I, Erzählende Schriften 23, Der Weg ins Freie. Roman (Die Entrüsteten), Seite 170

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23. Der Ne
ins Freie
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welche wohl nicht zu einem Le'ziel, aber mitten ins Leben
hinein führen. Vermitteln jene grundlegendes Wissen, sor¬
gen diese für Bildung des Gemütes und Charakters und
erschließen den unermeßlichen Genuß des Schönen und Er¬
habenen.
Neue Romaue.
Von Dr. M. Scherlag (Wien.)
Die Flut steigt. Schäumend wirft sie sich auf den
Strand und überschwemmt ihn mit hohen Sturzwellen und
flachem Geriesel. Dann verebbt ssie allmählich, die Wogen
verrinnen und Schlamm und Dünensand bleiben übrig,
breit und seicht. Aber hier uns dort sind einige kostbare
Muscheln sichtbar. Und einsige Sammler bücken sich freudig
nach ihnen und heben sie zärtlich auf, wie Schätze.
Nicht anders verhält es sich mit der Bücherilut..
Ich will versuchen, hier aus meiner Lektüre in den¬
letzten Tagen das mitzuteilen, was mir beachtenswert er¬
schien!
Ein Buch von Arthur Schnitzler ist nicht nur ein
Ereignis einer Saison, sondern eine Bereicherung der
deutschen Literatur. Dies gilt vornehmlich von dem bei
S. Fischer erschienenen Roman Der Wegins Freie.
Als ein Wiener Roman wurde das Buch bereits etikettiert
und mit Recht. Wienerisch ist dr einschmeichelnde Ton des
Ganzen, wienerisch die Gesellschaft, die Schnitzler mit be¬
wunderungswürdiger Anschaulichkeit zeichnet, wienerisch ist
die kultivierte Lässigkeit der Personen und ihre leise, lie¬
benswürdige Selbstironie, wienerisch endlich die Atmosphä¬
re, die über den zarten, rührenden Geschehnissen webt. Welt¬
männisch möchte ich Schnitzlers Schreibweise nennen. Und
was an diesem neuen Werke überaus sympatl berührt,
ist die Aufrichtigkeit des Dichters. Alle Dinge neu# er beim
rechten Namen und holt aus seinem Herzen, man könnte

We

sagen Bekenntnisse hervor, die lange darin gebrannt und
geblutet haben mochten. Sh schuf er ein Werk voll in¬
timster Reize, voll Feinheit und Weisheit, voll weichen
Empfindens, ein mutiges Werk, das uns in dem Dichter
den Menschen offenbart und umso näher heingt, als er vor¬
urteilsfrei, tendenzlos heraussagt, was ihm Rasse, Nation
und Mensch sind. Schnitzler hat die seltene Gabe, auch da,
wo er liebt, gelassen, und wo er verachtet, liebenswürdig
zu bleiben. Und ist gerecht wie jeder wahre Künstler. Ge¬
recht sowohl den aufstrebenden Antisemiten als auch den
zurückgedrängten Juden gegenüber. Nichts Verlogenes ist
in seinem Roman. Er schildert die Wiener Gesellschaft in
ihrer buntschillernden Gemischtheit und bewußt vornehmer
Ohnmacht wie kein Zweiter. Das Weltbild, das er gibt,
umränkt die im Grunde novellistische Liebesfabel, die zwi¬
schen zwei echt Wiener Kindern spielt, und hebt sie auf die
Höhe der Epik. Kurz: man muß das anmutvolle, schön¬
heitsgetränkte, aufschlußreiche Buch als das Werk eines
Künstlers ansehen, der den Weg zur Wahrheit fand. Und
in der Wahrheit ist immer auch die Freihelt.
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725
hagen, London, Madrid, Mailand, Minneapolis, New Vork,
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Paris, Rom, San Francisco, Stockholm, St. Petersburg.
(Quellehangabe ohne Gewahr.)
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Die Vielheit in Artur Schnitzlers Buch „Der Weg
ins Freie“ ist nach W#######
im „Kunstwart“
Oktoberheft 1908, die Wiener Gesellschaft, insbesondere die
Wiener jüdische Gesellschaft von heute. „Mit unverkennbarem
Willen zur Objektivität, der aber natürlich ein gelegentliches!
Hervorflakern des persönlichen Anteils am Schicksal der
Stammesgenossen nicht ausschließt, schildert Schnitzler die
Unterschiedlichkeiten und Kämpfe im Innern dieser Gesellschaft
und ihr Verhalten zu der umgebenden, großenteils anti¬
semitischen Bevölkerung. Namentlich zeigt er den Gegensatz
zwischen dem patriarchalischen älteren und dem nervösen
modernen Judentum, das teils trotig beim Hergebrachten
verharren, teils leichtherzig zum Chriseentum übergehen, teils
wieder mit dem Zionismus Ernst machen will. Als Helden
der Erzählung wählte er einen musiktreibenden Wiener
Aristokraten, der mit den wohlhabenden und kunstliebenden
jüdischen Kreisen gern in Fühlung steht. Was von ihm be¬
richtet wird, ist trotz etlichen Rück= und Rundblicken keine
Entwicklungsgeschichte, sondern bloß ein Stück aus einer
solchen, im Grund einer Novelle, eine Liebschaft behandelnd.
Hierin gleichwie in den übrigen Teilen und Teilchen vom
„Wege ins Freie“ finden wir die zarti Schwermut und die
seinen Charakterbeobachtungen wieder, die den eigenen müden
Zauber an Artur Schnitzlers Wichtungen weben. Als Ganzes
bekundet die Arbeit wiederum (ie ist wohl sein erster Roman),
daß diesem Meister des Einakters und der keck=graziösen
Novelle die stilreine Bewältigung großer Kunstformen nicht
gegeben ist. Eben seine skeptisch=weltkindliche, beschaulich¬
aphoristische, seine lyrische (und ein wenig wienerisch¬
fseuilletonistische) Anlage, der er seine Vorzüge verdankt,
hemmt ihm ein weiteres Umfassen. Das realistische, mehr
oder minder genrehafte Schauspiel bewältigt er noch, an der
Tragödie scheitert er gerechter gesagt: scheitert auch er:
denn wer von unseren Zeitgenosien scheitert nicht an ihr?
und bei der Arbeit zum Roman=Kunstwerk hält ihn das
Zuständliche, Stillständliche liebend so fest, daß die Schilde¬
rungen, Stimmungen und höchst ausführlichen Reden den
entwicklungsgehalt zu sehr beengen, als daß er wirkungs¬
räftig bleiben könnte.“