I, Erzählende Schriften 23, Der Weg ins Freie. Roman (Die Entrüsteten), Seite 143

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Kyffhäusers. Der Wahn, Herr der Starken zu sein, statt Diener der Schwachen, das
ist der Berg der Volkssage, der sich nicht öffnen will. Und die Raben sind die
Schmeichler.“ Die Geschichte dieser Leidenschaft Cyrus Wigrams für den Kaiser endet
mit einer schmerzlichen Enttäuschung und ist als solche vielleicht typisch gerade für
die besten Deutschösterreicher: nach so vielen Jahren immer wieder, wenn aller Herz
und Sinn ihm zufliegen möchten wie einem Magnet, irgend ein erkältendes Wort,
abweisendes Unterstreichen des Nur von Gottes Gnaden, die verhängnisvolle Herz¬
lichkeit Siegfrieds gegenüber einem eiskalten, rechnenden und den Augenblick des
Ueberfalls erwartenden Todfeind, rätselhaftes Schweigen, wenn alles Volk nach dem
erlösenden Worte brennt, scharfes und laut hinhallendes Reden, wann die ganze
Nation fleht, die Stunde möge, wie ein Nachtwandelndes, unbesprochen vorüber¬
gehen .... So schreibt Cyrus Wigram in seiner Unschuld und Einfalt dem Kaiser
einen Brief um den andern, ahnungslos, daß nur das menschliche Interesse eines
preußischen Geheimrates aus der strengen alten Schule diese stürmischen Ratschläge
vor dem Papierkorbe bewahrt. Eine namenlose Enttäuschung wird ihm die Reise
nach Preußen: „überall Tüchtigkeit, Zucht, strenge Lebensführung, überall peinliches
Einzirkeln in Stand und Beruf ... Klub; öffentliche Meinung; Rang; Beförderung
und überall Uniformen ... Ein Bienenstaat, wo alle gleich tüchtig und gleich mittel¬
mäßig waren. Wo er hinfragte: Antworten, die voraus zu bestimmen gewesen
wären; kein Wort, das einen Abweichenden verraten hätte.“ Selbstüberschätzung,
keine Bescheidenheit, keine Achtung vor dem Anderssein des andern; Prahlerei: „Die
schrien hier ihren Kaiser, ihre Armee, ihre Beamten, ja um Gotteswillen: ihre
Kunst und ihren Geschmack, ihr Berlin und seine Bauten und Denkmäler aus, als
wäre die Welt ein Jahrmarkt und Preußen eine Bude, die Zuschauer nötig hätte.“
Keine Innerlichkeit, kein Stil, kein Takt, keine Behaglichkeit; Parvenügeschmack; nicht
die Reife „von still und stolz gewachsenen Geschlechtern“. Außerordentlich fein ist
die Audienz bei dem Geheimrat: „Sie waren stets ein Dickkopf. Es hat eine Zeit ge¬
geben, wo das nicht geschadet hätte. Ob Sie aber jetzt Karriere machen wer¬
den . . .“ „Ich glaubte noch auf Schritt und Tritt die stille Tüchtigkeit des alten
Herrn zu finden.“ Er hört den Kaiser in Koblenz sprechen. Fährt „schweigend bis in
die Seele nach Oesterreich zurück“. Je tiefer er wieder nach Süden kommt, desto mehr
weitet sich ihm das Herz, und wie ein Segenswunsch klingt die Frage: „Wann blühst
du wieder, südliches, sonniges Deutschland? Du hast lange geruht ...“
Dieses Erstlingswerk ist eine außergewöhnliche Erscheinung. Es strahlt von Liebe
zu diesem „schlechten, zerfahrenen und doch so herrlich reichen Oesterreich“. Es hat den
zauberhaften Flaum und Schimmer der Bücher, die ohne Absicht auf ein Publikum ge¬
schrieben sind. Die grenzenlose, ziellose, wunschlose Glückssehnsucht der Jugend gärt und
braust darin. Es ist süß und töricht wie junger Wein, es kennt kein Maß, keinen
Weg, verschenkt sich, fließt über wie ein Brunnen in warmer Mainacht. Es hat keine
Absicht, keine Technik. Dafür hat es Feuer, Laune, Ueberschwang. Man muß es lieben.
Wäre die Kunst das einzige Kriterium für den Wert eines Buches, so hätte der
Roman Arthur Schnitzlers weitaus an erster Stelle stehen müssen. Er ist der
am besten geschriebene deutsche Roman seit langer Zeit. Von der ersten bis zur letzten
Seite derselbe klare, reine, beherrschte Stil; die edle Ruhe, die nur dem Meister eigen
ist; jedes Wort mit erstaunlicher Sicherheit hingesetzt, keines zu viel, keines zu laut,
keines zu grell. Es unterscheidet sich vom deutschen Durchschnitt etwa so wie sich
gute französische Landschaften oder dänische Bildnisse und Interieurs von einer Aus¬
stellung deutscher Bilder abheben: unaufdringlich, leise, vornehm. Wie sich matt¬
weißes Nymphenburger oder Königliches Kopenhagen neben buntem Meißner aus¬
nimmt. Sein Inhalt ist einfach und doch wieder nerwickelt. Auf den ersten Blick etwa
das alte Thema einer Liebelei; ein Verhältnis zwischen einem adeligen Komponisten
und einer Klavierlehrerin knüpft sich, macht alle Stufen durch, bis es sich erschöpft