23.
ins Freie
box 3/2
We
Der
T.Jek, Ibt 4, 2.14#4
L-Res#
Literatur.
Md
Oesterreicher.
Rudolf Hins Bartsch: Zwölf aus der Steiermark. Leipzig, Staackmann. — Arthur
Schnitzler: Der Weg ins Freie. Berlin, S. Fischer. — Peter Rosegger: Die
Försterbuben. Roman aus den steirischen Alpen. Leipzig, Staackmann. — Peter
Altenberg: Die Auswahl aus meinen Büchern. Berlin, S. Fischer. — Gustab
Meyrinks Wachsfigurenkabinett. Sonderbare Geschichten. München, Albert Langen.
Roda Roda: Von Bienen, Drohnen und Baronen. Berlin, Schuster & Löffler.
Roda Roda: Der Schnaps, der Rauchtabak und die verfluchte Liebe. Berlin,
Schuster & Löffler. — J. J. Hörschick: Johannes Lister. Leipzig, Amelang.
Ein Stoß österreichischer Erzählungen liegt auf dem Tisch. Welchem ihrer Ver¬
fasser sei der erste, der frischeste Kranz gereicht? Hier ist Arthur Schnitzler mit seinem
Wiener Roman, schon greift die Hand nach dem Kranze, da fällt das Auge auf einen
Jungen, Neuen, Unbekannten, um den ein Glanz ist wie von Sommerlüften, und ein
Klang wie von Wolfgang Amadeus Mozart und Luszinia Philomele Nachtigall:
Rudolf Hans Bartsch. Von all den Oesterreichern ist dieser der österreichischeste.
Er schreibt köstlich frisch, und Technik braucht er soviel wie der Waldbach, der über
die Bergwiese springt. Oder war es nicht ein Prachtgriff, nicht weniger als ein
Dutzend junger und heißer Herzen, Männlein und Weiblein, als Helden für diese
Geschichte zu packen? Aber sind sie am Ende nur Vorwand und Liune, all diese
zwölf Taugenichtse und Sonnenanbeter, und ist am Ende gar eine Stadt die Heldin?
Die liebe, holdselige Stadt Graz? „Sie, die Grüne, die Baumrauschende, die vor
allen großen Städten Naturbeseelte, sie die Heldin dieser Geschichte ohne Helden, von
der jedes Blatt ein Votivgeschenk der Erinnerung und des Heimwehs nach ihr ist.“
Ein wenig Herrin freilich und Heldin ist auch sie, die rätselhafte, wunderschöne Frau
von Karminell, in die unsere Jünglinge sich allesamt verlieben. Klingt der Name nicht
sehnsüchtig wie ein dunkles Märchen und läutet er nicht wie mit Morgenglocken?
Glücksquartett, du junges, unbesonnenes, brausendes, hast du sie nicht geliebt? Cyrus
Wigram, zürnender Schleuderer der Rügebriefe an Wilhelm den Zweiten von Hohen¬
zollern! Othmar Kantilener, vielfach Begnadeter du, Arzt, Helfer! Amadé Helbig,
Träumer, Dichter, der du freiwillig starbst, als das feindliche Wien dir mit der
Jugend auch Gesundheit und Glück ausgesogen hatte, der du noch deine Asche über
die geliebte Steiermark zu verstreuen befahlst! Dichter selbst du, Tom O'Brien,
Träumer fremder Schicksale, der du den feinen Minnetraum mit gieriger Hand zer¬
drücktest, Abtrünniger, Verstoßener aus dem Geheimbunde der wunschlos Glücklichen! Hat
nicht selbst der Scheggl Franz sie in seiner dalketen Dumpfheit geliebt, der zu Ostern
erst über den Witz lacht, den einer an Weihnachten gemacht hat? Bodo Semljaritsch
liebt sie, der slovenische Student; sie ist ihm die verführerische Fleischwerdung jenes
Deutschtums, in dem er den Erbfeind seines Stammes erblickt und das ihn doch
zauberhaft anzieht, mit seinen Liedern, seiner Kultur, seiner seelenstarken Musik:
„Goethe und Gottfried Keller und Hans Sachs, Dürer und Holbein, Beethoven und
Wagner haben ihn übermächtig zu dem reichen, herrlichen Volk gerissen.“ Ihn wie
den genialen jüdischen Geiger, der mit einer „unermeßlichen, tötlichen, hoffnungs¬
losen Sehnsucht nach dem deutschgermanischen Wesen“ ringt, bis der Nationalitäten¬
kampf auch ihn von den Freunden reißt, und „die Ungerechtigkeit und der blinde
Haß des Knüppeldeutschtums“. Für Cyrus Wigram verkörpert sich das reine Deutsch¬
tum in der Gestalt Wilhelms II., des „einzigen Kaisers, der es sich selbst verdienen
will, einer zu sein“, „dem alle nachhorchen, seit langer, langer Zeit“. Als heimlicher
Held beherrscht er einen großen Teil des Buches. Mit unendlicher Inbrunst hofft
Wigram auf ihn: „Dieses lebhafte Herz ist durch bloße Eitelkeit von den Geheim¬
nissen des Genies getrennt. Wenn er sich vom Meister zum Schüler durchgerungen
haben wird und hören wird statt zu sprechen, dann erleben wir das Zerbrechen des
ins Freie
box 3/2
We
Der
T.Jek, Ibt 4, 2.14#4
L-Res#
Literatur.
Md
Oesterreicher.
Rudolf Hins Bartsch: Zwölf aus der Steiermark. Leipzig, Staackmann. — Arthur
Schnitzler: Der Weg ins Freie. Berlin, S. Fischer. — Peter Rosegger: Die
Försterbuben. Roman aus den steirischen Alpen. Leipzig, Staackmann. — Peter
Altenberg: Die Auswahl aus meinen Büchern. Berlin, S. Fischer. — Gustab
Meyrinks Wachsfigurenkabinett. Sonderbare Geschichten. München, Albert Langen.
Roda Roda: Von Bienen, Drohnen und Baronen. Berlin, Schuster & Löffler.
Roda Roda: Der Schnaps, der Rauchtabak und die verfluchte Liebe. Berlin,
Schuster & Löffler. — J. J. Hörschick: Johannes Lister. Leipzig, Amelang.
Ein Stoß österreichischer Erzählungen liegt auf dem Tisch. Welchem ihrer Ver¬
fasser sei der erste, der frischeste Kranz gereicht? Hier ist Arthur Schnitzler mit seinem
Wiener Roman, schon greift die Hand nach dem Kranze, da fällt das Auge auf einen
Jungen, Neuen, Unbekannten, um den ein Glanz ist wie von Sommerlüften, und ein
Klang wie von Wolfgang Amadeus Mozart und Luszinia Philomele Nachtigall:
Rudolf Hans Bartsch. Von all den Oesterreichern ist dieser der österreichischeste.
Er schreibt köstlich frisch, und Technik braucht er soviel wie der Waldbach, der über
die Bergwiese springt. Oder war es nicht ein Prachtgriff, nicht weniger als ein
Dutzend junger und heißer Herzen, Männlein und Weiblein, als Helden für diese
Geschichte zu packen? Aber sind sie am Ende nur Vorwand und Liune, all diese
zwölf Taugenichtse und Sonnenanbeter, und ist am Ende gar eine Stadt die Heldin?
Die liebe, holdselige Stadt Graz? „Sie, die Grüne, die Baumrauschende, die vor
allen großen Städten Naturbeseelte, sie die Heldin dieser Geschichte ohne Helden, von
der jedes Blatt ein Votivgeschenk der Erinnerung und des Heimwehs nach ihr ist.“
Ein wenig Herrin freilich und Heldin ist auch sie, die rätselhafte, wunderschöne Frau
von Karminell, in die unsere Jünglinge sich allesamt verlieben. Klingt der Name nicht
sehnsüchtig wie ein dunkles Märchen und läutet er nicht wie mit Morgenglocken?
Glücksquartett, du junges, unbesonnenes, brausendes, hast du sie nicht geliebt? Cyrus
Wigram, zürnender Schleuderer der Rügebriefe an Wilhelm den Zweiten von Hohen¬
zollern! Othmar Kantilener, vielfach Begnadeter du, Arzt, Helfer! Amadé Helbig,
Träumer, Dichter, der du freiwillig starbst, als das feindliche Wien dir mit der
Jugend auch Gesundheit und Glück ausgesogen hatte, der du noch deine Asche über
die geliebte Steiermark zu verstreuen befahlst! Dichter selbst du, Tom O'Brien,
Träumer fremder Schicksale, der du den feinen Minnetraum mit gieriger Hand zer¬
drücktest, Abtrünniger, Verstoßener aus dem Geheimbunde der wunschlos Glücklichen! Hat
nicht selbst der Scheggl Franz sie in seiner dalketen Dumpfheit geliebt, der zu Ostern
erst über den Witz lacht, den einer an Weihnachten gemacht hat? Bodo Semljaritsch
liebt sie, der slovenische Student; sie ist ihm die verführerische Fleischwerdung jenes
Deutschtums, in dem er den Erbfeind seines Stammes erblickt und das ihn doch
zauberhaft anzieht, mit seinen Liedern, seiner Kultur, seiner seelenstarken Musik:
„Goethe und Gottfried Keller und Hans Sachs, Dürer und Holbein, Beethoven und
Wagner haben ihn übermächtig zu dem reichen, herrlichen Volk gerissen.“ Ihn wie
den genialen jüdischen Geiger, der mit einer „unermeßlichen, tötlichen, hoffnungs¬
losen Sehnsucht nach dem deutschgermanischen Wesen“ ringt, bis der Nationalitäten¬
kampf auch ihn von den Freunden reißt, und „die Ungerechtigkeit und der blinde
Haß des Knüppeldeutschtums“. Für Cyrus Wigram verkörpert sich das reine Deutsch¬
tum in der Gestalt Wilhelms II., des „einzigen Kaisers, der es sich selbst verdienen
will, einer zu sein“, „dem alle nachhorchen, seit langer, langer Zeit“. Als heimlicher
Held beherrscht er einen großen Teil des Buches. Mit unendlicher Inbrunst hofft
Wigram auf ihn: „Dieses lebhafte Herz ist durch bloße Eitelkeit von den Geheim¬
nissen des Genies getrennt. Wenn er sich vom Meister zum Schüler durchgerungen
haben wird und hören wird statt zu sprechen, dann erleben wir das Zerbrechen des