I, Erzählende Schriften 23, Der Weg ins Freie. Roman (Die Entrüsteten), Seite 123

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eigentlich naturalistisch, stellenweise sogar ganz
die Braut, die er sich erringt, zuvor dem trockensten
Das hängt mit dem
subjektiv gehalten ist.
Schablonenjuristen ihre Hand zugesagt hatte, so wird
zweiten Grundzug von Schlafs Natur zusammen,
doch das Mädchen, das sich so schön entfaltet, ihm
mit seinem allseligen Lyrismus, der nur scheinbar
allerseits herzlichst gegönnt werden.
einen schroffen Gegensatz bildet zur peinlich ehrlichen
Der Leser gewinnt bei der Geschichte spielend
Wiedergabe der nahen Wirklichkeit durch den Natu¬
die nähere Bekanntschaft mit bedeutsamen Typen
ralismas. Beide Triebe bezeugen ja im Grunde
des Richtertums und mit sehr interessanten
dieselbe Liebe zur Wahrheit und zur Umwelt.
Fällen, in denen das Juristenrecht dem „ge¬
Naturalistische Erbstücke sind noch die phonetisch
meinen“ Rechtsempfinden Hohn spricht; heilsame
genaue Wiedergabe höchst zerhackter Sprechweise und
Anregungen mögen daraus entspringen. Außerdem
die (wenigen) nicht frivolen, aber überflüssigen
gibt Bloem flotte Freskoschilderungen seiner nieder¬
und darum taktwidrig angewandten, rücksichtslos¬
rheinisch =wuppertalischen Heimat mit ihrem ab¬
unschamhafen Ausdrücke aus dem sexuellen Gebiet.
sterbenden Kleinschmiedewesen und ihrer blühenden
In der (teilweise allerdings allzu direkten)
Industrie. Den „Paragraphen=Lehrling“ werden die
Charakteristik, in den Kleinwelt= und Natur¬
Juristen und alle, die ihnen je näher treten können,
schilderungen in der persönlichen Wärme der
mit Nutzen kennen lernen.
ganzen Erzählung liegt trotz allen Mängeln
„Der Wegins Freie“ (Verlag S. Fischer,
soviel dichterischer Reiz, daß Schlafs „Prinz“ beim
Berlin) scheint der erste Roman Arthur Schnitzlers
reiferen Teil des Lesertums allen Anteil verdient.
zu sein. Der junge Mann, der hier im Vordergrund
Kapitel wie die Flucht aus der Windmühle oder
steht, ist ein Wiener Adeliger und Tonkünstler, genauer:
etwa der Aufenthalt in der Charité gehören zum
ein Weltmann mit künstlerischen Interessen und einiger
Besten, das Schlaf je geschrieben hat.
Begabung für die Tonkunst. Im Laufe der Er¬
Eine Vereinigung von gesundem Erzählertum
zählung sehen wir ihn die Musik auch als Beruf er¬
und lyrischer Stimmungmalerei stellt Georg Engels
greifen; er erlangt eine Stellung als Kapellmeister
neuester Roman vor: „Der Reiter auf
am Hoftheater zu Detmold und kann noch einmal
dem Regenbogen" (Vita, Deutsches
in Wien Intendant werden. Mehr Raum als diese
Verlagshaus, Berlin=Charlottenburg). Der Held
Seite seines Wandels beanspruchen jedoch sein
ist
ein jugendlicher Träumer, dessen kurzes
Liebesleben und seine Berührungen mit der Ge¬
Erdendasein in beständigem Zwiespalt zwischen einem
selligkeit.
reichen Innnenleben und einer drückend engen Um¬
Eine Liebschaft mit einem feiner organisierten und
gebung verläuft. Gust ist der lebensungeschickte
gleichfalls musikalisch angelegten Wiener Mädchen
Sohn einer armen Witwe in einer Kleinstadt an der
nimmt ihn zeitweilig ernstlich gefangen, aber eben
Waterkant. In seinen Träumen scheut er vor keiner
doch nur zeitweilig. So sehr ihn die Geburt eines
Großtat zurück.
toten Kindes erschüttert, so sympathisch die charakter¬
.... Wer herrschen will über beide Welten,
volle Geliebte ihm bleibt, seine Natur entzieht sich
Dem müssen die tollsten Dinge gelten.
dennoch dieser und womöglich jeder Bindung. So
Der wird über das Meer zu Fuß hinschreiten
gehen die beiden geräuschlos auseinander.
Und auf einer Libelle zum Himmel reiten:“
Die Geselligkeit des nun ästhetischen jungen
So heißts in einem eingeflochtenen längeren Gedicht
Freiherrn gibt dem Dichter Spielraum, das zu be¬
von etwas zu freiem Rhythmus. Gusts äußerer
handeln, was ihm offenbar als eigentlicher Gegen¬
Jugendlauf ist um so dürftiger, aber ehrenvoll. Um kein
stand der Arbeit am Herzen lag: das Wiener
Opfer seiner Überzengung bringen zu müssen, verläßt er
Judentum von heute mit seinen Fund= und
das Gymnasium, ohne die Abgangsprüfung fertig zu er¬
Feindschaften, Anschauungen, Stimmungen und
ledigen. Eine verehrungsvolle Jugendliebe zu einem
Aussichten.
vornehmen Mädchen und eine tiefwurzelnde Reinheit
Schnitzler bemüht sich dabei, durchaus gerecht zu
schützen ihn vor allem Niederen. Zu guter Letzt, ehe er
sein. Daß trotzdem hie und da sein Herzensanteil
an einem raschen Leiden stirbt, rettet er ein Fischer¬
am Schicksal seiner Stammesgenossen unmittel¬
#orf, in dessen Gewässern die Fischzüge ausbleiben,
baren Ausdruck findet ist begreiflich und be¬
vor der Verzweiflung dadurch, daß er die Leute
rechtigt. Eine klare Lösung der gerade in Wien
auf unsere Kolonie in Südafrika mit ihrem fischreichen
so brennenden Frage, wie die Isolierung des Juden¬
Strand hinweist.
tums zu überwinden sei, kann auch er nicht geben.
Das wird mit sehr viel Liebenswürdigkeit vor¬
Dafür liefert er ein offenbar echtes und sehr fesseln¬
getragen. Und mit Unrecht gilt Liebenswürdigkeit
des Bild der gegenwärtigen Verhältnisse. Er zeigt
öfters in deutschen Landen als Untugend. Eher
den patriarchalischen und den modern=opportunistischen,
könnte man den liebenswürdigen Stil hier zu un¬
den verbitterten und den tapferen, den fanatisch¬
rastig, zu lebhaft mitagierend finden. Die Wohltat
politischen und den rein künstlerischen, den österreichisch
der epischen Ruhe stellt sich nicht leicht ein, wo der
fühlenden und den zionistischen Juden.
Dichter die wechselnden Empfindungen zu lebhaft mit¬
über diesen Schilderungen wird natürlich das
macht und ausspricht. Aber in seiner Art ist dieses
übrige Wiener Leben, das Schnitzler so zärtlich zu
Buch ganz einheitlich, und seine Art wirkt als natür¬
spiegeln weiß, nicht versäumt. Im ganzen zeigt der
licher Ausfluß eines warmherzigen Temperaments.
Roman wieder einmal, daß die großen Kunstformen
Es ist wirkliche Tugend darin. Die Land= und See¬
seiner Wesensanlage nicht ganz entsprechen. Er ist
stimmungen von der norddeutschen Küste sind, wie
ein Meister des Einakters und der kleinen Novelle,
in früheren Werken Engels, mit Treue in kräftigen
bewältigt auch das mehraktige realistische Schauspiel,
Farben entworsen. Eine kleine Galerie kleinstädtischer
scheitert aber am gehobenen Drama und füllt die
Originale, die freilich zum Teil mehr dekorativ als
Romanform mit einer im Grunde mehr novellistischen
tief erfaßt sind, wird unterhaltsam vorgeführt. Die
Handlung, mit reizvollen Episoden, feinsinnigen
schlichten Erlebnisse des jungen Helden sind dagegen
Reden, süß=schwermütigen Stimmungen und seelen
von gebührendem Ernst getragen; namentlich in den
kundlichen Einzelsachen.
Schulkapiteln wird wieder ein wertvoller Beitrag
zur Naturgeschichte der Werdenden gegeben.
Was Walter Bloem in seiner jüngsten er¬
Vom Büchertisch.
zählenden Arbeit (Verlag Vita) will, das sagt er mit
Alle bei uns eingegangenen Wer#e werden in diesem Teile auf¬
aller wünschenswerten Deutlichkeit im Titel: „Der
geführt. Besondere Besprechung erfolgt nach unserem Ermessen.
Gewissermaßen
Paragraphenlehrling“.
Rücksendung der eingegangenen Werke findet unter keinen
zur Fortsetzung seines Studentenromans „Der krasse
Umständen statt.
Fuchs“ bielet er hier den Roman des Reserendars
Danzig und seine Bauten Herausgegeben
und zwar meines Wissens den ersten, der das
vom Westpreußischen Architekten= und Ingenieur=Verein zu
Juristentum im allgemeinen und die Lage des an¬
Danzig. Mit 5 Heliogravüren und 498 Abbildungen.
Preis des Werkes in Leinen geb. 15 M., in Liebhaber¬
gehenden Gerichtsjuristen im besonderen als eigent¬
Einband 17,50 M. Berlin, Verlag von Wilhelm Ernst und
liches Thema behandelt.
Sohn.
Natürlich ist auch hier, wie in den meisten Be¬
Frühling. Novllen von Stiin Streuvels. Autorisierte
rufsromanen, der Held eine Persönlichkeit, die eigent¬
Übersetzung aus dem Vlämischen von Martha Sommer.
lich in den betrachteten Beruf gar nicht paßt. Aber
Minden in Westfalen, I. C. C. Bruns Vei#ag, herzogl.
dies bildet ja bei solchem Stoff das gute Recht, nein
sächs. u. fürstl. schaumb.=lpp. Hof=Verlagsbuchhandlung.
eben die Pflicht des Dichters: zu zeigen, wie ein
Der Roman des lenkbaren Luftschiffes.
junger Mensch mit frischem, starkem Empfinden die
Von Cavete. Volksausgabe. Soeben erschienen. Brosch.
zenschheitlichen Grundlagen dieser oder jener Berufs= 2 M. Mit einem Geleitwort des Grafen Zeppelin.