Neg ins Fri
23. Der ed1e16
box 3/2
deere ath. Gerrbefgl,
76
888888888
Neues vom Büchertisch. Von Carl Busse.
& Arthur Schnitzler, Der Wegins Freie (Berlin 1908 S. Fischer). — Auguste0
Hauschner, Die Fämilie Lowösttz (Bertin 1908, Egon Fleischel & Co.). —
Anna Croissant=Rust, Winkelquartett (München 1908, Georg Müller). —
Maria Schlumpf, Der Weibermann (Berlin 1908, Egon Fleischel & Co.). —
Wilhelm Holzamer, Vor Jahr und Tag (ebenda).
Adolf Schmitt¬
henner, Das Deutsche Herz (Stuttgart 1908, Deutsche Verlagsanstalt). — Eugen #
Diederichs, Deutsches Leben der Vergangenheit in Bildern. Zwei Bände (Jena (
1908, E. Diederichs).
S
Ilrthur Schnitzler, der Wiener, der ge= von Wergenthin, der als vornehmer Dilet¬
44 wiß kein blutechter Dichter ist, wohl aber tant seine musikalische Begabung kultiviert
omen in nenine — ein seiner Künstler, und sonst das richtige Wiener Phäakenleben
hat seinen ersten Roman geschrieben. Er
führt, verliebt sich in ein nettes, über seine
erzählt darin, wie ein junger österreichischer
häusliche Enge hinausgewachsenes Bürger¬
Baron aus den nicht gerade drückenden
mädchen, das Musikstunden gibt und seine
Fesseln eines Liebesverhältnisses den „Weg
Lieder singt. Sie wird, ohne daß er sich
ins Freie“ findet und aus kunstversüßtem
sonderlich anstrengt, „die seine“ fühlt sich
Nichtstun zu einem Leben der ernsten Ar¬
bald Mutter, bringt ein Kind zur Welt, das
beit abschwenkt. Es ist wohl kein Zufall,
gleich wieder stirbt, und tritt nach dieser
daß dieser neue Weg ihn gleichzeitig aus
Ausbiegung ins Unbürgerliche so, als wäre
Österreich hinaus und ins Deutsche Reich
nichts geschehn, in ihre Kreise zurück. Früher
hinüberführt.
als ihr Geliebter selbst hat sie seinen Wunsch,
Zum erstenmal hat der sehr elegante, sehr
aller Fesseln ledig zu sein, erkannt, und sie
kühle, sehr kunstvolle Wiener in diesem Ro¬
selbst macht dem sich noch leise Genierenden
man seine sronische Überlegenheit und seine
weit die Türe zur Freiheit auf.
virtuose Sicherheit verloren. Beinah ver¬
Eine bequemere junge Dame hätte sich
wundert sieht man heimliche Schmerzen und
der komponierende Baron also wahrlich nicht
Bitterkeiten nach außen schlagen. Unverhüllt
wünschen können. Alle irgendwie möglichen
zeigt er seine Nöte und Schwächen. Er selbst
Konflikte sind glatt ausgeschaltet. Diese
zittert wohl darin. Aber um so schärfer Anna Rosner bleibt uns immer etwas fern
offenbart sich dadurch der große Unterschied und rätselhaft. Sie jauchzt nicht und weint
von Dichter und Künstler. Wenn ein Dichter nicht; es gibt keinerlei Mahnung und keinen
zittert, so fühlen wir uns mit ihm zugleich Vorwurf, keine Furcht und keine Klage über
in allen Tiefen ergriffen. Bei dem bloßen das, was ihr bevorsteht. Sie trägt ihre
„Künstler“ empfinden wir im gleichen Falle
Mutterschaft wie etwas Selbstverständliches,
nur die merkwürdige Unruhe und Unsicher¬
und auf ähnliche Weise finden sich auch ihre
heit der Hand. Auch hier staunt man nur,
Familie und ihre sonstige Welt damit ab.
daß Arthur Schnitzlers Können so sehr ver¬
Eigentlich langt es bei niemandem zu einem
sagte. Er hat einen ziemlich dürftigen No¬
starken Gefühl, zu Hitze oder Kälte, Zorn
vellenstoff übermäßig breitgeschlagen und
und Empörung, Weh und Not. Es ist, als
ihn mit Gewichten beschwert, die er nicht
wären die für die ungeheure Mehrzahl der
tragen kann. Er hat eine Unmenge Men= Menschen doch noch geltenden Sittengesetze
schen, die mit der Handlung nicht das ge¬
für die Personen dieses Romans nicht da,
ringste zu tun haben, einfach aufgegriffen
als hätten sie auch äußerlich kaum noch
und mitgehn heißen, nur damit sie fortgesetzt Macht und Bedeutung. Nun kann man
über die ihn selbst sehr erregende Judenfrage wohl verstehen, daß dem flüchtig mal an
reden können. Und er hat überhaupt keinen
eine Heirat denkenden Baron selbst im Traum
Versuch gemacht, diese Frage irgendwie mit
kein Gedanke an einen „Standeskonflikt“
dem eigentlichen Thema der Erzählung zu
kommt. Dieses vor hundert Jahren sehr
verknüpfen, sondern er hat die Diskussionen
beliebte Thema ist aus der neueren Dichtung
darüber einfach ringsherum gehängt, so daß
sehr bezeichnender Weise völlig verschwun¬
man sie ohne weiteres durch Debatten über
den; es konnte nur solange ein starkes Mo¬
das lenkbare Luftschiff oder die Entdeckung
tiv abgeben, wie starke äußere und innere
des Nordpols ersetzen könnte. In künstleri¬
Schranken die Stände schieben. Aber was
scher Hinsicht ist also der „Weg ins Freie“
man nicht mehr versteht, ist dies, daß dem
ein offenbarer Sandweg. Schnitzler hat noch
jungen Mädchen auch aus Hin#be, Mutter¬
nichts Schwächeres geschrieben. Aber in
schaft und Trennung keine tieferen sittlichen
bezug auf den Autor erregt der Roman ein
und seelischen Konflikte zuwachsen — Kon¬
gewisses Interesse: mißlungene Werke sagen
flikte, die doch nicht nur auf der Konve. von,
häufig mehr über den Schöpfer aus, als gute.
sondern fester noch im rein Menschlichen, in
Lösen wir erst einmal das kleine Novellen¬
der ganzen Weibesnatur begründet sind.
thema aus dem breiten Nahmen, in dem es Scheinbar wird Anna Rosner von alledem
steckt und erstickt. Der junge Baron Georg wenig berührt. Scheinbar — denn man
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deere ath. Gerrbefgl,
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Neues vom Büchertisch. Von Carl Busse.
& Arthur Schnitzler, Der Wegins Freie (Berlin 1908 S. Fischer). — Auguste0
Hauschner, Die Fämilie Lowösttz (Bertin 1908, Egon Fleischel & Co.). —
Anna Croissant=Rust, Winkelquartett (München 1908, Georg Müller). —
Maria Schlumpf, Der Weibermann (Berlin 1908, Egon Fleischel & Co.). —
Wilhelm Holzamer, Vor Jahr und Tag (ebenda).
Adolf Schmitt¬
henner, Das Deutsche Herz (Stuttgart 1908, Deutsche Verlagsanstalt). — Eugen #
Diederichs, Deutsches Leben der Vergangenheit in Bildern. Zwei Bände (Jena (
1908, E. Diederichs).
S
Ilrthur Schnitzler, der Wiener, der ge= von Wergenthin, der als vornehmer Dilet¬
44 wiß kein blutechter Dichter ist, wohl aber tant seine musikalische Begabung kultiviert
omen in nenine — ein seiner Künstler, und sonst das richtige Wiener Phäakenleben
hat seinen ersten Roman geschrieben. Er
führt, verliebt sich in ein nettes, über seine
erzählt darin, wie ein junger österreichischer
häusliche Enge hinausgewachsenes Bürger¬
Baron aus den nicht gerade drückenden
mädchen, das Musikstunden gibt und seine
Fesseln eines Liebesverhältnisses den „Weg
Lieder singt. Sie wird, ohne daß er sich
ins Freie“ findet und aus kunstversüßtem
sonderlich anstrengt, „die seine“ fühlt sich
Nichtstun zu einem Leben der ernsten Ar¬
bald Mutter, bringt ein Kind zur Welt, das
beit abschwenkt. Es ist wohl kein Zufall,
gleich wieder stirbt, und tritt nach dieser
daß dieser neue Weg ihn gleichzeitig aus
Ausbiegung ins Unbürgerliche so, als wäre
Österreich hinaus und ins Deutsche Reich
nichts geschehn, in ihre Kreise zurück. Früher
hinüberführt.
als ihr Geliebter selbst hat sie seinen Wunsch,
Zum erstenmal hat der sehr elegante, sehr
aller Fesseln ledig zu sein, erkannt, und sie
kühle, sehr kunstvolle Wiener in diesem Ro¬
selbst macht dem sich noch leise Genierenden
man seine sronische Überlegenheit und seine
weit die Türe zur Freiheit auf.
virtuose Sicherheit verloren. Beinah ver¬
Eine bequemere junge Dame hätte sich
wundert sieht man heimliche Schmerzen und
der komponierende Baron also wahrlich nicht
Bitterkeiten nach außen schlagen. Unverhüllt
wünschen können. Alle irgendwie möglichen
zeigt er seine Nöte und Schwächen. Er selbst
Konflikte sind glatt ausgeschaltet. Diese
zittert wohl darin. Aber um so schärfer Anna Rosner bleibt uns immer etwas fern
offenbart sich dadurch der große Unterschied und rätselhaft. Sie jauchzt nicht und weint
von Dichter und Künstler. Wenn ein Dichter nicht; es gibt keinerlei Mahnung und keinen
zittert, so fühlen wir uns mit ihm zugleich Vorwurf, keine Furcht und keine Klage über
in allen Tiefen ergriffen. Bei dem bloßen das, was ihr bevorsteht. Sie trägt ihre
„Künstler“ empfinden wir im gleichen Falle
Mutterschaft wie etwas Selbstverständliches,
nur die merkwürdige Unruhe und Unsicher¬
und auf ähnliche Weise finden sich auch ihre
heit der Hand. Auch hier staunt man nur,
Familie und ihre sonstige Welt damit ab.
daß Arthur Schnitzlers Können so sehr ver¬
Eigentlich langt es bei niemandem zu einem
sagte. Er hat einen ziemlich dürftigen No¬
starken Gefühl, zu Hitze oder Kälte, Zorn
vellenstoff übermäßig breitgeschlagen und
und Empörung, Weh und Not. Es ist, als
ihn mit Gewichten beschwert, die er nicht
wären die für die ungeheure Mehrzahl der
tragen kann. Er hat eine Unmenge Men= Menschen doch noch geltenden Sittengesetze
schen, die mit der Handlung nicht das ge¬
für die Personen dieses Romans nicht da,
ringste zu tun haben, einfach aufgegriffen
als hätten sie auch äußerlich kaum noch
und mitgehn heißen, nur damit sie fortgesetzt Macht und Bedeutung. Nun kann man
über die ihn selbst sehr erregende Judenfrage wohl verstehen, daß dem flüchtig mal an
reden können. Und er hat überhaupt keinen
eine Heirat denkenden Baron selbst im Traum
Versuch gemacht, diese Frage irgendwie mit
kein Gedanke an einen „Standeskonflikt“
dem eigentlichen Thema der Erzählung zu
kommt. Dieses vor hundert Jahren sehr
verknüpfen, sondern er hat die Diskussionen
beliebte Thema ist aus der neueren Dichtung
darüber einfach ringsherum gehängt, so daß
sehr bezeichnender Weise völlig verschwun¬
man sie ohne weiteres durch Debatten über
den; es konnte nur solange ein starkes Mo¬
das lenkbare Luftschiff oder die Entdeckung
tiv abgeben, wie starke äußere und innere
des Nordpols ersetzen könnte. In künstleri¬
Schranken die Stände schieben. Aber was
scher Hinsicht ist also der „Weg ins Freie“
man nicht mehr versteht, ist dies, daß dem
ein offenbarer Sandweg. Schnitzler hat noch
jungen Mädchen auch aus Hin#be, Mutter¬
nichts Schwächeres geschrieben. Aber in
schaft und Trennung keine tieferen sittlichen
bezug auf den Autor erregt der Roman ein
und seelischen Konflikte zuwachsen — Kon¬
gewisses Interesse: mißlungene Werke sagen
flikte, die doch nicht nur auf der Konve. von,
häufig mehr über den Schöpfer aus, als gute.
sondern fester noch im rein Menschlichen, in
Lösen wir erst einmal das kleine Novellen¬
der ganzen Weibesnatur begründet sind.
thema aus dem breiten Nahmen, in dem es Scheinbar wird Anna Rosner von alledem
steckt und erstickt. Der junge Baron Georg wenig berührt. Scheinbar — denn man