Der Ne
Freie
ins
box 3/2
23 „24 enentenencee
320 PCarl Busse: 188888888885
chen, den Schusterbaron und die hochbusige
Aussicht, die Heimat zu verlassen, reißt sie
Line, näher vor die Nase führen können, sich in einer Verwirrung ihres ganzen We¬
und daß sie es nicht tat, sondern diese bei¬
sens wieder von ihm los. Und nun ist sie
den mehr zurückstellte, zeigt doch, wie sehr sie mürbe
— die Jahre gehn so hin — neue
den Humor noch in äußerlicher Komik, im
Zeiten brechen an. Sie nimmt zum Schluß
Satirischen sucht. „Lerne zu lachen ohne
in Gottes Namen einen Müller, lebt an
zu grinsen,“ hat Hartleben gemahnt. Sie
seiner Seite hin, schaut manchmal nach dem
müßte diese Mahnung noch mehr beherzigen
fernen Dorf hinüber, wie in scheuer Sehn¬
und für später vielleicht auch zusehn, daß
sucht nach den seligen versunkenen Ländern
sie ihre gut charakterisierten Puppen am
der Jugend, und ist eines Tages tot. Auf
Faden einer flotteren Handlung tanzen läßt.
ihrem Grabkreuz jedoch steht aus Versehen
Ernst Zahn ist vorsichtiger als Otto Ju¬
bloß ihr Mädchenname. Ihre Ehe hatte
lius Vierbaum. Er rühmt in der Einleitung
mit ihrem Wesen nichts zu tun. Wie eine
zum „Weibermann“ nicht das Buch, sondern
Flamme und Fackel loht die schöne, heiße
seine 1907 gestorbene Landsmännin Maria
Dorth auf; wie ein Dreierlichtchen erlischt
Schlumpf. Er spricht von der schlichten,
sie. Wilhelm Holzamer hatte immer die
tapferen Frau mit dem herb=schmerzlichen,
Kraft, stark anzupacken, aber nie die Kraft,
willensstarken Zug um den Mund. „Es ist
stark zu vollenden. Der ganze letzte Teil
nichts Großes, was sie uns hinterließ, allein
des Buches quält sich so hin und bedrückt
etwas Großes ist darum, daß ein Mensch
mit seiner schwächlichen Resignation. Liebe
seinem schweren Leben dies Werk abrang.
und Wärme und Schönheit, die kein Ziel
Das Buch ist eine Spur, wo eine tapfere
fanden, die nutzlos welken müssen...
Frau mit heller Stirn und mit einem für
Aber der heimliche Held des Romans ist
alles Schöne schlagenden Herzen gegangen.“
mehr fast noch als die Dorth der lange, dürre
Wagt man es daraufhin mit dem Roman,
Vetterlein, der Schulmeister, der Träumer.
so findet man im ersten Teil dieser Schwei¬
Eine Gestalt, wie Holzamer sie liebte. Ein
zer Dorfgeschichte manches Hübsche, vor allem
naher Verwandter des Schneidermeisters
manch glücklich geprägtes und mit volkstüm¬
„Peter Nockler“ Leute, deren Heldentum
licher Schlagkraft wirkendes Wort. Wenn
in gütiger Geduld besteht, reine Toren, stille
man jedoch im zweiten Teil erkennt, daß
Menschen, die kein rechtes Vertrauen zu sich
kein einziger Konflikt durchgehalten und
selber haben, zag beiseite stehn und nie die
zum Austrag gebracht, sondern jeder auf
Arme nach einem Glück zu heben wagen.
Kosten der Wahrscheinlichkeit und der Cha¬
Auf die Dauer wird man bei ihrer lamms¬
raktere gütlich erledigt wird, so begreift man,
geduldigen Passivität etwas ungeduldig. Sie
weshalb Ernst Zahn so stark das Mensch¬
sind gar zu blöde Schäfer. So früher der
liche betonte und das Literarische beiseite
Nockler, so hier der Vetterlein. Und gerade
ließ. Das Literarische ist wirklich nicht zu
diese innigen Stockfische stehn immer neben
rühmen.
einem heißen, schönen Mädel.
Da ist die rheinhessische Dorfgeschichte
Wenig geschickt ist die technische Einklei¬
„Vor Jahr und Tag“, das letzte Werk
dung des Romans. Der alte Golderjahn,
des zu früh gestorbenen Wilhelm Holz¬
ein ehemaliger Schulmeister, hinter dem wohl
amer, ein ganz andres Gewächs (Berlin
der Vetterlein steckt, schreibt sich das Ganze
1908, Egon Fleischel & Co.). Es duftet hier als Kalendergeschichte von der Seele. Und
und da nach Wein drin, glanzvoll und fröh= es soll wohl nur die Kritik entwaffnen, wenn
lich steigt süddeutsches Leben empor, von er zuletzt über den Schluß des Werkes noch
fern hinein dröhnen die Kanonen der großen räsoniert, daß das Leben unerbittlich sei
Kriege, in denen Deutschlands Einheit er¬
und wir alle nur Räder im Mühlwerk der
stritten wird, und mitten in der heitren Ge= Zeit. Das ist schön gesagt, doch es tröstet
schäftigkeit steht die schöne lebendige Dorth,
uns wenig. Was die Erzählung nicht hält,
die Wirtstochter, die so fein tanzen kann¬
kann die Predigt nicht gut machen. Das
Um ihr Glück wird im Buche gewürfelt, aber Beste bleibt an dem Romane die Sprache,
die Würfel fallen nicht gut. Der, den sie
die Saft und Kraft hat, die in eigener Fülle
liebt, geht im Trutz von ihr, und erst im schwimmt und überall den Dichter verrät —
Feldlazarett zu Laufach finden sie und der den Dichter, den wir begraben mußten, ehe
Jörg=Adam sich wieder, kurz bevor der Jörg er Bleibendes schaffen konnte. —
sterben muß. Stiller kehrt die schöne Dorth
Aus dem Grabe redet mit seinem letzten
in ihr Dorf zurück, und da ist noch einer,
Werke auch ein anderer deutscher Erzähler
ein ganz Getreuer, der lange Schulmeister
zu uns, der am 22. Januar 1907 im
Vetterlein, mit dem sie sich vielleicht noch
53. Lebensjahr gestorbene Heidelberger Stadt¬
ein Glück zimmern könnte. Aber der Schul¬
pfarrer Adolf Schmitthenner. Er hatte
meister ist ein Zager, der immer am Leben
seine ganze Kraft an den jetzt vorliegenden
vorbeigeht. Er verkämpft seine Liebe und
großen Roman „Das Deutsche Herz“ ge¬
sein Leid heimlich für sich und sagt nichts.
setzt (Stuttgart 1908, Deutsche Verlagsan¬
Endlich erobert sich ein fester, wortkarger
stalt), mit dem er sich hoffnungsvoll an der
Ingenteur, ein Niederdeutscher von eiserner
Preiskonkurrenz des „Vereines für Massen¬
Energie, die Dorth, aber geschreckt von
verbreitung guter Volksliteratur“ beteiligte.
der Verschiedenheit ihrer Naturen, von der Vor der Entscheidung starb der Dichter; die
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chen, den Schusterbaron und die hochbusige
Aussicht, die Heimat zu verlassen, reißt sie
Line, näher vor die Nase führen können, sich in einer Verwirrung ihres ganzen We¬
und daß sie es nicht tat, sondern diese bei¬
sens wieder von ihm los. Und nun ist sie
den mehr zurückstellte, zeigt doch, wie sehr sie mürbe
— die Jahre gehn so hin — neue
den Humor noch in äußerlicher Komik, im
Zeiten brechen an. Sie nimmt zum Schluß
Satirischen sucht. „Lerne zu lachen ohne
in Gottes Namen einen Müller, lebt an
zu grinsen,“ hat Hartleben gemahnt. Sie
seiner Seite hin, schaut manchmal nach dem
müßte diese Mahnung noch mehr beherzigen
fernen Dorf hinüber, wie in scheuer Sehn¬
und für später vielleicht auch zusehn, daß
sucht nach den seligen versunkenen Ländern
sie ihre gut charakterisierten Puppen am
der Jugend, und ist eines Tages tot. Auf
Faden einer flotteren Handlung tanzen läßt.
ihrem Grabkreuz jedoch steht aus Versehen
Ernst Zahn ist vorsichtiger als Otto Ju¬
bloß ihr Mädchenname. Ihre Ehe hatte
lius Vierbaum. Er rühmt in der Einleitung
mit ihrem Wesen nichts zu tun. Wie eine
zum „Weibermann“ nicht das Buch, sondern
Flamme und Fackel loht die schöne, heiße
seine 1907 gestorbene Landsmännin Maria
Dorth auf; wie ein Dreierlichtchen erlischt
Schlumpf. Er spricht von der schlichten,
sie. Wilhelm Holzamer hatte immer die
tapferen Frau mit dem herb=schmerzlichen,
Kraft, stark anzupacken, aber nie die Kraft,
willensstarken Zug um den Mund. „Es ist
stark zu vollenden. Der ganze letzte Teil
nichts Großes, was sie uns hinterließ, allein
des Buches quält sich so hin und bedrückt
etwas Großes ist darum, daß ein Mensch
mit seiner schwächlichen Resignation. Liebe
seinem schweren Leben dies Werk abrang.
und Wärme und Schönheit, die kein Ziel
Das Buch ist eine Spur, wo eine tapfere
fanden, die nutzlos welken müssen...
Frau mit heller Stirn und mit einem für
Aber der heimliche Held des Romans ist
alles Schöne schlagenden Herzen gegangen.“
mehr fast noch als die Dorth der lange, dürre
Wagt man es daraufhin mit dem Roman,
Vetterlein, der Schulmeister, der Träumer.
so findet man im ersten Teil dieser Schwei¬
Eine Gestalt, wie Holzamer sie liebte. Ein
zer Dorfgeschichte manches Hübsche, vor allem
naher Verwandter des Schneidermeisters
manch glücklich geprägtes und mit volkstüm¬
„Peter Nockler“ Leute, deren Heldentum
licher Schlagkraft wirkendes Wort. Wenn
in gütiger Geduld besteht, reine Toren, stille
man jedoch im zweiten Teil erkennt, daß
Menschen, die kein rechtes Vertrauen zu sich
kein einziger Konflikt durchgehalten und
selber haben, zag beiseite stehn und nie die
zum Austrag gebracht, sondern jeder auf
Arme nach einem Glück zu heben wagen.
Kosten der Wahrscheinlichkeit und der Cha¬
Auf die Dauer wird man bei ihrer lamms¬
raktere gütlich erledigt wird, so begreift man,
geduldigen Passivität etwas ungeduldig. Sie
weshalb Ernst Zahn so stark das Mensch¬
sind gar zu blöde Schäfer. So früher der
liche betonte und das Literarische beiseite
Nockler, so hier der Vetterlein. Und gerade
ließ. Das Literarische ist wirklich nicht zu
diese innigen Stockfische stehn immer neben
rühmen.
einem heißen, schönen Mädel.
Da ist die rheinhessische Dorfgeschichte
Wenig geschickt ist die technische Einklei¬
„Vor Jahr und Tag“, das letzte Werk
dung des Romans. Der alte Golderjahn,
des zu früh gestorbenen Wilhelm Holz¬
ein ehemaliger Schulmeister, hinter dem wohl
amer, ein ganz andres Gewächs (Berlin
der Vetterlein steckt, schreibt sich das Ganze
1908, Egon Fleischel & Co.). Es duftet hier als Kalendergeschichte von der Seele. Und
und da nach Wein drin, glanzvoll und fröh= es soll wohl nur die Kritik entwaffnen, wenn
lich steigt süddeutsches Leben empor, von er zuletzt über den Schluß des Werkes noch
fern hinein dröhnen die Kanonen der großen räsoniert, daß das Leben unerbittlich sei
Kriege, in denen Deutschlands Einheit er¬
und wir alle nur Räder im Mühlwerk der
stritten wird, und mitten in der heitren Ge= Zeit. Das ist schön gesagt, doch es tröstet
schäftigkeit steht die schöne lebendige Dorth,
uns wenig. Was die Erzählung nicht hält,
die Wirtstochter, die so fein tanzen kann¬
kann die Predigt nicht gut machen. Das
Um ihr Glück wird im Buche gewürfelt, aber Beste bleibt an dem Romane die Sprache,
die Würfel fallen nicht gut. Der, den sie
die Saft und Kraft hat, die in eigener Fülle
liebt, geht im Trutz von ihr, und erst im schwimmt und überall den Dichter verrät —
Feldlazarett zu Laufach finden sie und der den Dichter, den wir begraben mußten, ehe
Jörg=Adam sich wieder, kurz bevor der Jörg er Bleibendes schaffen konnte. —
sterben muß. Stiller kehrt die schöne Dorth
Aus dem Grabe redet mit seinem letzten
in ihr Dorf zurück, und da ist noch einer,
Werke auch ein anderer deutscher Erzähler
ein ganz Getreuer, der lange Schulmeister
zu uns, der am 22. Januar 1907 im
Vetterlein, mit dem sie sich vielleicht noch
53. Lebensjahr gestorbene Heidelberger Stadt¬
ein Glück zimmern könnte. Aber der Schul¬
pfarrer Adolf Schmitthenner. Er hatte
meister ist ein Zager, der immer am Leben
seine ganze Kraft an den jetzt vorliegenden
vorbeigeht. Er verkämpft seine Liebe und
großen Roman „Das Deutsche Herz“ ge¬
sein Leid heimlich für sich und sagt nichts.
setzt (Stuttgart 1908, Deutsche Verlagsan¬
Endlich erobert sich ein fester, wortkarger
stalt), mit dem er sich hoffnungsvoll an der
Ingenteur, ein Niederdeutscher von eiserner
Preiskonkurrenz des „Vereines für Massen¬
Energie, die Dorth, aber geschreckt von
verbreitung guter Volksliteratur“ beteiligte.
der Verschiedenheit ihrer Naturen, von der Vor der Entscheidung starb der Dichter; die