I, Erzählende Schriften 23, Der Weg ins Freie. Roman (Die Entrüsteten), Seite 165

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sssssssa Neues vom Büchertisch. B8888888888 321
Entscheidung hätte ihn, da sie negativ aus¬
als den Schicksalsroman reinsten Wassers er¬
fiel, auch nicht gefreut. Der anonyme Nach¬
kennt, so freut man sich fast über die Preis¬
ruf, der als Vorwort „Das deutsche Herz“
richter, die es ablehnten. In seinen kleinen
begleitet, sucht die Gründe für die schlie߬
Geschichten, wo er seine historische Phantasie
liche Ablehnung in den guten, für das
und seine gute Darstellungsart betätigen
niedere Publikum eben allzu guten Seiten
konnte, gefällt mir Adolf Schmitthenner viel
des Werkes. Ich bin darin ganz anderer
besser. Da hat er etwas Tüchtiges, Treues
Ansicht. Ich hätte als Preisrichter gegen
und Echtes, und besonders schön hat er immer
das Werk gestimmt, weil es sich im Stoff
deutsches Leben der Vergangenheit zu bannen
so völlig vergreift, daß kein Vorzug der
gewußt.
Behandlung diesen Mangel wettmachen
„Deutsches Leben der Vergangen¬
kann. Der Dichter, der zum niederen, ar¬
heit“ — wer sich ganz einmal darein ver¬
beitenden Volke sprechen will, muß diesem
senken will, den kann ich mit herzlicher Freude
Volke zeigen, daß jedes ernste, freudige und
nur auf die zwei Bände des so benannten
tüchtige Streben auch sein Ziel findet, daß,
prächtigen Sammelwerkes verweisen, das
wie Raabe sagt, aus der Tiefe die Quellen
Eugen Diederichs kürzlich herausgegeben hat,
kommen, die den Acker der Menschheit immer
das 1760 Nachbildungen alter Kupfer und
neu erfrischen daß ein heißes, ehrliches,
Holzschnitte aus dem XV. bis XVIII. Jahr¬
begeistertes Wollen immer noch die Wege
hundert enthält und in diesem Anschauungs¬
erreicht, die es aufwärts führen. Schmitt¬
material das Leben unserer Altvorderen
henner jedoch zeigt ein Geschlecht nicht im
treulich einfängt (Jena 1908, E. Diederichs).
freudigen Aufstieg, sondern im jammervollen
Man muß mit ein wenig Andacht dieses
Abstieg, und das Bedenkliche, ja geradezu
Kupferstichkabinett im kleinen durchwandern,
Unbegreifliche ist dies, daß keine Tüchtigkeit,
aber dann erschließt sich darin auch die ganze
kein Streben den Sturz aufhalten kann, son¬
Entwicklung deutschen Wesens. Vornehmlich
dern daß der Gute, Edle, Unschuldige unter
das gesellige Leben und Treiben spiegelt sich
inem alten Familienfluch die Seinen hin¬
ab, wie sich Adel und Bürgertum vergnüg¬
nechen sieht und ein Spielball in der Hand
ten, bei Tafel und Turnier, bei Tanz und
geheimer Nachemächte ist, die für den Frevel
Spiel, auf Bällen, Jagden und Festen, auf
seine Vorfahren Auge um Auge, Zahn um
der Straße und zu Hause, im Sommer und
Zahn fordern. Zwar sagt Schmitthenner:
Winter, im Frieden und Krieg. Man sieht,
„Es gibt keinen Fluch, es gibt nur Segen.“
wie die Moden sich wandelten, wie jede
Doch wenn er fortfährt: „Aber die Men¬
neue erst mit satirischem Gelächter empfangen
schen können also freveln, daß die Natur
wird, um dann langsam zu siegen; man
zerrissen wird; da muß denn alles sterben,
sieht, wie die Möbel sich umformten, erkennt
damit sie wieder genese“ —, so ist das eine
die tieferen Zusammenhänge zwischen Mö¬
pastörliche Dialektik, die durch die Hintertür
beln, Geräten und Tracht und weiter zwischen
einschmuggelt, was sie vorn abgewiesen hat.
der Tracht und der Art des Sichbewegens,
Man sehe sich diesen prächtigen Junker von
überhaupt der äußeren Formen. Steigen
Hirschhorn doch an — geht nicht er und sein
und Sinken der Persönlichkeit läßt sich aus
Geschlecht zugrunde an den Sünden der
diesen chronologisch geordneten Nachbildungen
Väter? Ist es nicht wieder der dumpfe
deutlich erkennen; von dem Einzelmenschen
Spuk, das düstere Verhängnis, das äußer¬
der Renaissance kommen wir in die muntre
lich in den berüchtigten Schicksalsdramen
Rokokogesellschaft; aus den Parks und Gär¬
waltet, welches auch hier eingreift? Und
ten, wo sie in Schäferspielen getändelt, zieht
fordert es nicht zuletzt zu einer Satire à la
sich das leichtlebige Völkchen dann ins Haus
„Verhängnisvolle Gabel“ heraus, wenn sich
zurück, wird dort solider, ja kleinbürgerlicher
am Ende selbst das Wickelkind durch einen
und bietet sich dem Griffel Chodowieckis. Und
Zufall am Giftring der dömonisch auftauchen¬
immer beobachtet man, wie die großen Grund¬
den Ahnfrau den Tod holt? Nein, mit
gedanken, die eine Generation beherrschen,
dieser Aufwärmung der Schicksalsidee mit
sich auch im Nebensächlichen und Alltäglichen
eingemauerten Gerippen und Ahnfrauflüchen
ausdrücken, wie auch die graphische Technik
soll man unserem Volke nicht kommen. Wir
davon beeinflußt wird, wie der großzügige,
leben ja gottseidank im XX. Jahrhundert.
zu Stilisierung drängende Holzschnitt dem
Und doch war es ein prächtiger Erzähler,
der Freude am realistischen Detail mehr
der sich an diesen grauslichen und ganz un¬
entgegenkommenden Kupferstich weicht und
gewöhnlich unglücklichen Stoff gemacht hat.
dieser wieder von der Radierung abgelöst
Wenn man das erste Kapitel liest, wie das
wird. So fängt dieses schöne Werk aller¬
Neckartal vor drei Jahrhunderten aussah,
orten dem aufmerksamen Beschauer zu reden
lacht einem das Herz. Und es quillt und
an und enthüllt ihm eine Fülle der Zu¬
schwillt auch sonst von schönen Einzelheiten.
sammenhänge. Wie in einem Spiegel zeigt
Aber wenn man dann an die Theaterszene
es unsres lieben Volkes Leben und Sterben,
gerät, in der dem Junker die Hand abge¬
Lust und Leid, und man darf der Hoffnung
hauen werden soll, wenn man kopfschüttelnd
des verdienstvollen Herausgebers sein, daß
bemerkt, wie im zweiten Buch die Probieme
„diese ehrwürdigen Zeugen alter Vergangen¬
verschoben werden, wenn man drittens das
heit auch zu dem neuen Deutschland wieder
ganze Werk, so sehr es sich dreht und wendet, eine vertiefte Sprache reden“.