ins Frei
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23. Der Ne¬
. A. — K enen enenenene.
gemeinverständlicher Vorbereitung des geistigen
Diebstahls, sowie von soziologischen Ab¬
schweifungen und Episodischem ausgefüllt. Das
erste Buch ist weit geschlossener und ent¬
hält, namentlich am Anfang, wunderschöne Stim¬
mungen. Man möchte eine Zusammendrängung des
ganzen zweiten Bandes auf ein Mindestmaß wünschen,
das in Gestalt von etwa zwei Kapiteln den Abschluß
des ersten bilden könnte. An Gedrängtheit fehlt es
vielfach auch dem ersten Teil. Das naturalistische
Wesen, das statt künstlerischer Darstellung bloße
Schilderung gibt, ist in Johannes Schlaf noch
nicht überwunden, obwohl die Form nicht
eigentlich naturalistisch, stellenweise sogar ganz
subjektiv gehalten ist. Das hängt mit dem
zweiten Grundzug von Schlafs Natur zusammen,
mit seinem allseligen Lyrismus, der nur scheinbar
einen schroffen Gegensatz bildet zur peinlich ehrlichen
Wiedergabe der nahen Wirklichkeit durch den Natu¬
ralismus. Beide Triebe bezeugen ja im Grunde
dieselbe Liebe zur Wahrheit und zur Umwelt.
Naturalistische Erbstücke sind noch die phonetisch
genaue Wiedergabe höchst zerhackter Sprechweise und
die (wenigen) nicht frivolen, aber überflüssigen
und darum taktwidrig angewandten, rücksichtslos¬
unschamhafen Ausdrücke aus dem sexuellen Gebiet.
In der (teilweise allerdings allzu direkten)
Charakteristik, in den Kleinwelt= und Natur¬
schilderungen, in der persönlichen Wärme der
ganzen Erzählung liegt trotz ollen Mängeln
soviel dichterischer Reiz, daß Schlafs „Prinz“ beim
reiferen Teil des Lesertums allen Anteil verdient.
Kapitel wie die Flucht aus der Windmühle oder
etwa der Aufenthalt in der Charits gehören zum
Besten, das Schlaf je geschrieben hat.
Eine Vereinigung von gesundem Erzählertum
und lyrischer Stimmungmalerei stellt Georg Engels
neuester Roman vor: „Der Reiter auf
dem Regenbogen (Vita, Deutsches
Verlagshaus, Berlin=Charlottenburg). Der Held
ist ein jugendlicher Träumer dessen kurzes
Erdendasein in beständigem Zwiespalt zwischen einem
reichen Innnenleben und einer drückend engen Um¬
gebung verläuft. Gust ist der lebensungeschickte
Sohn einer armen Witwe in einer Kleinstadt an der
Waterkant. In seinen Träumen scheut er vor keiner
Großtat zurück.
... Wer herrschen will über beide Welten,
Dem müssen die tollsten Dinge gelten.
Der wird über das Meer zu Fuß hinschreiten
Und auf einer Libelle zum Himmel reiten:“
So heißts in einem eingeflochtenen längeren Gedicht
von etwas zu freiem Rhythmus. Gusts äußerer
Jugendlauf ist um so dürftiger, aber ehrenvoll. Um kein
Opfer seiner Überzeugung bringen zu müssen, verläßt er
das Gymnasium, ohne die Abgangsprüsung fertig zu er¬
ledigen. Eine verehrungsvolle Jugendliebe zu einem
vornehmen Mädchen und eine tiefwurzelnde Reinheit
schützen ihn vor allem Niederen. Zu guter Letzt, ehe er
an einem raschen Leiden stirbt, rettet er ein Fischer¬
dorf, in dessen Gewässern die Fischzüge ausbleiben,
vor der Verzweiflung dadurch, daß er die Leute
auf unsere Kolonie in Südafrika mit ihrem fischreichen
Strand hinweist.
Das wird mit sehr viel Liebenswürdigkeit vor¬
getragen. Und mit Unrecht gilt Liebenswürdigkeit
öfters in deutschen Landen als Untugend. Eher
könnte man den liebenswürdigen Stil hier zu un¬
rastig, zu lebhaft mitagierend finden. Die Wohltat
der epischen Ruhe stellt sich nicht leicht ein, wo der
Dichter die wechselnden Empfindungen zu lebhaft mit¬
macht und ausspricht. Aber in seiner Art ist dieses
Buch ganz einheitlich, und seine Art wirkt als natür¬
licher Ausfluß eines warmherzigen Temperaments.
Es ist wirkliche Tugend darin. Die Land= und See¬
stimmungen von der norddeutschen Küste sind, wie
in früheren Werken Enaels mit Treue in kräftigen
856
welt erkennt und wie er mit dem lebenswidrigen
Unwesen kämpfen muß, das die versteinerte Gewohn¬
heit über dem Ursprünglichen angesetzt hat.
Walter Bloems Referendar steht dem juristischen
Formelwesen so jugendlich fremd gegenüber, daß
man nicht ohne weiteres begreift, wie derselbe Jüng¬
ling mit dem starken persönlichen Gefühlsleben die
gestrenge Korpsdisziplin erfolgreich überwunden habe.
Es fehlt da eine Andeutung früherer Hemmungen.
Im übrigen ist er ein prächtiger Bursch, der in seinem
eindringlichen Bestreben, Leben und Rechtspflege mit¬
einander zu verbinden, gewiß manches Ersprie߬
liche leisten wird. Und wenn es auch nicht voll¬
kommen überzeugend motiviert werden kann, daß
die Braut, die er sich erringt, zuvor dem trockensten
Schablonenjuristen ihre Hand zugesagt hatte, so wird
doch das Mädchen, das sich so schön entfaltet, ihm
allerseits herzlichst gegönnt werden.
Der Leser gewinnt bei der Geschichte spielend
die nähere Bekanntschaft mit bedeutsamen Typen
des Richtertums und mit sehr interessanten
in denen das Juristenrecht dem „ge¬
Fällen,
meinen“ Rechtsempfinden Hohn spricht; heilsame
Anregungen mögen daraus entspringen. Außerdem
gibt Bloem flotte Freskoschilderungen seiner nieder¬
rheinisch=wuppertalischen Heimat mit ihrem ab¬
sterbenden Kleinschmiedewesen und ihrer blühenden
Industrie. Den „Paragraphen=Lehrling“ werden die
Juristen und alle, die ihnen je näher treten können,
mit Nutzen kennen lernen.
„Der Wegins Freie“ (Verlag S. Fischer,
Berlin) scheint der erste Roman Arthur Schnitzlers
zu sein. Der junge Mann, der hier im Vordergrund
steht, ist ein Wiener Adeliger und Tonkünstler, genauer:
ein Weltmann mit künstlerischen Interessen und einiger
Begabung für die Tonkunst. Im Laufe der Er¬
zählung sehen wir ihn die Musik auch als Beruf er¬
greifen; er erlangt eine Stellung als Kapellmeister
am Hoftheater zu Detmold und kann noch einmal
in Wien Intendant werden. Mehr Raum als diese
Seite seines Wandels beanspruchen jedoch sein
Liebesleben und seine Berührungen mit der Ge¬
selligkeit.
Eine Liebschaft mit einem feiner organisierten und
gleichfalls musikalisch angelegten Wiener Mädchen
19
nimmt ihn zeitweilig einstlich gefangen, aber eben
doch nur zeitweilig. So sehr ihn die Geburt eines
toten Kindes erschüttert, so sympathisch die charakter¬
volle Geliebte ihm bleibt, seine Natur entzieht sich
dennoch dieser und womöglich jeder Bindung. So
gehen die beiden geräuschlos auseinander.
Die Geselligkeit des nun ästhetischen jungen
Freiherrn gibt dem Dichter Spielraum, das zu be¬
handeln, was ihm offenbar als eigentlicher Gegen¬
stand der Arbeit am Herzen lag: das Wiener
Judentum von heute mit seinen Freund= und
Feindschaften, Anschauungen, Stimmungen und
Aussichten.
Schnitzler bemüht sich dabei, durchaus gerecht zu
sein. Daß trotzdem hie und da sein Herzensanteil
am Schicksal seiner Stammesgenossen unmittel¬
baren Ausdruck findet, ist begreiflich und be¬
rechtigt. Eine klare Lösung der gerade in Wien
so brennenden Frage, wie die Isolierung des Juden¬
tums zu überwinden sei, kann auch er nicht geben.
Dafür liefert er ein offenbar echtes und sehr fesseln¬
des Bild der gegenwärtigen Verhältnisse. Er zeigt
den patriarchalischen und den modern=opportunistischen,
den verbitterten und den tapferen, den fanatisch¬
politischen und den rein künstlerischen, den österreichisch
fühlenden und den zionistischen Juden.
über diesen Schilderungen wird natürlich das
übrige Wiener Leben, das Schnitzler so zärtlich zu
spiegeln weiß, nicht versäumt. Im ganzen zeigt der
Roman wieder einmal, daß die großen Kunstformen
seiner Wesensanlage nicht ganz entsprechen. Er ist
ein Meister des Einakters und der kleinen Novelle,
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23. Der Ne¬
. A. — K enen enenenene.
gemeinverständlicher Vorbereitung des geistigen
Diebstahls, sowie von soziologischen Ab¬
schweifungen und Episodischem ausgefüllt. Das
erste Buch ist weit geschlossener und ent¬
hält, namentlich am Anfang, wunderschöne Stim¬
mungen. Man möchte eine Zusammendrängung des
ganzen zweiten Bandes auf ein Mindestmaß wünschen,
das in Gestalt von etwa zwei Kapiteln den Abschluß
des ersten bilden könnte. An Gedrängtheit fehlt es
vielfach auch dem ersten Teil. Das naturalistische
Wesen, das statt künstlerischer Darstellung bloße
Schilderung gibt, ist in Johannes Schlaf noch
nicht überwunden, obwohl die Form nicht
eigentlich naturalistisch, stellenweise sogar ganz
subjektiv gehalten ist. Das hängt mit dem
zweiten Grundzug von Schlafs Natur zusammen,
mit seinem allseligen Lyrismus, der nur scheinbar
einen schroffen Gegensatz bildet zur peinlich ehrlichen
Wiedergabe der nahen Wirklichkeit durch den Natu¬
ralismus. Beide Triebe bezeugen ja im Grunde
dieselbe Liebe zur Wahrheit und zur Umwelt.
Naturalistische Erbstücke sind noch die phonetisch
genaue Wiedergabe höchst zerhackter Sprechweise und
die (wenigen) nicht frivolen, aber überflüssigen
und darum taktwidrig angewandten, rücksichtslos¬
unschamhafen Ausdrücke aus dem sexuellen Gebiet.
In der (teilweise allerdings allzu direkten)
Charakteristik, in den Kleinwelt= und Natur¬
schilderungen, in der persönlichen Wärme der
ganzen Erzählung liegt trotz ollen Mängeln
soviel dichterischer Reiz, daß Schlafs „Prinz“ beim
reiferen Teil des Lesertums allen Anteil verdient.
Kapitel wie die Flucht aus der Windmühle oder
etwa der Aufenthalt in der Charits gehören zum
Besten, das Schlaf je geschrieben hat.
Eine Vereinigung von gesundem Erzählertum
und lyrischer Stimmungmalerei stellt Georg Engels
neuester Roman vor: „Der Reiter auf
dem Regenbogen (Vita, Deutsches
Verlagshaus, Berlin=Charlottenburg). Der Held
ist ein jugendlicher Träumer dessen kurzes
Erdendasein in beständigem Zwiespalt zwischen einem
reichen Innnenleben und einer drückend engen Um¬
gebung verläuft. Gust ist der lebensungeschickte
Sohn einer armen Witwe in einer Kleinstadt an der
Waterkant. In seinen Träumen scheut er vor keiner
Großtat zurück.
... Wer herrschen will über beide Welten,
Dem müssen die tollsten Dinge gelten.
Der wird über das Meer zu Fuß hinschreiten
Und auf einer Libelle zum Himmel reiten:“
So heißts in einem eingeflochtenen längeren Gedicht
von etwas zu freiem Rhythmus. Gusts äußerer
Jugendlauf ist um so dürftiger, aber ehrenvoll. Um kein
Opfer seiner Überzeugung bringen zu müssen, verläßt er
das Gymnasium, ohne die Abgangsprüsung fertig zu er¬
ledigen. Eine verehrungsvolle Jugendliebe zu einem
vornehmen Mädchen und eine tiefwurzelnde Reinheit
schützen ihn vor allem Niederen. Zu guter Letzt, ehe er
an einem raschen Leiden stirbt, rettet er ein Fischer¬
dorf, in dessen Gewässern die Fischzüge ausbleiben,
vor der Verzweiflung dadurch, daß er die Leute
auf unsere Kolonie in Südafrika mit ihrem fischreichen
Strand hinweist.
Das wird mit sehr viel Liebenswürdigkeit vor¬
getragen. Und mit Unrecht gilt Liebenswürdigkeit
öfters in deutschen Landen als Untugend. Eher
könnte man den liebenswürdigen Stil hier zu un¬
rastig, zu lebhaft mitagierend finden. Die Wohltat
der epischen Ruhe stellt sich nicht leicht ein, wo der
Dichter die wechselnden Empfindungen zu lebhaft mit¬
macht und ausspricht. Aber in seiner Art ist dieses
Buch ganz einheitlich, und seine Art wirkt als natür¬
licher Ausfluß eines warmherzigen Temperaments.
Es ist wirkliche Tugend darin. Die Land= und See¬
stimmungen von der norddeutschen Küste sind, wie
in früheren Werken Enaels mit Treue in kräftigen
856
welt erkennt und wie er mit dem lebenswidrigen
Unwesen kämpfen muß, das die versteinerte Gewohn¬
heit über dem Ursprünglichen angesetzt hat.
Walter Bloems Referendar steht dem juristischen
Formelwesen so jugendlich fremd gegenüber, daß
man nicht ohne weiteres begreift, wie derselbe Jüng¬
ling mit dem starken persönlichen Gefühlsleben die
gestrenge Korpsdisziplin erfolgreich überwunden habe.
Es fehlt da eine Andeutung früherer Hemmungen.
Im übrigen ist er ein prächtiger Bursch, der in seinem
eindringlichen Bestreben, Leben und Rechtspflege mit¬
einander zu verbinden, gewiß manches Ersprie߬
liche leisten wird. Und wenn es auch nicht voll¬
kommen überzeugend motiviert werden kann, daß
die Braut, die er sich erringt, zuvor dem trockensten
Schablonenjuristen ihre Hand zugesagt hatte, so wird
doch das Mädchen, das sich so schön entfaltet, ihm
allerseits herzlichst gegönnt werden.
Der Leser gewinnt bei der Geschichte spielend
die nähere Bekanntschaft mit bedeutsamen Typen
des Richtertums und mit sehr interessanten
in denen das Juristenrecht dem „ge¬
Fällen,
meinen“ Rechtsempfinden Hohn spricht; heilsame
Anregungen mögen daraus entspringen. Außerdem
gibt Bloem flotte Freskoschilderungen seiner nieder¬
rheinisch=wuppertalischen Heimat mit ihrem ab¬
sterbenden Kleinschmiedewesen und ihrer blühenden
Industrie. Den „Paragraphen=Lehrling“ werden die
Juristen und alle, die ihnen je näher treten können,
mit Nutzen kennen lernen.
„Der Wegins Freie“ (Verlag S. Fischer,
Berlin) scheint der erste Roman Arthur Schnitzlers
zu sein. Der junge Mann, der hier im Vordergrund
steht, ist ein Wiener Adeliger und Tonkünstler, genauer:
ein Weltmann mit künstlerischen Interessen und einiger
Begabung für die Tonkunst. Im Laufe der Er¬
zählung sehen wir ihn die Musik auch als Beruf er¬
greifen; er erlangt eine Stellung als Kapellmeister
am Hoftheater zu Detmold und kann noch einmal
in Wien Intendant werden. Mehr Raum als diese
Seite seines Wandels beanspruchen jedoch sein
Liebesleben und seine Berührungen mit der Ge¬
selligkeit.
Eine Liebschaft mit einem feiner organisierten und
gleichfalls musikalisch angelegten Wiener Mädchen
19
nimmt ihn zeitweilig einstlich gefangen, aber eben
doch nur zeitweilig. So sehr ihn die Geburt eines
toten Kindes erschüttert, so sympathisch die charakter¬
volle Geliebte ihm bleibt, seine Natur entzieht sich
dennoch dieser und womöglich jeder Bindung. So
gehen die beiden geräuschlos auseinander.
Die Geselligkeit des nun ästhetischen jungen
Freiherrn gibt dem Dichter Spielraum, das zu be¬
handeln, was ihm offenbar als eigentlicher Gegen¬
stand der Arbeit am Herzen lag: das Wiener
Judentum von heute mit seinen Freund= und
Feindschaften, Anschauungen, Stimmungen und
Aussichten.
Schnitzler bemüht sich dabei, durchaus gerecht zu
sein. Daß trotzdem hie und da sein Herzensanteil
am Schicksal seiner Stammesgenossen unmittel¬
baren Ausdruck findet, ist begreiflich und be¬
rechtigt. Eine klare Lösung der gerade in Wien
so brennenden Frage, wie die Isolierung des Juden¬
tums zu überwinden sei, kann auch er nicht geben.
Dafür liefert er ein offenbar echtes und sehr fesseln¬
des Bild der gegenwärtigen Verhältnisse. Er zeigt
den patriarchalischen und den modern=opportunistischen,
den verbitterten und den tapferen, den fanatisch¬
politischen und den rein künstlerischen, den österreichisch
fühlenden und den zionistischen Juden.
über diesen Schilderungen wird natürlich das
übrige Wiener Leben, das Schnitzler so zärtlich zu
spiegeln weiß, nicht versäumt. Im ganzen zeigt der
Roman wieder einmal, daß die großen Kunstformen
seiner Wesensanlage nicht ganz entsprechen. Er ist
ein Meister des Einakters und der kleinen Novelle,