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einer Revue erschienen war, lag bereits Mitte Juli die achte
Dame Snobbismus ist.) Ob wirklich die ganze jüdische vor¬
Auflage vor. Bei einem derartigen Erfolge müßte sich der
nehme weibliche Gesellschaft Wiens ihren eigentlichen Lebens¬
Kritiker zum Schweigen verurteilen, wenn er sich wirklich
beruf in der Liebelei findet, kann und will ich nicht unter¬
einbildete, durch seine Empfehlung einem Buche zu weiterer
suchen. Nur das eine muß konstatiert werden, daß keine ein¬
Verbreitung zu verhelfen oder durch seinen Tadel vor dem
zige dieser jüdischen Frauen, trotz aller Lockungen, die sie
Ankauf zu warnen. Der echte Kritiker, sofern er nicht berufs¬
durch Schönheit, Eleganz, Geistesbildung, leidenschaftliches
mäßiger Journalist ist, hat indes von seiner Aufgabe eine
Temperament ausüben, irgend etwas Sympathisches besitzt, die
andere Vorstellung: er macht keinen Anspruch darauf, das
Jungfrauen ebensowenig wie die Frauen. Man müßte denn
buchhändlerische Geschick eines Buches zu bestimmen, sondern
die alte Frau Golowski ausnehmen, die, eine ungemein tätige,
sieht seinen Beruf darin, die literarische Bedeutung des
stets hilfsbereite Frau, auch Anna Rosner in ihrer schweren
Werkes zu bewerten.
Zeit beisteht, und Menschenpflicht übt aus selbstverständlicher
Der Wert dieser Schnitzlerschen Studie — denn so möchte
Güte, ohne Dank und Lohn zu begehren.
man eher das neue Werk bezeichnen als einen Roman
ist
Diesem einen Bekenntnis muß man das andere hinzu¬
in einer Beziehung, nämlich in der Kulturschilderung, ziemlich
fügen: auch unter den jüdischen Männern. ist höchstens einer,
groß. Freilich eine Darstellung des gesamten Wiener Lebens
wiederum ein alter, der eine wirklich Sympathie erregt: nicht
kann man es nicht nennen, denn weder das arbeitende Wien,
der alte Golowski, denn er #eie Art Trottel, der
die Welt der Handwerker, noch das geistig schaffende, die
ein müßiges und verfehltes Leben durch eine bejammerns¬
Gelehrten, noch die Welt der Diplomatie tritt irgendwo her¬
werte Kaffeehaus=Existenz krönt, auch nicht der alte
vor. Mit wenigen Ausnahmen sind es vielmehr die
Ehrenberg, trotz seiner unennüdlechen, von großem Er¬
Genießenden, die uns hier vorgeführt werden: Aristokraten,
folg gekrönten geschäftlichen Arbeit, sro## seiner Wohltätig¬
von denen einige abgeschlossen für sich leven, andere die
keit, trotz seiner Einfachheit, die er ebenso beibehält,
Gesellschaft, das heißt die jüdische, gelegentlich besuchen, ein
wie jüdische Unmanier und Sprechweise in den seinen Salons
einziger, Georg von Werkenthin, ausschließlich in jüdischen
seiner Gattin und trotz der wohlangebrachten Ohrfeige, die er
Kreisen verkehrt. Neben den Aristokraten die Juden: reiche
seinem christelnden Söhnlein appiziert, da er diesen überrascht,
und ärmere, beschäftigte Aerzte, Politiker, Schriftsteller; freilich
wie er vor einer Kirche ein Krenz schlägt. Vielmehr ist es
meist solche, die es nicht nötig haben, Zionisten verschiedenster
ein anderer Alter: ein trefflicher Arzt, Dr. Stauber. Ein
Färbung, jüdische Sozialdemokraten und Genossinnen.
Mediziner, der in seiner jahrzehntelangen Praxis die Mensch¬
Das Eigentümliche an dem Buche ist nun, daß es weder
lichkeit nicht verloren hat, milde in seinem Urteil, human in
ein Aristokraten= noch ein Judenroman ist, obwohl es in
seinem Benehmen, ehrenwert un seinen Anschauungen,
beiden Kreisen spielt und noch weniger eine Mischung beider
charaktervoll in seinem Tun geblieben ist. Aber von den
Arten. Das Romanhafte — denn man hat sich ja allmählich
jüngeren ist auch nicht ein einziger, der uns Behagen ein¬
daran gewöhnt, eine Liebesgeschichte als das Hauptingrediens
flößt. Gewiß am wenigsten der passive Held, das Früchtlein
oder als den eigentlichen Inhalt des Romans anzusehen —
mit der Ohrfeige: Oskar Ehrenberg. Ich habe für diese
ist ein Liebesverhältnis des bereits genannten Aristokraten mit
Kavuliere nicht viel übrig, mit ihren gebügelten Hosen, ihren
Anna Rosner, der schönen Tochter einer kleinbürgerlichen
wohlgepflegten Händen und Schnurrbärten, gutsitzenden
Familie, die, wenn auch nicht durch und durch antisemitisch,
Kragen und den feinen, natürlich selbstgebundenen Krawatten.
so doch in dem Sohne einen Rekruten zur antisemitisch¬
Ich gönne Herrn Oskar und anderen neidlos ihre Erfolge
alldeutschen Armee liefert. Dieses Liebesverhältnis bleibt nicht
bei Weibern und selbst eine Reise in Gesellschaft eines Prinzen,
ohne Folgen, die Liebenden unternehmen eine Reise nach
und habe nicht einmal Mitleid mit seinem Selbstmordversuch,
Italien, das Mädchen verbringt seine schwerste Zeit in einem
den er als Oberleutnant nach dem empfangenen Backenstreich
Vororte Wiens und wird dort von einem toten Kinde ent¬
unternehmen muß, um sich bei seinen Kameraden zu rehabili¬
bunden. Georg, ein musikalischer Dilettant, der das Zeug in
tieren.
sich spürt, ein großer Komponist zu werden, nimmt die Stelle
Auch Leo Golowski vermag unsere Neigung nicht zu er¬
eines Hilfskapellmeisters in Detmold an und reist nach kurzem
ringen. Er ist ein fähiger Mensch, aber ein Halber, von
Wiedererscheinen in Wien nach der Stätte seiner künftigen
allem etwas und im ganzen nichts. Er hat manches ver¬
Wirksamkeit, nachdem er sich freundschaftlich von der Geliebten
sucht, aber nicht zum Abschluß gebracht, ist unfertig in seiner
getrennt hat, die ihm innerlich längst schon fremd ge¬
geistigen Entwicklung, unklar in seinen politischen und reli¬
worden war.
giösen Anschauungen. Er tut uns leid, wenn er während
Während Georg mit dieser Christin ein folgenreiches Ver¬
seiner militärischen Dienstzeit von seinem Leutnant, der nichts
hältnis hat, liebelt er mit allen möglichen Jüdinnen: Sissy
weniger als ein Antisemit von Beruf ist, geschunden wird,
Wyner (sprich Weiner, denn diese Wiener Juden waren in
aber er klimmt nicht die Stufen zu dem Heroenthron empor,
England), Else Ehrenberg, Frau Oberberger, Therese Go¬
wenn er, kaum freigeworden, seinen Plagegeist insultiert und
lowski. Man muß nun nicht denken, daß alle diese jüdischen
in einem Pistolenduell über den Haufen schießt; ja auch dann
Damen gar nichts anderes zu tun haben, als Männern nach¬
bleibt die innige Befriedigung über sein Schicksal aus, wenn
zujagen. Bei den meisten scheint es freilich so. Ihr Leben
wir vernehmen, daß er nach einer kurzen Untersuchungshaft
vergeht in gesellschaftlichem Treiben. Nur die letztgenannte,
durch einen kaiserlichen Gnadenakt völlig freigesprochen wird.
die in beschränkten Verhältnissen lebt, während die übrigen
Aber auch Berthold Stauber, derjenige, den der Dichter mit
reichen, mindestens wohlhabenden Häusern entstammen, hat
der größten Sympathie schildert, soweit ihm diese Gabe über¬
einen Beruf. Sie ist eifrige Sozialdemokratin, die für ihre
haupt eigen ist, besitzt weder die Eigenschaften, die den Helden
Partei schreibt, redet, handelt, aber nichtsdestoweniger gelegent¬
machen, noch die notwendige Kraft, die Neigung erzielt. Er
lich mit dem oder jenem anbandelt, ja sogar einmal mit
ist immer ein Zweiter, der einem anderen den Vorrang läßt,
einem ungarischen Adligen eine mehrwöchentliche Reise nach
in der Lie in der Politik, in der Wissenschaft. So sehr
Italien unternimmt. (Letzteres halte ich für psychologisch
uns sein wi enschaftlicher Eifer anmutet, der ihn nach Paris
unmöglich, wenn nicht die ganze Sozialdemokratie der jungen zu Pasteur treibt, so wird es uns nicht recht klar, warum er
einer Revue erschienen war, lag bereits Mitte Juli die achte
Dame Snobbismus ist.) Ob wirklich die ganze jüdische vor¬
Auflage vor. Bei einem derartigen Erfolge müßte sich der
nehme weibliche Gesellschaft Wiens ihren eigentlichen Lebens¬
Kritiker zum Schweigen verurteilen, wenn er sich wirklich
beruf in der Liebelei findet, kann und will ich nicht unter¬
einbildete, durch seine Empfehlung einem Buche zu weiterer
suchen. Nur das eine muß konstatiert werden, daß keine ein¬
Verbreitung zu verhelfen oder durch seinen Tadel vor dem
zige dieser jüdischen Frauen, trotz aller Lockungen, die sie
Ankauf zu warnen. Der echte Kritiker, sofern er nicht berufs¬
durch Schönheit, Eleganz, Geistesbildung, leidenschaftliches
mäßiger Journalist ist, hat indes von seiner Aufgabe eine
Temperament ausüben, irgend etwas Sympathisches besitzt, die
andere Vorstellung: er macht keinen Anspruch darauf, das
Jungfrauen ebensowenig wie die Frauen. Man müßte denn
buchhändlerische Geschick eines Buches zu bestimmen, sondern
die alte Frau Golowski ausnehmen, die, eine ungemein tätige,
sieht seinen Beruf darin, die literarische Bedeutung des
stets hilfsbereite Frau, auch Anna Rosner in ihrer schweren
Werkes zu bewerten.
Zeit beisteht, und Menschenpflicht übt aus selbstverständlicher
Der Wert dieser Schnitzlerschen Studie — denn so möchte
Güte, ohne Dank und Lohn zu begehren.
man eher das neue Werk bezeichnen als einen Roman
ist
Diesem einen Bekenntnis muß man das andere hinzu¬
in einer Beziehung, nämlich in der Kulturschilderung, ziemlich
fügen: auch unter den jüdischen Männern. ist höchstens einer,
groß. Freilich eine Darstellung des gesamten Wiener Lebens
wiederum ein alter, der eine wirklich Sympathie erregt: nicht
kann man es nicht nennen, denn weder das arbeitende Wien,
der alte Golowski, denn er #eie Art Trottel, der
die Welt der Handwerker, noch das geistig schaffende, die
ein müßiges und verfehltes Leben durch eine bejammerns¬
Gelehrten, noch die Welt der Diplomatie tritt irgendwo her¬
werte Kaffeehaus=Existenz krönt, auch nicht der alte
vor. Mit wenigen Ausnahmen sind es vielmehr die
Ehrenberg, trotz seiner unennüdlechen, von großem Er¬
Genießenden, die uns hier vorgeführt werden: Aristokraten,
folg gekrönten geschäftlichen Arbeit, sro## seiner Wohltätig¬
von denen einige abgeschlossen für sich leven, andere die
keit, trotz seiner Einfachheit, die er ebenso beibehält,
Gesellschaft, das heißt die jüdische, gelegentlich besuchen, ein
wie jüdische Unmanier und Sprechweise in den seinen Salons
einziger, Georg von Werkenthin, ausschließlich in jüdischen
seiner Gattin und trotz der wohlangebrachten Ohrfeige, die er
Kreisen verkehrt. Neben den Aristokraten die Juden: reiche
seinem christelnden Söhnlein appiziert, da er diesen überrascht,
und ärmere, beschäftigte Aerzte, Politiker, Schriftsteller; freilich
wie er vor einer Kirche ein Krenz schlägt. Vielmehr ist es
meist solche, die es nicht nötig haben, Zionisten verschiedenster
ein anderer Alter: ein trefflicher Arzt, Dr. Stauber. Ein
Färbung, jüdische Sozialdemokraten und Genossinnen.
Mediziner, der in seiner jahrzehntelangen Praxis die Mensch¬
Das Eigentümliche an dem Buche ist nun, daß es weder
lichkeit nicht verloren hat, milde in seinem Urteil, human in
ein Aristokraten= noch ein Judenroman ist, obwohl es in
seinem Benehmen, ehrenwert un seinen Anschauungen,
beiden Kreisen spielt und noch weniger eine Mischung beider
charaktervoll in seinem Tun geblieben ist. Aber von den
Arten. Das Romanhafte — denn man hat sich ja allmählich
jüngeren ist auch nicht ein einziger, der uns Behagen ein¬
daran gewöhnt, eine Liebesgeschichte als das Hauptingrediens
flößt. Gewiß am wenigsten der passive Held, das Früchtlein
oder als den eigentlichen Inhalt des Romans anzusehen —
mit der Ohrfeige: Oskar Ehrenberg. Ich habe für diese
ist ein Liebesverhältnis des bereits genannten Aristokraten mit
Kavuliere nicht viel übrig, mit ihren gebügelten Hosen, ihren
Anna Rosner, der schönen Tochter einer kleinbürgerlichen
wohlgepflegten Händen und Schnurrbärten, gutsitzenden
Familie, die, wenn auch nicht durch und durch antisemitisch,
Kragen und den feinen, natürlich selbstgebundenen Krawatten.
so doch in dem Sohne einen Rekruten zur antisemitisch¬
Ich gönne Herrn Oskar und anderen neidlos ihre Erfolge
alldeutschen Armee liefert. Dieses Liebesverhältnis bleibt nicht
bei Weibern und selbst eine Reise in Gesellschaft eines Prinzen,
ohne Folgen, die Liebenden unternehmen eine Reise nach
und habe nicht einmal Mitleid mit seinem Selbstmordversuch,
Italien, das Mädchen verbringt seine schwerste Zeit in einem
den er als Oberleutnant nach dem empfangenen Backenstreich
Vororte Wiens und wird dort von einem toten Kinde ent¬
unternehmen muß, um sich bei seinen Kameraden zu rehabili¬
bunden. Georg, ein musikalischer Dilettant, der das Zeug in
tieren.
sich spürt, ein großer Komponist zu werden, nimmt die Stelle
Auch Leo Golowski vermag unsere Neigung nicht zu er¬
eines Hilfskapellmeisters in Detmold an und reist nach kurzem
ringen. Er ist ein fähiger Mensch, aber ein Halber, von
Wiedererscheinen in Wien nach der Stätte seiner künftigen
allem etwas und im ganzen nichts. Er hat manches ver¬
Wirksamkeit, nachdem er sich freundschaftlich von der Geliebten
sucht, aber nicht zum Abschluß gebracht, ist unfertig in seiner
getrennt hat, die ihm innerlich längst schon fremd ge¬
geistigen Entwicklung, unklar in seinen politischen und reli¬
worden war.
giösen Anschauungen. Er tut uns leid, wenn er während
Während Georg mit dieser Christin ein folgenreiches Ver¬
seiner militärischen Dienstzeit von seinem Leutnant, der nichts
hältnis hat, liebelt er mit allen möglichen Jüdinnen: Sissy
weniger als ein Antisemit von Beruf ist, geschunden wird,
Wyner (sprich Weiner, denn diese Wiener Juden waren in
aber er klimmt nicht die Stufen zu dem Heroenthron empor,
England), Else Ehrenberg, Frau Oberberger, Therese Go¬
wenn er, kaum freigeworden, seinen Plagegeist insultiert und
lowski. Man muß nun nicht denken, daß alle diese jüdischen
in einem Pistolenduell über den Haufen schießt; ja auch dann
Damen gar nichts anderes zu tun haben, als Männern nach¬
bleibt die innige Befriedigung über sein Schicksal aus, wenn
zujagen. Bei den meisten scheint es freilich so. Ihr Leben
wir vernehmen, daß er nach einer kurzen Untersuchungshaft
vergeht in gesellschaftlichem Treiben. Nur die letztgenannte,
durch einen kaiserlichen Gnadenakt völlig freigesprochen wird.
die in beschränkten Verhältnissen lebt, während die übrigen
Aber auch Berthold Stauber, derjenige, den der Dichter mit
reichen, mindestens wohlhabenden Häusern entstammen, hat
der größten Sympathie schildert, soweit ihm diese Gabe über¬
einen Beruf. Sie ist eifrige Sozialdemokratin, die für ihre
haupt eigen ist, besitzt weder die Eigenschaften, die den Helden
Partei schreibt, redet, handelt, aber nichtsdestoweniger gelegent¬
machen, noch die notwendige Kraft, die Neigung erzielt. Er
lich mit dem oder jenem anbandelt, ja sogar einmal mit
ist immer ein Zweiter, der einem anderen den Vorrang läßt,
einem ungarischen Adligen eine mehrwöchentliche Reise nach
in der Lie in der Politik, in der Wissenschaft. So sehr
Italien unternimmt. (Letzteres halte ich für psychologisch
uns sein wi enschaftlicher Eifer anmutet, der ihn nach Paris
unmöglich, wenn nicht die ganze Sozialdemokratie der jungen zu Pasteur treibt, so wird es uns nicht recht klar, warum er