Der Ne
ins
Fre
23.
ie box 3/1
*
5
arg
Erscheint
Montog sebl 6 Ur¬
Rebaktion und Administratl#ns
Grag, Teingasse Nr. 12.
aus Böhmen.
Telephon=Nummer 424.
Nr. 32.
Prag, 10. August 1908.
S
Vornehmheit“ angeklagt, die von der „dema¬
Ein politischer Roman.
gogischen Atmosphäre“ der Politik sich ab¬
Prag, 9. August.
sichtlich fernhält.
Es ist nicht lange her, daß in der reichs¬
Bei uns finden all' diese Klagen ein ver¬
deutschen Presse von etlichen Seiten beachtens¬
ständnisvolles Ohr. Auch in Oesterreich ist es
werte Betrachtungen angestellt wurden über
unter Gebildeten sozusagen Mode geworden,
den Niedergang des politischen Interesses ge¬
die Politik scheel anzusehen und mit einem
rade unter den Schichten des gebildeten
müden Achselzucken abzutun. Vor allem aber
Bürgertums. Professor Sombart, der Bres¬
durfte man nicht ohne Unrecht unserem
lauer Nationalökonom, war der Erste, der
Schriftstellertum den Vorwurf machen, daß
dieses Thema aufgriff und nach eingehenden
es ohne Interesse und Verständnis an den
Untersuchungen zu dem Schluß kam, daß nicht
Fragen der Politik vorbeigeht. Literatur und
so sehr das gebildete Bürgertum an dem
Politik verstehen einander nicht, wollen —
Niedergang schuld ist, als vielmehr die Politik
klagte man — nichts voneinander wissen.
selbst, die unter der Herrschaft der Majoritäts¬
Der Politiker sagte: ich interessiere mich nicht
parteien nicht wenig versimpelt sei. Dann
für Literatur und der Literat sagte:
ich
kam Friedrich Naumann, der temperament¬
interessiere mich nicht für Politik. In der
volle und agile Pastor, der sich zu einer der
Tat wird man nicht ein einziges Werk
interessantesten Persönlichkeiten der deutschen
der Literatur der letzten zehn oder zwanzig
Politik umgewandelt hat. Naumann möchte
Jahre anführen können, in dem etwas von
dem Gebildeten die Politik dadurch wieder
den politischen Fragen der Zeit wider¬
schmackhafter machen, daß er ihm rät, die
klingen würde. Man hat sich an diese
Liebe und Leidenschaft, die der Intellektuelle
Abgeschlossenheit der österreichischen Literatur
künstlerischen und wissenschaftlichen Dingen
von den rauhen Dingen des Lebens so ge¬
zuwendet, einmal versuchsweise den Fragen
wöhnt, daß man von ihr nichts anderes mehr
des Staates und des öffentlichen Lebens zu
erwartet, als das ewige Lied von der Liebe
leihen. Das große Beispiel ist d'Annunzio,
in dieser oder jener Fasson. Eine um so größere
der eines Tages durch die Kraft und Schön¬
Ueberraschung hat uns das letzte Werk Artur
heit seiner Rede die Bauern eines Abbruzen¬
Schnitzlers bereitet, sein Roman „Der Weg
bezirkes so zu begeistern wußte, daß sie ihn
ins Freie“, dessen schöner Bau mit den inte¬
ins Parlament wählten. Auch Otto Harnack
ressantesten politischen Dokumenten geschmückt
hat jüngst den Niedergang des Liberal ismus
ist. Schnitzler, den alle, die ihn kannten, bis¬
dem mangelnden politischen Interesse der
her als einen unserer besten Schilderer der
Intelligenz zugeschrieben und eine #„falsche Frauenseele schätzen und lieben gelernt haben,
*
art
Abonnement
mit Zustellung ins Haus oder
mit Postzusendung:
ganzjährig 8 K, halbjährig 4 K
vierteljährig 2 K.
Einzelne Nummer 12 h.
30. Jahrgang.
Nafelwasser gftel.
öndorfer
natür
Cakalscher SAUERBRUNN
entpuppt sich hier auch als vorzüglicher Be¬
obachter der Politik dieses Landes. Die politische
Melodie gibt nicht das Thema dieses Buches
sie klingt gewissermaßen nur als Nebenlied
mit, aber ihr Wesen ist so charakteristisch fest¬
gehalten, daß viele Stellen den Wert kultur¬
historischer Dokumente behalten werden. Schon
das Verhältnis der Schnitzlerischen Menschen
zur Politik wird stets ein gutes Bild der
Stimmung dieser Tage bleiben: Die meisten
von ihnen sprechen über politische Fragen,
nehmen Anteil an den Dingen des Tages,
aber sie empfinden sie als etwas Rohes und
Häßliches, mit dem in nähere Berührung zu
kommen, nicht ohne Gefahr bleiben kann. Es
ist die richtige Stimmung des gebildeten
Oesterreichers der letzten zehn Jahre. Der
Ekel vor einem Parlament, das alle mensch¬
lichen und kulturellen Empfindungen verletzte,
der Abscheu vor dem simplen Handwerkszeug
der Berufspolitiker und Versammlungs¬
schwätzer, der Widerwille gegen die abge¬
standenen Phrasen der sterilen Parteien —
das alles ist in dieser Stimmung enthalten.
Oft sind es nur ganz kleine Bildchen, die
neben der Haupthandlung an uns vorüber¬
huschen, aber in ihnen ist der ganze Schmutz
ins
Fre
23.
ie box 3/1
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5
arg
Erscheint
Montog sebl 6 Ur¬
Rebaktion und Administratl#ns
Grag, Teingasse Nr. 12.
aus Böhmen.
Telephon=Nummer 424.
Nr. 32.
Prag, 10. August 1908.
S
Vornehmheit“ angeklagt, die von der „dema¬
Ein politischer Roman.
gogischen Atmosphäre“ der Politik sich ab¬
Prag, 9. August.
sichtlich fernhält.
Es ist nicht lange her, daß in der reichs¬
Bei uns finden all' diese Klagen ein ver¬
deutschen Presse von etlichen Seiten beachtens¬
ständnisvolles Ohr. Auch in Oesterreich ist es
werte Betrachtungen angestellt wurden über
unter Gebildeten sozusagen Mode geworden,
den Niedergang des politischen Interesses ge¬
die Politik scheel anzusehen und mit einem
rade unter den Schichten des gebildeten
müden Achselzucken abzutun. Vor allem aber
Bürgertums. Professor Sombart, der Bres¬
durfte man nicht ohne Unrecht unserem
lauer Nationalökonom, war der Erste, der
Schriftstellertum den Vorwurf machen, daß
dieses Thema aufgriff und nach eingehenden
es ohne Interesse und Verständnis an den
Untersuchungen zu dem Schluß kam, daß nicht
Fragen der Politik vorbeigeht. Literatur und
so sehr das gebildete Bürgertum an dem
Politik verstehen einander nicht, wollen —
Niedergang schuld ist, als vielmehr die Politik
klagte man — nichts voneinander wissen.
selbst, die unter der Herrschaft der Majoritäts¬
Der Politiker sagte: ich interessiere mich nicht
parteien nicht wenig versimpelt sei. Dann
für Literatur und der Literat sagte:
ich
kam Friedrich Naumann, der temperament¬
interessiere mich nicht für Politik. In der
volle und agile Pastor, der sich zu einer der
Tat wird man nicht ein einziges Werk
interessantesten Persönlichkeiten der deutschen
der Literatur der letzten zehn oder zwanzig
Politik umgewandelt hat. Naumann möchte
Jahre anführen können, in dem etwas von
dem Gebildeten die Politik dadurch wieder
den politischen Fragen der Zeit wider¬
schmackhafter machen, daß er ihm rät, die
klingen würde. Man hat sich an diese
Liebe und Leidenschaft, die der Intellektuelle
Abgeschlossenheit der österreichischen Literatur
künstlerischen und wissenschaftlichen Dingen
von den rauhen Dingen des Lebens so ge¬
zuwendet, einmal versuchsweise den Fragen
wöhnt, daß man von ihr nichts anderes mehr
des Staates und des öffentlichen Lebens zu
erwartet, als das ewige Lied von der Liebe
leihen. Das große Beispiel ist d'Annunzio,
in dieser oder jener Fasson. Eine um so größere
der eines Tages durch die Kraft und Schön¬
Ueberraschung hat uns das letzte Werk Artur
heit seiner Rede die Bauern eines Abbruzen¬
Schnitzlers bereitet, sein Roman „Der Weg
bezirkes so zu begeistern wußte, daß sie ihn
ins Freie“, dessen schöner Bau mit den inte¬
ins Parlament wählten. Auch Otto Harnack
ressantesten politischen Dokumenten geschmückt
hat jüngst den Niedergang des Liberal ismus
ist. Schnitzler, den alle, die ihn kannten, bis¬
dem mangelnden politischen Interesse der
her als einen unserer besten Schilderer der
Intelligenz zugeschrieben und eine #„falsche Frauenseele schätzen und lieben gelernt haben,
*
art
Abonnement
mit Zustellung ins Haus oder
mit Postzusendung:
ganzjährig 8 K, halbjährig 4 K
vierteljährig 2 K.
Einzelne Nummer 12 h.
30. Jahrgang.
Nafelwasser gftel.
öndorfer
natür
Cakalscher SAUERBRUNN
entpuppt sich hier auch als vorzüglicher Be¬
obachter der Politik dieses Landes. Die politische
Melodie gibt nicht das Thema dieses Buches
sie klingt gewissermaßen nur als Nebenlied
mit, aber ihr Wesen ist so charakteristisch fest¬
gehalten, daß viele Stellen den Wert kultur¬
historischer Dokumente behalten werden. Schon
das Verhältnis der Schnitzlerischen Menschen
zur Politik wird stets ein gutes Bild der
Stimmung dieser Tage bleiben: Die meisten
von ihnen sprechen über politische Fragen,
nehmen Anteil an den Dingen des Tages,
aber sie empfinden sie als etwas Rohes und
Häßliches, mit dem in nähere Berührung zu
kommen, nicht ohne Gefahr bleiben kann. Es
ist die richtige Stimmung des gebildeten
Oesterreichers der letzten zehn Jahre. Der
Ekel vor einem Parlament, das alle mensch¬
lichen und kulturellen Empfindungen verletzte,
der Abscheu vor dem simplen Handwerkszeug
der Berufspolitiker und Versammlungs¬
schwätzer, der Widerwille gegen die abge¬
standenen Phrasen der sterilen Parteien —
das alles ist in dieser Stimmung enthalten.
Oft sind es nur ganz kleine Bildchen, die
neben der Haupthandlung an uns vorüber¬
huschen, aber in ihnen ist der ganze Schmutz