I, Erzählende Schriften 23, Der Weg ins Freie. Roman (Die Entrüsteten), Seite 193

23. Der Neg ins Freie
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ist nicht spezifisch schwäbisch, und es ist reiner Zufall, daß
Inhalt der „Hochzeitsfahrt“ von Emil Hüglk.,
es im württembergischen statt im badischen Schwarzwald
Er ist offenbar ein Schweizer, und gute Schweizerart ver¬
geschehen ist. Hüglin, freudlos im Elternhaus aufgewachsen,
leugnet sich nicht bei ihm: bodenständige Leute, kernhafte
vom Vater Prälaten streng christlich erzogen, ohne rechten
Ausdrucksweise, anschauliche Erzählungsart, Gemüt, das
Halt an der Mutter und an sich selbst, kommt in ein
ich hinter rauhem Wesen verbirgt, und Humor, der sich
Schwarzwalddorf als Pfarrverwalter. Da keimt zum ersten
auch bei ernsten Stoffen nicht bändigen läßt. Die Ein¬
Mal die Liebe in ihm auf; es ist die Tochter seines
kleidung ist sehr hübsch: zuerst die Erinnerung an die Doppel¬
Lehrers, das reizende Kind, das Bethle, die ihm das Herz
hochzeit, von der die Leute kommen; sie veranlaßt einen der
erweckt — eine gar liebliche Idylle, die nur leider mit einer
Reisenden, zu erzählen, wie sich die beiden Paare gefunden
Stunde der Leidenschaft endet am Tage, ehe er in einen
haben. Dann geben verschiedene Vorkommnisse im Eisen¬
anderen, weit entfernten Ort versetzt wird. Daß es so
bahnwagen, die Vorgänge, die man im Vorüberfahren be¬
kommen konnte, vielleicht kommen mußte, ist durchaus glaub¬
obachtet, Gelegenheit, irgend eine Geschichte
daran zu
lich gemacht. Im zweiten Teil finden wir Theobald an
knüpfen, die beste, was die flotte Erzählung und die
der Seite einer liebenden Frau in einem württembergischen
psychologische Beobachtung betrifft, die Dorfgeschichte „Der
Städtchen. Er hat ihr nicht gesagt, was früher geschehen:
Stich ins Herz“ und die übermütig humoristische, „Der
daß Bethle an der Geburt seines Kindes gestorben und
Meisterschuß“, durch den der gewesene Kaufmannsjüngling,
das Kind dort im Schwarzwald in der Pflege ist.
Und
der Schriftsteller hat werden wollen und dem es mißglückt
nun kommen die schweren inneren Konflikte, und zu diesen
ist, sich in eine andere Welt befördern will, während der
dann bald auch die äußeren, da die Sache allmählich ruch¬
Humor in „Madame Brinets große Tat“ mir etwas ent¬
bar geworden ist. Frommel versteht uns in den Gemüts¬
gleist scheint: es ist ein mißlungenes Wagstück, einen ganz
zustand Hüglins ohne übermäßige Seelenzerfaserung hinein¬
ernstlich beabsichtigten Mord an dem Geliebten possenhaft
sehen zu lassen, wir fühlen seins Pein mit ihm und atmen
zu schildern. Wir kommen hier über ein gewisses Unbe¬
mit ihm auf, wie er sich enolich davon befreit und an das
hagen nicht weg. Das andere ist leichtere Ware, alles aber
verzeihende Herz seines Weibes sich flüchtet, von dem ihn
sehr vergnüglich zu lesen.
nun nichts mehr scheidet. Freilich, der Konflikt vollzieht
Ein seltenes Thema wird in Gustaf af Geijer¬
sich in dem Pfarrer Theobald nicht anders, als es bei jedem
stams Roman „Die Brüder Mörk“ behandelt, näm¬
anderen Menschen seiner Natur der Fall gewesen wäre, es
lich das der Bruderliebe und des Bruderhasses. Und um
ist fast zu wenig der Konflikt eines Pfarrers oder gar im
es gleich zu sagen, es wird in ganz ausgezeichneter Weise
besonderen eines schwäbischen Pfarrers; nur die Aeußerlich¬
behandelt. Der schwedische Verfasser hat eine so sichere Art,
keiten, wie sich die Sache an der Oeffentlichkeit entwickek,
und weiß trotz einer „Vorgeschichte“ uns mitten in die Ver¬
trägt schwäbisch=pfarrliches Gepräge. Im ganzen eine sorg¬
hältnisse hineinzustellen, er weiß so folgerichtig ohne jedes
fältig erwogene, gut erzählte Geschichte und psychologisch,
ederne Dozieren mit voller Lebendigkeit zu entwickeln und ver¬
auch volkspsychologisch nicht uninteressant.
steht, uns so in die Tiesen dieser beiden Brüdergemüter
Als vortrefflicher geschichtlicher Roman ist August
ineinschauen zu lassen, daß wir vom ersten bis letzten
Sperls „Die Söhne des Herrn Budiwos
Wort gefesselt werden. Die Brüder Karl und Nils Mörk,
längst bekannt. Er ist nun in einer billigeren, vierbändi¬
Söhne eines schwedischen Adeligen, verschieden in ihren
gen Volksausgabe erschienen und verdient diese Ausgabe
Geistes= und Gemütsanlagen, und doch von einer gewissen
denn er wird tatsächlich nicht bloß den Gebildeten, son¬
Aehnlichkeit, sind in freudloser Jugend einander so nahe
dern auch das Volk anziehen, obwohl der Stoff uns
gestanden wie Brüder stehen, aber das Leben bringt sie
eigentlich ferner liegt. Und auch der Jugend kann er un¬
auseinander. Der jüngere, Nils, übernimmt das väterliche
bedenklich in die Hand gegeben werden. Es handelt sich
But und hat sich mit ihm ganz gehörig zu schinden und
um die Kämpfe der böhmischen Könige Ottokar und Wenzel
zu plagen, während Karl Offizier geworden ist. Karls
einerseits mit den deutschen Rittern Böhmens, unter denen
Heirat und dann die plötzliche Erbschaft, die ihn zum rei¬
das Geschlecht der Wittigonen hervorragend und führend
chen Gutsbesitzer macht, sind ein weiterer Anlaß, daß sie
ist, und andererseits mit dem Kaiser Rudolf I. von Habs¬
auseinanderkommen, und die Frau des Nils schürt den
burg. Sperl versteht es ausgezeichnet, jene bewegte Zeit
Zwist, während die Karls an ihm zu Grunde geht. Ein
mit all ihren Leidenschaften, darunter auch den religiösen,
höchst interessantes Bild dieser zwei sehr gegensätzlichen
mit ihrem Hassen und Lieben, mit ihrer Barbarei und
Ehen entwickelt sich bei dieser Gelegenheit; die des Nils
Kultur vor uns lebendig werden zu lassen, und gibt ihr
ist nur mit ein paar derben Strichen gezeichnet, während
einen Mittelpunkt in der Person des ältesten der Söhne des
der Verfasser auf die andere viel feine psychologische Ent¬
Budiwoj, Zawisch, den das Schicksal zum Herrn Böhmens
wicklung und Schilderung verwendet hat. Immer hart am
zu machen schien, als Ottokar gestorben war. Wie es kam,
Abgrund führt er uns hin, und wir fürchten, jeden Augen¬
daß er es doch nicht wurde, wie sein und seines Hauses
blick, diese Menschen vor unseren Augen versinken zu sehenz
Untergang sich mit äußerer und innerer Folgerichtigkeit
und auch ein äußerst zart geschildertes Liebesidyll des ein¬
vollendet, das zieht in einer Reihe äußerst lebhafter und
zigen Sohnes von Karl Mörk ist nur auf ganz schwacher
buntbewegter Bilder an unseren Augen vorüber — schade
Brücke über einem Abgrund aufgebaut. Dieser Roman war
nur, daß Zawisch kein eigentlich tragischer Held ist, und
wirklich wert, übersetzt zu werden, und kann es getrost so
so ist sein Tod denn auch mehr traurig als tragisch. Ganz
ziemlich mit allen deutschen Neuheiten aufnehmen.
vorzüglich gelungen ist die Gestalt des schlauen Fuchses,
Richard Weitbrecht.
der damals auf dem deutschen Kaiserthron saß, Rudolfs
von Habsburg. Von dem Idealbild dieses Kaisers und
Büchereingänge.
seiner Kaiserpracht bleibt allerdings für den Leser dieses
Glaeß, Mary, Klänge des Lebens. Leipzig, J. Singer.
Romans nicht mehr viel übrig; dagegen begreift man,
Hillmayer, Leo, Die ersten Schritte. Gedichte. — Derselbe
warum und wie er Herr wurde über alle seine Gegner.
Verlag. — Stützer, W., Rationelle Körper= und Seelen¬
Und das alles hat Sperl erreicht durch das einzige Kapitel,
Diätik als Mittel zur Erreichung von Gesundheit, Verhütung
in welchem Rudolf auftritt. Aber auch die Zeichnung der
von Krankheiten und Verlängerung der Lebensdauer. Derf,
beiden böhmischen Könige wie ihrer Frauen, ihrer tschechi¬
Verlag. — Robert Falke, Militäroberpfarrer in Frankfurt am
schen Umgebung und sehr zahlreichen Personen aus allen
Main. „Kaisersgeburtstagsfeier“ Ein Volksabend. Heft 18
Kreisen des damaligen Böhmens, eine bunte Fülle von
der Sammlung Volksabende. Verlag Friedrich Emil Perthes,
Gotha. Preis geh. 0,80 M. — Graf Ernst zu Reventlow,
Gestalten, ist trefflich, ob die Menschen nun mit ein paar
„Die deutsche Flotte einst und jetzt“. Ein Volksabend. H. 17
Strichen und Worten vor uns lebendie werden, oder mit
der Sammnlung Volksabende". Ders. Verlag. Pr. geh. 1 M.
feinerer und sorgfältigerer Ausarbeitung wie der Bruder
Captain“, Kursbuch der Passagier=Dampferlinien aller
Waldenser und andere. Im ganzen ein geschichtlicher Ro¬
Meere. Ausgabe: Oktober=Dezember 1908, Berlin W. 9, Mari¬
man, der sich sehen lassen kann, und seinen Wert wohl auch
tima, Verlagsgesellschaft. Preis 1 M. — Europa in Flam¬
über unsere Tage hinaus behalten wird.
men. Der Deutsche Zukunfts=Krieg 1909, Raman von Michaek
Von einer Hochzeit heimkehrend, sitzen die Hochceits¬
Wagebald. (Concordia, Deutsche Verlags=Anstalt, Hermann
Ehbock in Berlin W. 30, Münchenerstr. 8.) Preis geh. 2.50 M.
gäste im Bahnzug und erzählen Geschichten: das ist der