I, Erzählende Schriften 23, Der Weg ins Freie. Roman (Die Entrüsteten), Seite 85

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Artur Schnitzlers „Der Weg ins
Sle
Von Dr. Fritz Loehner.
Die einen nennen das neue Buch Schnitziers
einen Wiener Roman. Die anderen einen Juden¬
roman. Sie legen dem schönen, stillen Musenkind
ein Gewand an. Und dann klagen sie, wenn die
zarten Gliedmassen nicht in die schablone-starren
Falten passen. Sie können es nicht begreifen, dass
ein Dichter seine Gedanken nicht aus dem Zettel¬
kasten holt.
Der Dichter aber geht mit einem miilden,
traurigen Lächeln seinen einsamen Weg.
Als ich das parfümierte Planderchen des
-Raoul Auernheimer über den „Weg ins
Freie“ las, kämpfte in mir ein nagender Schmerz
mit aufbrausendem Zorn. Der Gedanke, dass dieses
feige, unaufrichtige Sich-Drücken, dieses absichtliche
Missverstehen, dieses näseinde Begackern von
dem offlziellen Wortführer des modernen Ge¬
schmackes ausginge und für die breite Ober¬
schichte der deutsch-österreichischen Intelligenz
die Elle des Urteiles wäre, war mir unerträglich.
Ich hörte fast den guten Dresdner Strumpfhändler
vor der Sixtinischen Madonna sprechen: Wirklich,
ganz gut!
box 3/1
Und als in der „Arbeiter-Zeitung“ der 1 nach vielen süssen Tagen keuschen Näherns hin;
„talentierte“ Stefan Grossmann seinen
und die Liebenden schlürfen viele Stunden
heiligen, kosmopolitischen Geiler über des
lichen Lebensglückes auf den dunkelscha
Dichters reines Kunstwerk ausgoss, weil
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Bergen, in Cem träumer
mmer, in
Schnitzler gewagt hat, seine jüdische Seele und
Orgelklang von derbe
Kirch
sein liebevolles Erkennen des eigenen Volkes wie
einen dichten Schneev
dämpst
ein erwärmendes Feuer durch das Werk leuchten
hallt, in den sonnigen
Südens,
zu lassen, da erschaute ich mit entsetztem Auge 1
der süsse Hauch der
wvellt.
den trostlosen Tielsland dieser kulturgetünchten
Annas Leib saugt den Rei
Lebens
Gilde vom progran matischen Idealismus.
In einem friedlichen Städtel
ei Wien
Angrillspunkte hatten sie alle. Es gibt kaum
ein wunderschönes, tôtes Kind zur W
ein bedeutsameres Werk der jüngsten Zeit, in
nun lösen sich die heimlichen Seelenfä
welchem der Schöpfer so souverän sich über alle
zuckendem Schmerz aber unaufhaltsam, ür
Forderungen des Lesepöbels hinweggeselzt hätte.
geht über die Leiche seiner Liebe unde das
Kein dämonisches Weib führt den erblassenden
seines wunderschönen Kindes den Weg
Freie.
Leser durch den Sumpf, kein Weltdetektiv ent¬
hüllt das Verbrechen der Verbrechen, keine Hlam¬
Das ist alles. Der ganze Inhalt eines gros
mende Anklage gegen die morsche Gesellschafts¬
ergreifenden Werkes, das uns in Herz undiSe
ordnung erquickt den satten Grosshändler — wie
verweilt, unsere Gedanken aus dem grauen
ein ruhiger, träumerischer Waldbach strömt die
tag in träumerische Fernen hebt; das wa
Handlung durch den dämmernden Abendfrieden
blühende, verwelkende, herrliche und tieftraurig
abgeklärter Kunst dahin.
Leben, wie es sich in der ruhigen, klaren Seele
eines Dichters spiegelt.
Sind lauter Menschen mit ein wenig Güte,
ein wenig Schlechtigkeit, mit mehr oder weniger
Und ringsumher um die zwei jungen, schönen
Geist und Kultur, die nebeneinander und fast gar
Menschenkinder wandeln gleich einem seltsamen
nie gegeneinander gehen — wie im wirklichen
Orchester-Ornament um eine feine, innig-tiefe Me¬
Leben; wo bleibt der „Roman“:
lodie, ein Dutzend Menschen, die einander merk¬
Herr Georg Freiherr von Wergenthin liebt
würdig ähnlich sehen. Männer und Weiber,
die milde Anna Rosner, eine schlanke Gesangs¬
Mädchen und Jünglinge. Bis auf die Familie
lehrerin aus bürgerlich-arischem Haus; sie gibt
Rosner, die nur mit leichten Konturstrichen ge¬
sich dem vornehmen, schönheit-trunkenen Kavalier I zeichnet auf der Bildlläche erscheint, mehr aus¬