I, Erzählende Schriften 23, Der Weg ins Freie. Roman (Die Entrüsteten), Seite 83

Ne
ins Frei
box 3/1
23. Der uiele
die verschieben
einkleidet in Fleisch und Blut und eine Fülle von Men¬“
i, der irgend¬
schen vor uns bewegt, von denen er jeden einzelnenpsh¬
ht, Selbstver¬
chologisch durchsichtig macht wie ein Insekt. Die unge¬
Barbarei, Re¬
mein reichhaltige Sammlung der Spielarten repräsen¬

tiert so ziemlich das ganze geistige Judentum Wiens. In
aufstellt, vorgehalten wird, jetzt spreche er selbf
verstorbene
den Salons und Literatur=Cafés, in Versammlungen, in
ein Antisemit, untwortet er: „Ein richtiger wohl
rkein Zurück¬
Mansardenzimmern, in den praklischen Berufen und in
Ein richtiger ist ja nur der, der sich im Grunde
kannte, und
den Bädern ist es gesammelt. Der reiche Fabrikant und
die guten Eigenschaften der Juden ärgert und
t minder un¬
seine mondäne Familie, die Snobs, die Dichter und
dazu tut, um ihre schlechten weiter zu entwickeln.
niwickelte mir
Künstler, die konservativen Patriarchen, die anarchistischen
in gewissem Sinne haben Sie schon recht. Ich g
er nicht mehr:
Stürmer, die Politiker, die Spintifierer und Dekaden¬
mir ja schließlich, auch Antiarier zu sein. Jede
ebaut werden.
ten, alle, alle, die Männer und die Frauen, finden sich
als solche ist natürlich wiverwärtig. Nur der ei
n in weitge¬
auf dem Stapelplatz des Romanes. Ich vermisse nur
vermag es zuweilen, durch persönliche Vorzüge m
Blumen un¬
einen nicht unwichtigen Typ: den Machthaber der Börse,
Widerlichkeiten seiner Rasse zu versöhnen ...
ten und Tru¬
den Plutokraten. Diese Menschen stehen großenteils auf
leicht ist das Ganze auch nur Egoismus. Es erl
tenlose Land.
Höhen, von denen sie eine große Weite übersehen. Und
einen eben, daß man immer wieder für die Fehler
nen nah ge¬
doch können sie insgesamt nicht aus sich heraus, nicht
anderen mitverantwortlich gemacht wird.“
verschwunden.
aus der Enge ihres in jedem Augenblicke lebendigen
So ist in dieser Darstellung, wie im Judentum
daß er über
Rassenproblems. Sie wenden, sie drehen es tausendfach,
und, wenn auch reduziert, in allen Menschheitskl.
u Resultaten
die einen in fressender Skepsis, die anderen in trotzigem
ein merkwürdiges Gemenge gegeben von ethift
Judentum,
Aposteltum. Ihre Gedanlen fliegen aus, um, wie Ballons
Kollektivismus und Individualismus, von inneren Wi
er, voll agi¬
captifs, zu dem Ankerplatze ihres Seins, dem Judentum,
sprüchen der Natur, die sich gleichzeitig in unabän.
es geistiges
unfehlbar zurückzukehren. Beobachter, Sezierer ihres
licher Neigung und unabänderlicher Abneigung des D
bst und in¬
Selbst, steigern sie, was sie überwinden möchten, zur
ters äußern. Nur eine Vermittlung gibt es zwisa
n Wissender,
höchsten Macht in ihrem Innern. Es ist ein Fels, an
den Gegensätzen: das Leid, das Mitleid. „Weil's
so viel holder
den sind sie geschmiedet. Verbitterung und Wehleidig¬
viel leiden müßt's,“ sagt Rosegger zu den Me
Fassen, zerlegt
keit überschatten sie. Sie, deren Empfinden in dem einen
schen, „verzeih' i enk all's.“.. Durch die kühle, g
liffenen, un¬
Punkte zu nervöser Sentimentalität entartet ist, ent¬
reifte Kunst des Schilderers zittert leise und ergreifer
lismus, seine
ziehen den übrigen Dingen wider Willen viel von ihrer
dieses Leid und Mitleid. Es beirrt ihn niemals. E
Gestalter wie
Teilnahme und drängen sich und anderen das Dämo¬
verführt ihn nicht einmal, der Sympathie dort rück
blendenden
nium ihrer Rasse auf, als ob die Menschheit einen an¬
haltlos Raum zu geben, wo der Dichter einmal un
dem er seine
deren Schmerz nicht zu heilen hätte.
dem harten Stein des Intellektualismus die frische Quell¬
ngen wieder
der Menschlichkeit sprudeln sieht. Eine wohltätige Per¬
*
sönlichkeit ist der alte, menschenfreundliche Arzt Dr.

S
1
K
Menschen außer stande setzt, etwas anderes in der Welt
7, Feulieton.
zu sehen, als immer und überall die Judenfrage. Aber
ihm erwidert der Freund: „Glauben Sie, daß es einen
Christen auf Erden gibt, und wäre es der edelste, gerech¬
Der Meg ins Freic.
teste und treueste, einen einzigen, der nicht in irgend
Von
Aoun
einem Augenblick des Grolls, des Unmurs, des Zornes
Hermann Kienzl in Berlin.
selbst gegen seinen besten Freund, gegen seine Geliebte,
gegen seine Frau, wenn sie Juden oder jüdischer Ab¬
II.
kunft waren, deren Judentum, innerlich wenigstens, aus¬
Allerdings ist Schnitzler, der im Roman einen
gespielt hätte?“
jungen arischen gebissermaßen als untrüg¬
Schnitzler begnügt sich nicht mit der Feststellung
liche Projektierscheibe für alle diese Ausstrahlungen be¬
der Tatsache; nicht mit einer einseitigen Anklage gegen
nützte, von der Wahrscheinlichkeit darin abgewichen, daß
den Antisefnitismus; nicht mit einer allzu bequemen
er (wie es Zola immer mit einem Medium für ein
Brandmarkung und Karilatur der banausischen und
soziales Milieu machte) die Mitteilsamkeit der in sich
kulturlosen Viehtreiber, die — wie die Erscheinungen
Verbundenen gerade auf den „Fremden“ konzentrierte;
des öffentlichen Lebens überhaupt — nur gelegentlich
er brauchte sichtlich den geduldigen Zuhörer konstruktiv,
sein durchgeistigtes Lächeln streift — so wenn er einen
um Monologe, Briefe, Tagebücher u. dgl. zu vermeiden;
Wiener Bezirksführer zitiert: „Wissenschaft ist das, was
und die Unbefangenheit des Verfassers forderte zu diesem
ein Jud' vom andern abschreibt.“ Der Dichter will
Zwecke einen neutralen Menschen, mit dessen Denken
Grund, der fester hält. Er erblickt nicht einen, er sieht
und Fühlen Schnitzler selbst sich zu identifizieren suchte.
zwei Verfolger des Judentums — und der zweite ist
Das erklärt zwar, aber rechtfertigt schwerlich die selt¬
das Judentum selbst. Was der Zionismus meint, indem
same Fügung, daß Georg von Wergenthin und sein
er ideologische Unmöglichkeiten propagiert, das entzieht
Greichen aus kleinem Bürgerhause sich ausschließlich im
sich keineswegs dem Dichtersoziologen. Er läßt an einer
jüdischen Kreise befinden. Übrigens nur dem Grade nach
Stelle sagen, daß ein Jude vor dem anderen nie wirk¬
ist es eine Übertreibung, daß Georgs Freunde ihm,
lichen Respekt habe. So wenig. als Gefangene in Feindes¬
als wäre er ihr Schicksalsgenosse, alle individuellen
land vor einander wirklichen Respekt hätten. Neid, Haß,
Leiden des Judentums enthüllen. Der Dichter berührt
ja manchmal Bewunderung, am Ende sogar Liebe könne
selbst dieses Übermaß. Sein Georg wundert sich wieder¬
zwischen ihnen existieren, Respekt niemals. Als aber
holt über den „Verfolgungswahnsinn“, der hochbegabte dem jüdischen Manne, der im Buche diese Behauptung