so etwas wie der Vertraute aus den Tragödien der fran¬
zösischen Klassiker, Partner für die Dialoge, die eigentlich ver¬
kappte Monologe sind. Es wird kaum möglich sein, mit noch so
spitzfindiger Dialektik, einen Zusammenhang zwischen dem jüdischen
Milien und dem eigentlichen, dem Liebesroman des christlichen
Freiherrn und der christlichen Bürgerstochter zu konstruieren; diese
beiden Teile des Romans klassen, durch nichts überbrückt, aus¬
einander.
Dazu kommt noch, daß der Vertreter des deutschen Teiles, der
junge Freiherr Georg v. Wergenthin, weniger glaubhaft gestaltet
ist als die jüdischen Gestalten des Romans. Die Ebner=Eschen¬
bach stellt das Reale, Leibhaftige der österreichischen Aristokratie
dar, Schnitzler eine gedachte, konstruierte. Die Ebner=Eschenbach
stellt einzelne Aristokraten leibhaftig dar; Schnitzler, der — merk¬
würdigerweise — lange für einen Naturalisten gehalten wurde,
reflektiert mehr über sie, als daß er sie darzustellen vermöchte.
Er sagt von seinem aristokratischen Helden einmal: „Gewöhnlich
ging er bald wieder fort, nicht ohne für Else einen herben Duft
von uralter Vornehmheit, kaltblütiger Verführung und eleganter
Todesverachtung zurückzulassen.“ Nun denke man an die wunder¬
voll lebendigen und überzeugenden aristokratischen Gestalten der
Ebner=Eschenbach und Theodor Fontaues! Hier aber wird man
eher an die gelegentlichen, gleichfalls so mühsam im Kopf kon¬
struierten, aus den Romanen etwa der Emmy v. Egidy denken
müssen. Es ist ein etwas keckes Unterfangen, wenn Schnitzler
einen Teil seiner Romangestalten als österreichische Aristokraten
ausgibt, da wir die wirkliche österreichische Aristokratie doch eben
aus den Dichtungen der Ebner=Eschenbach reichlich genau kennen.
Selbst der Graf aus der Eingangsszene von Anzengrubers „Pfarrer
von Kirchfeld“ ist glaubhafter, mehr von warmem, roten Blut
durchströmt als dieser Freiherr v. Wergenthin. Diese „Aristo¬
kraten“ Arthur Schnitzlers stehen, wenigstens in bezug auf boden¬
ständige Echtheit, nicht gar so hoch über den diversen „Aristokraten“
der Oskar Blumenthal, Paul Lindau und Fritz Mauthner.
Vollends unglaubhaft wird die Gestalt des jungen Aristo¬
kraten durch die Spitzfindigkeit der Psychologie, die für ihn (wie
für die anderen Gestalten alle) aufgeboten ist durch eine Art von
— Ueberpsyhologie. So heißt es von dem jüdischen Abgeordneten
Dr. Steuber einmal: „Er war nicht ganz er selbst, wenn er zu
ihr, oder in ihrer Gegenwart sprach. Auch heute war er nicht mit
sich zufrieden. Mit einem Aerger, der ihm selbst kleinlich vorkam,
ward er sich bewußt, daß er seine Begegnung im Büfett mit
Jalnudek nicht wirksam genug vorgetragen hatte und daß er seinen
Ekel vor der Politik viel glaubhafter hätte darstellen können.“
Oder der jüdische Schriftsteller Heinrich Beermann sagt einmal
zu dem Freiherrn Georg v. Wergenthin: „Bei einem andern wär
es vielleicht Schuld gewesen. Aber bei Ihnen, der von Natur
aus — Sie verzeihen schon — ziemlich leichtfertig und ein bißchen
gewissenlos angelegt ist, — war es gewiß nicht Schuld. Soll ich
Ihnen was sagen? Sie fühlen sich nämlich gar nicht schuldig in
Hinsicht auf das Kind, sondern das Unbehagen, das Sie spüren,
kommt nur daher, daß Sie die Verpflichtung zu haben glauben,
sich schuldig zu fühlen. Sehen Sie, ich, wenn ich irgendwa, in
der Art Ihres Abenteuers erlebt hätte, wäre vielleicht schuldig
geworden, weil ich mich möglicherweise schuldig gefühlt hätte.
Das ist für jede echte Poesie ein so sicher wirkendes Gift, wie es
die in den Zeitungen angepriesenen Mittel für das Ungeziefer
sind. Vor allem aber muß diese Ueberpsychologie (man kann dabei
an Georg Hirschfeld denken) langweilend wirken. Für die unbe¬
kümmerte Langweiligkeit, mit der dieser Roman geschrieben ist,
ist er schließlich doch wohl nicht bedeutend genug.
Das Judenproblem, welches den geistigen Gehalt dieses
Romans darstellen soll, bleibt in ihm gänzlich verworren und
wird nicht im mindesten deutlich herausgeschält. Einerseits stellt
Arthur Schnitzler die mannigfachen Erscheinungsformen des öster¬
reichischen Antisemitismus und ihre psychologischen Wirkungen auf
die Seelen der Israeliten dar. Andererseits möchte er auch wieder
das ganze Problem gar nicht gelten lassen. Er selbst möchte sich
seltsamerweise gewiß am liebsten mit dem christlichen Freiherrn
Georg v. Wergenthin identifiziert sehen; von diesem Freiherrn
aber heißt es einmal: „Georg lächelte liebenswürdig. In Wirk¬
lichkeit aber war er eher enerviert. Seiner Empfindung nach
bestand durchaus keine Notwendigkeit, daß auch der alte Doktor
Steuber ihm offizielle Mitteilung von seiner Zugehörigkeit zum
Indentum machte. Er wußte es ja, und er nahm es ihm nicht
übel. Er nahm es überhaupt keinem übel; aber warum fingen
sie denn immer selbst davon zu reden an? Wo er auch hinkam,
er begegnete nur Juden, die sich schämten, daß sie Juden waren,
oder solchen, die darauf stolz waren und Angst hatten, man könnte
glauben, sie schämten sich.“ Und noch ein zweites Mal heißt es:
„Georg zuckte leicht zusammen. Er wußte, daß Heinrich insbe¬
sondere bei Gelegenheit seines letzten Stückes von konse: vativen
und klerikalen Blättern persönlich aufs heftigste angegriffen wor¬
den war. Aber was geht das mich an, dachte Georg. Schon wieder
einer, den man beleidigt hat! Es war wirklich absolut ausge¬
schlossen, mit diesen Leuten harmlos zu verkehren.“
So ist das Problem nicht im mindesten herausgeschält. Und
am wenigsten kann der, übrigens in keiner Weise recht deut¬